Rheinische Post Krefeld Kempen
Dramatischer Anstieg verletzter Igel
Der neu gegründete Verein „Igelnothilfe Krefeld“sucht dringend Mitstreiter. Bereits 280 Igel mussten die Vereinsmitglieder um Petra Langkamp dieses Jahr versorgen. Langkamp selbst sitzt seit Februar im Rollstuhl.
Ein Leben ohne Igel ist für Petra Langkamp nicht vorstellbar. Seit über 40 Jahren kümmert sich die Tierschützerin um verletzte, unterernährte oder zu junge Stacheltiere, die ohne ihre Hilfe elendig verenden würden. Im Februar dann brauchte die Retterin selbst Hilfe. Nach Amputation beider Beine saß sie urplötzlich im Rollstuhl. Ein Verein gründete sich, um sie bei ihrer Arbeit in der Igelstation zu unterstützen. Gemeinsam versorgten die Mitglieder der „Igelnothilfe Krefeld“in diesem Jahr bereits 280 Tiere.
Doch ohne Expertin Langkamp wäre all das nicht denkbar. „Petra ist wirklich unglaublich. Bei ihr klang die Amputation so, als habe sie sich in den kleinen Finger geschnitten. Keinen Moment hat sie daran gedacht, mit ihrem Engagement aufzuhören. Das war schon eine starke Leistung“, findet Stefanie Parthier, zweite Vorsitzende des jungen Vereins, der seit Ende September vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt ist. Kurzerhand wurde die Igelstation in den privaten Räumen von Ehepaar Langkamp in Uerdingen den neuen Bedürfnissen der Fachfrau angepasst. Im Erdgeschoss hat Petra Langkamp nun ihre Kommandozentrale, kann dort auch schlafen und die verletzten Igel wenn nötig rund um die Uhr vom Rollstuhl aus versorgen. Sind die Tiere stabil, kommen sie in Holzkästen, die sich im ersten Obergeschoss befinden. Die Versorgung dieser Tiere wird von den vier erwachsenen und fünf jugendlichen Helfern zwischen elf und 14 Jahren übernommen. „Es könnten aber noch dreimal so viel sein“, sagt Langkamp, die Humanmedizin studiert und als Ärztin in einem Krankenhaus gearbeitet hat. Für die Igel gab sie ihren Beruf auf und kümmerte sich seitdem, damals noch von Oberhausen aus, hauptberuflich um Stacheltiere in Not.
„Ich habe in dieser Zeit gelernt, mit sehr wenig auszukommen. Aber das war mir egal. Hauptsache, den Igeln ging es gut“, erinnert sie sich. Über die Tiere lernte sie vor 27 Jahren auch ihren Mann Martin kennen, einen gelernten Förster, der sich fortan ebenfalls in der Igelhilfe engagierte und bis heute aktiv ist.
Ihren ersten Igel fand Petra Langkamps Hündin bei einem Spaziergang. „Ich hatte überhaupt keine Ahnung und habe mich stundenlang über mehrere Tage telefonisch mit dem Vorsitzenden der Rheinisch-Westfälischen Igelfreunde ausgetauscht, um das junge Tier aufzupäppeln. Danach habe ich mit einer befreundeten Tierärztin eine eigene Nothilfe-Station gegründet“, erzählt Langkamp. Schnell war die Igelklinik Anlaufstelle von Menschen aus der gesamten Region, die mit verletzten oder unterernährten Tieren nach Oberhausen kamen.
In Krefeld sieht es nicht anders aus. Seit Ehepaar Langkamp in Uerdingen wohnt, steht auch hier das Telefon nicht still. Im Gegenteil. Der Bedarf ist aktuell so groß, dass die Helfer kaum noch nachkommen. Auf 50 Pflegestellen in Krefeld und Umgebung werden die Igel untergebracht, sobald sie gesundheitlich stabil sind. „Auch hier könnten wir dreimal so viele Pflegestellen gebrauchen“, sagt Langkamp.
Ursache für die Flut an verletzten Tieren sind die Mähroboter, deren Anzahl beständig wächst und die genau wie Igel vor allem in den Nachtstunden aktiv sind, meist sogar an sieben Tagen die Woche. „2017 hatten wir den ersten vor einem Mähroboter verletzten Igel, 2018 dann gar keinen, 2019 vier, 2020 sieben und dieses Jahr bereits 50“, sagt Stefanie Parthier nach einem Blick in
die Statistik. Viele dieser Tiere sind so schwer verletzt, dass sie eingeschläfert werden müssen.
Aber es gibt immer auch kleine stachelige Kämpfer. „Köttel“ist so einer. Mit nur 83 Gramm fand Langkamps Nachbarin Anfang September das Igelbaby in ihrem Garten. Es war blind, taub und hatte noch keine Zähnchen. Die Schreie des verhungernden Babys hörte die Nachbarin. „Das klingt ein bisschen wie Vogelgezwitscher“, erklärt Parthier. Gerade noch rechtzeitig konnte „Köttel“im Haus Langkamp einziehen. „Es war schon sehr schwierig, den Kleinen durchzubekommen. Mit spezieller Welpenaufzuchtmilch habe ich ihn gefüttert. Aber er hatte bereits zwei Tage lang keine Muttermilch mehr bekommen und war sehr schwach“, sagt die Igel-Expertin.
Heute wiegt der Kleine bereits stolze 222 Gramm (erwachsene Tiere haben bis zu 900 Gramm) und kann ab sofort für die Auswilderung vorbereitet werden. Dazu gehört auch, sich selbstständig aus einem mit Wasser gefüllten Behältnis zu befreien. „Schwimmen können Igel zwar, sie müssen aber lernen, die Panik zu überwinden und eine Ausstiegsstelle zu suchen“, erklärt die Tierschützerin.
Noch im Herbst soll „Köttel“wieder frei sein. Bis dahin muss er vor allem lernen, nicht jede Menschenhand abzulecken. Aber der Kleine ist ja ein Kämpfer, der schafft das, sind sich die Igelretter sicher. Genauso wie Petra Langkamp, die schon bald den Rollstuhl verlassen und auf Prothesen durchs Leben gehen möchte.