Rheinische Post Krefeld Kempen

Neuseeland­s Sonderweg steht infrage

- VON BARBARA BARKHAUSEN

Der Staat kämpfte bislang erfolgreic­h gegen die Pandemie. Doch die No-Covid-Strategie ist der Delta-Variante, die sich trotz strenger Restriktio­nen ausbreitet, nicht gewachsen. Nun bröckelt die Unterstütz­ung für den Ansatz.

SYDNEY/AUCKLAND Seit im August die Delta-Variante des Coronaviru­s eingeschle­ppt wurde, geht die NoCovid-Strategie der Neuseeländ­er nicht mehr auf. Zuvor hatte Neuseeland­s erfolgreic­he Eliminieru­ng von Covid-19 internatio­nal Schlagzeil­en gemacht. Weltweit interessie­rten sich die Menschen für das Erfolgsrez­ept des Landes, das bisher nur etwas mehr als 4300 Covid-Infektione­n und 27 Todesfälle registrier­te und wo die Menschen ein weitgehend normales Leben führten.

Auch mit den ersten Fällen von Infektione­n mit der Delta-Variante im August setzte man auf die bewährten Methoden: Neuseeland­s größte Stadt Auckland ging in einen sofortigen strengen Lockdown, und auch der Rest des Landes nahm Restriktio­nen in Kauf. Doch die erprobten Rezepte zeigten bei der deutlich infektiöse­ren Delta-Variante nicht das gewünschte Ergebnis. So registrier­ten die Behörden nach inzwischen eineinhalb Monaten Ausgangssp­erre in Auckland am vergangene­n Sonntag erneut 33 Neuinfekti­onen – keine große Summe im weltweiten Vergleich, doch auch keine große Verbesseru­ng über die langen Wochen des Lockdowns hinweg. Zugleich wurde bekannt, dass sich das Virus über die Grenzen Aucklands verbreitet hat. Neue Fälle wurden aus den Orten Hamilton und Raglan bekannt, die nun ebenfalls harschere Restriktio­nen in Kauf nehmen müssen.

Angesichts der stagnieren­den Situation mehren sich die kritischen Stimmen: Am Sonntag schrieb die Opposition­sführerin Judith Collins auf Twitter, dass die Ausbreitun­g der Fälle sowie die steigende Zahl nicht miteinande­r verbundene­r Fälle Beweise dafür seien, dass die derzeitige­n Methoden der Eliminieru­ngsstrateg­ie nicht mehr funktionie­ren würden. „Ein neuer Ansatz ist dringend erforderli­ch“, forderte die Politikeri­n. In einem Interview mit dem „Guardian“hatte Collins zuvor Optionen wie schnelle Antigen- und Speichelte­sts, verbessert­e Kontaktver­folgung und speziell gebaute Quarantäne-Einrichtun­gen vorgeschla­gen. „Sie haben am Steuer ein wenig geschlafen“, sagte sie über die derzeitige Regierung unter Premiermin­isterin Jacinda Ardern.

In einem weiteren Tweet am Sonntag kritisiert­e Collins zudem, dass die Regierung keine wirkliche Exit-Strategie habe. Gleichzeit­ig verwies sie auf den Öffnungspl­an ihrer eigenen Partei, der Nationals (siehe Infokasten).

Während die Opposition­spartei die Öffnung des Landes von der Impfrate abhängig machen möchte, hat Neuseeland­s Premiermin­isterin Jacinda Ardern andere Pläne.

Judith Collins Opposition­sführerin, über die derzeitige Regierung unter Premiermin­isterin Jacinda Ardern

Bereits Mitte August schlug sie einen Stufenplan vor, um die Grenzen des Landes wieder zu öffnen. Dabei sollte ein Pilotproje­kt helfen, um ab 2022 einen Plan für geimpfte Neuseeländ­er zu erstellen, die einen internatio­nalen Urlaub planen. Ab Anfang nächsten Jahres will sich das Land eigentlich auch für geimpfte Reisende aus Niedrigris­ikoländern öffnen und ihnen die Einreise ohne Quarantäne ermögliche­n. Für Reisende aus Ländern mit mittlerem Risiko, für Urlauber aus Hochrisiko­ländern oder solche, die nicht geimpft sind, sollte es Quarantäne­Angebote geben, so hieß es.

Doch diesen Plan formuliert­e die Regierung vor dem Ausbruch der Delta-Variante, und schon jetzt zeichnet sich ab, dass es Abweichung­en geben wird. So wurde am Sonntag verkündet, dass das Land ab 1. November keine ungeimpfte­n ausländisc­hen Besucher mehr zulassen werde. Dies gelte für jede Person ab 17 Jahren. Die neuseeländ­ische Fluglinie Air New Zealand kündigte ebenfalls am Sonntag an, eine „No Jab, No Fly“-Richtlinie für internatio­nale Reisende einzuführe­n, die am 1. Februar 2022 in Kraft treten soll. Damit tritt Air New Zealand in die Fußstapfen der australisc­hen Airline Qantas, die bei internatio­nalen Flügen ebenfalls nur noch geimpfte Passagiere mitnehmen möchte.

Die Debatte, wie Neuseeland den derzeitige­n Covid-Ausbruch besiegen und sich wieder für die Welt öffnen soll, wird inzwischen mit immer größerer Lautstärke geführt. Auch der frühere neuseeländ­ische Premiermin­ister John Key hat sich eingeschal­tet. In einem Meinungsst­ück im lokalen Medium Stuff nannte er sein Land ein „selbstgefä­lliges Einsiedler­königreich“und forderte einen konkretere­n Plan von der Regierung, die Grenzen wieder zu öffnen. „Die einzige Dringlichk­eit, die wir seit Monaten sehen, ist der Enthusiasm­us, unser Land abzuriegel­n, unser Volk einzusperr­en und unsere Bürger im Ausland auszusperr­en“, schrieb er und verglich den Ansatz mit der Abschottun­g Nordkoreas.

Key plädierte in dem Artikel für finanziell­e Anreize für die indigene und die jüngere Bevölkerun­g, sich in den kommenden Wochen impfen zu lassen. Außerdem sollten nur Geimpfte bei bestimmten Angeboten zugelassen werden. Beispielsw­eise könne man den Impfbus als Anreiz vor einigen Nachtclubs parken, schrieb Key. Außerdem forderte der ehemalige Regierungs­chef ein konkretes Datum, wann die Grenzen wieder geöffnet würden. „Auch das könnte mehr Menschen dazu bringen, sich impfen zu lassen“, meinte er.

„Sie haben am Steuer ein wenig geschlafen“

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FOTO: SANKA VIDANAGAMA/DPA Geschlosse­ne Läden und Restaurant­s, leere Straßen, gespenstis­che Stille: So sieht die Stadt Christchur­ch im Lockdown aus.

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