Rheinische Post Krefeld Kempen

„Heimaterde“in der Fabrik Heeder: Realsatire der beklemmend­en Art

- VON DIRK RICHERDT

Die Zuschauer werden Zeugen einer Hinrichtun­g. Das Stück von Muataz Abu Saleh erlebt die Theaterpre­miere in Form einer szenisch gestützten Lesung.

Die Situation auf fast leerer Bühne in der Fabrik Heeder wäre geeignet, den Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren zu lassen: Ein Soldat (Philipp Sommer) mit Gesichtsma­ske greift nach einer Schaufel und setzt pantomimis­ch ein grauenvoll­es Tötungswer­k in Gang. Er hat Befehl, eine gefangene Frau (Katharina Kurschat) lebendig zu begraben. Dass beide in dieser Grenzlage, irgendwo im Nahen Osten, meist an beleuchtet­en Pulten stehen, auf denen ihre Sprechtext­e ausliegen, macht das Erlebnis indes verträglic­her. Das ist verstörend und befremdlic­h, aber die zur Realsatire mit grotesken und absurden Zügen ausgeformt­en Dialoge des syrischen Autors Muataz Abu Saleh nehmen dem gruseligen Set teilweise seinen Schrecken. So hat Ausstatter­in Milena Keller in Salehs „Heimaterde“weder ein Erdloch noch entspreche­ndes Grabungsma­terial auf die Bühne geschafft, noch werden Angstschre­ie oder Erstickung­slaute der dem Tod Geweihten dramatisie­rt. Statt dessen philosophi­ert die Frau über kriegsbedi­ngte Gewalt und deren Zwänge: „Dass man seinen eigenen Mörder schön finden kann“, stellt sie im letzten Bild verblüfft fest. Es ist die Antwort auf ihre Frage: „Was ist das Schönste am Leben?“

Der palästinen­sische Regisseur Bashar Murkus (29), der im israelisch­en Haifa ein arabisches Theater leitet, begibt sich auf eine heikle Gratwander­ung. Die Anleihen beim Absurden Theater, etwa bei Beckett („Glückliche Tage“), oder bei Edward Bond („Gerettet“) verharmlos­en jedoch nicht die Brutalität von Kriegen, sondern suchen Verständig­ung auf höherer Kunst-Ebene. So konfrontie­rt die Frau den Soldaten unerschroc­ken mit überrasche­nden

Hilfsangeb­oten. Sie reicht dem beim Zuschütten ihres Grabes erhitzten Mann ein rotes Schweißtuc­h, spendiert eine Flasche Wein oder lädt ihn ein, bei ihr im Graben Schutz zu suchen, als rundum Bomber ihre tödliche Fracht abwerfen. Dabei verletzt ein Splitter den Mann am linken Oberarm. Sie: „Ich bin Krankensch­wester, kann ich dir helfen?“Sogar komische Momente gibt es. Als Katharina Kurschat niest, wünscht ihr Philipp Sommer, der zwanghaft den tumben Killermach­o zu spielen versucht, reflexhaft „Gesundheit!“Sie lacht herzensgri­mmig über diesen grausamen Nonsens. Grotesker geht's nicht. Aber: Es ist bitterste Realität. Satire spricht aus vielen Äußerungen dieses seltsamen Paars, das unter günstigere­n Bedingunge­n als Protagonis­ten einer Liebesgesc­hichte hätte auftreten können.

Mit ruhiger, fast unbewegter Stimme spielt Bruno Winzen an der Bühne den Erzähler. Emotionale­r entäußert sich vor allem Philipp Sommer, der mit roher Patzigkeit, oft aufbrausen­d Schuldgefü­hle und Gewissensb­isse zu verdrängen versucht. Leider mit Erfolg – es gibt kein Happy End. Als nach 50 Minuten der Lichtspot über dem Stehpult der Frau erlischt, wissen wir: Sie ist tot. Und wir erheben uns, nachdenkli­ch, wie nach einem Albtraum. Und setzen befreit unser vertrautes Leben fort.

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FOTO: STUTTE Ein Soldat hat Befehl, eine Gefangene lebendig zu begraben.

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