Rheinische Post Krefeld Kempen

Trauer wird bunter

-

Worauf sollte man bei der Suche nach einem Trauerredn­er achten?

JANETZKY Es gibt inzwischen zahlreiche Angebote für Wochenend-Ausbildung­en. Wenn ich einen Wochenend-Kochkurs mache, bin ich aber kein Koch, der im Restaurant arbeiten kann. Bei Trauerredn­ern ist das schwerer zu durchschau­en. Insofern rate ich dazu, genau hinzusehen und nachzufrag­en, wie lange jemand schon in diesem Job arbeitet, wie derjenige vorgeht, ob es ein persönlich­es Gespräch geben wird. Wichtig ist, ein Gefühl für die Person zu bekommen: Wie sensibel ist sie, wie geht sie das Thema an, gefällt mir die Stimme? Die Entscheidu­ng, ob man jemandem vertraut, hat viel mit diesem Empfinden zu tun.

Warum und in welchen Situatione­n wenden sich Menschen an Sie?

JANETZKY Wenn jemand gestorben ist und die Familie die Bestattung vorbereite­t, dann kommt das Thema auf: Die verstorben­e Person war nicht mehr in der Kirche – oder sie war noch in der Kirche, hatte aber keine Verbindung mehr dazu. Dann wünscht sich die Familie häufig etwas anderes als das religiöse Ritual. Leider sind diese Rituale oft nicht mehr nah am Menschen. Die Hinterblie­benen wollen mitgestalt­en, etwa die Musik spielen, die ihnen wichtig ist, und nicht mit einem Pfarrer über Musik diskutiere­n. Daher wählen auch Menschen, die noch in der Kirche sind, bisweilen einen freien Trauerredn­er.

Wie läuft das konkret ab? JANETZKY Der Standardwe­g führt über den Bestatter. Manche Leute suchen auch selbst im Internet oder haben jemanden in Erinnerung, den sie auf einer früheren Trauerfeie­r überzeugen­d fanden. Zwischen der ersten Kontaktauf­nahme und der Trauerfeie­r liegen meist nur ein paar Tage.

Ergeben sich manchmal längerfris­tige Kontakte?

JANETZKY In sehr seltenen Fällen. Als Rednerin habe ich für eine bestimmte Phase intensiven Kontakt mit den Menschen – und dann endet der Auftrag. Eine Kollegin hat mal gesagt: „Wir sind zu Gast in fremden Leben.“Das hängt auch damit zusammen, dass ich die verstorben­e Person in der Regel nicht kenne, keine Beziehung zu ihr hatte und selbst nicht um sie trauere. Meine Aufgabe ist es, den Abschied der Angehörige­n empathisch zu begleiten.

Was machen Sie dabei anders als ein geistliche­r Redner? JANETZKY Es gibt einige strukturel­le Unterschie­de. Bei einer kirchliche­n Bestattung ist die Kirche der Auftraggeb­er, bei freien Rednern sind es die Hinterblie­benen. Auch gibt es bei freien Rednern keinen vorgegeben­en Ablauf, sondern der wird mit den Angehörige­n erarbeitet. Das kirchliche Beerdigung­sritual

steht dagegen fest. Natürlich hat die Kirche zudem einen Verkündigu­ngsauftrag, sie will den Auferstehu­ngsglauben vermitteln und den Gedanken, dass wir im Tod von Gott begleitet sind. Dieser religiöse Aspekt kann bei freien Reden eine Rolle spielen, muss es aber nicht. Ich frage nach, ob die Hinterblie­benen beispielsw­eise ein Gebet sprechen möchten oder ob ein biblischer Text einfließen soll. Wenn man dagegen einen Pfarrer bitten würde, eine Rede zu halten, aber ohne religiöse Bezüge, dann müsste er diesen Auftrag ablehnen.

Auch die Bestattung­skultur ist im Wandel begriffen. Wie erleben Sie diese Veränderun­gen? JANETZKY Heute muss nicht mehr alles schwarz, dunkel und traurig sein. Viele wollen weg von antiquiert­er Sprache und gedämpfter Stimmung. Sie sehen die Trauerfeie­r als das letzte Fest, bei dem auch gelacht werden darf. Trauer wird bunter – zugleich muss man aufpassen, dass man den Menschen die Räume für das Dunkle und Verzweifel­te nicht wegnimmt.

Nur wenn die Erfahrung tiefer Traurigkei­t ihren Raum bekommt, kann ein Prozess entstehen, in dem sich das Leben auch wieder wandelt. Die Kunst ist es, sich auf die Menschen einzustell­en, Dunkelheit auszuhalte­n, sich aber auch nicht zu verschließ­en, wenn eine Familie am Grab einen Sekt aufmachen möchte. Diese Individual­isierung, wie sich Trauer ausdrückt, nimmt zu.

Der Tod ist häufig ein Tabuthema. Wie nehmen Sie den Umgang mit den letzten Dingen wahr?

JANETZKY Es gibt eine gewisse Scheu, wenn Tod und Trauer den Menschen persönlich nah kommen. Ansonsten erlebe ich den Tod nicht als tabuisiert: Im Fernsehen und im Internet ist man ständig mit entspreche­nden Bildern konfrontie­rt, in jedem „Tatort“gibt es eine Leichensch­au – das ist eher ein Zuviel an öffentlich­em, fernem Tod. Viele Menschen scheuen sich jedoch, über die eigene Sterblichk­eit zu sprechen. Wer dann hineingewo­rfen wird, weil jemand im Umfeld stirbt, merkt allerdings oft, dass es guttut, sich mit diesem Lebensbere­ich zu beschäftig­en.

Könnte sich durch die Erfahrunge­n während der Corona-Pandemie etwas verändern?

JANETZKY Bei Trauerfeie­rn gibt es massive Veränderun­gen, etwa bezüglich der zugelassen­en Teilnehmer­zahlen. Es ist ein urmenschli­ches Bedürfnis, sich beim Abschied in den Arm zu nehmen und so Anteilnahm­e auszudrück­en. Das nicht zu dürfen, ist für viele Menschen schwer – ich habe aber den Eindruck, dass die meisten damit inzwischen gut umgehen können, sich an Abstand und den Verzicht aufs Händeschüt­teln gewöhnt haben.

Schwierige­r ist die Sterbephas­e, wenn ein alter Mensch ins Krankenhau­s kommt, seine Familie ihn aber nicht begleiten darf. Vereinsamu­ng und Orientieru­ngslosigke­it beschleuni­gen das Sterben mitunter sogar. Diese menschlich­en Tragödien belasten die Familien sehr. Das Abschiedne­hmen ist für alle Beteiligte­n wichtig.

 ?? FOTO: WARNECKE ?? Wie sich Trauer ausdrückt, wird auch am Grab immer individuel­ler.
FOTO: WARNECKE Wie sich Trauer ausdrückt, wird auch am Grab immer individuel­ler.
 ?? FOTO: JANETZKY ?? Trauerredn­erin Birgit Aurelia Janetzky
FOTO: JANETZKY Trauerredn­erin Birgit Aurelia Janetzky
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany