Rheinische Post Krefeld Kempen
„Innenstädte sind Erlebnisstandorte“
Eine Frage bestimmt derzeit viele Diskussionen rund um die Entwicklung von Wohn- und Arbeitsräumen: Wie stark setzt sich der in der Pandemie eingeübte Trend zum Homeoffice fort? Der Trend war schon da, „die Pandemie hat ihn verstärkt“, stellt Thomas Schüttken (Böcker-Wohnimmobilien) fest. Mit Homeoffice benötigt das Wohnen mehr Platz, da wird rein preislich das Umland attraktiver. „Der Trend wird sich aber wieder reduzieren“, prognostiziert Andreas Bahners (Bahners & Schmitz). Mitarbeiter entfremden sich im Homeoffice vom Unternehmen, außerdem sei es ein Hemmnis für die Karriereentwicklung. Bahners geht davon aus, dass es künftig einen Mix geben wird. Ein bis zwei Tage werden die Menschen dezentral arbeiten, den Rest der Zeit im Büro.
Dieter Castenow (Castenow GmbH) ordnet den Trend in größere Zusammenhänge ein. Er geht davon aus, dass die Gesellschaft „zurück zu den Basics“geht „mit Veränderungen, die wir gelernt haben“. Globale Einflussfaktoren wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Dezentralisierung und Digitalisierung werden das Wohnen und Arbeiten der Zukunft stark beeinflussen. „Wir werden eine andere Belebung der Innenstädte sehen und verschiedene Lebensformen erleben. Dafür brauchen wir Lösungen.“
„Wer kommt denn künftig in die Innenstadt?“, fragt die Moderatorin Birgit Gebhardt, die sich selbst als Trendforscherin mit Zukunftsthemen befasst. Dr. Johann Werner Fliescher vom Verband Haus und Grund Düsseldorf und Umgebung geht davon aus, dass die Innenstadt auch künftig ihre Funktion als „Dorfplatz“behält, den man zum Arbeiten, aber auch für das kommunikative Erlebnis aufsucht. Gerade Düsseldorf sei eine Einpendlerstadt. Rund 300.000 Pendler strömten vor der Krise täglich in die Stadt. „Das wird künftig weniger werden“, schätzt Fliescher. Daher müsse man jetzt überlegen, wie der „Dorfplatz“in modernerer Form erhalten und aufgewertet werden könne. Zukünftige neue Akteure in der Innenstadt könnten Bildungs- und Kultureinrichtungen, Ärzte und weiterhin – so Fliescher – der Einzelhandel und die Gastronomie sein.
Doch braucht eine Innenstadt nicht auch Menschen, die dort wohnen und sie beleben? Hier sehen die Experten einige Begrenzungen. So gewinnen fürs Wohnen interessante Flächen an Attraktivität, die gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sind, wie Schüttken anmerkt. Er nennt als Beispiele Mönchengladbach oder – innerhalb Düsseldorfs – Benrath. Bahners verweist ebenfalls darauf, dass durch das Homeoffice weniger Menschen in die Stadt kommen. „Der zunehmende Online-Handel hat zudem zur Folge, dass Einzelhändler weniger Umsatz machen.“Bahners fordert daher: „Wir müssen etwas tun, damit die Innenstadt attraktiv bleibt.“
Fliescher geht davon aus, dass auch künftig viele Menschen im Zentrum leben wollen. „Die Innenstadt ist für die Menschen wichtig, sie wollen aber ein gutes Umfeld und eine gute Anbindung haben“, sagt Fliescher. Das Wohnen im Zentrum habe aber seinen Preis. Selbst für Durchschnittsverdiener ist der oft zu hoch. Vollends unerschwinglich wird das Wohnen in der Stadt für Menschen aus unteren Einkommensschichten. Für Soziales Wohnen gibt es Fördermittel. „Aber viele werden nicht abgerufen“, stellt Schüttken fest. Das Problem liege darin, dass dafür die Flächen fehlen.
Mikroappartements werden gerne als Lösung angeboten für Menschen, die mit wenig Raum auskommen. In Düsseldorf scheine die Nachfrage danach aber nicht sehr ausgeprägt zu sein, sagt Schüttken. Eine Chance sieht er wohl aber in kompakten Wohnflächen und in solchen, die flexibel gestaltbar sind. „Abtrennbare Räume oder Paravents erleben eine Renaissance.“
Bahners sieht für Mikroappartements in verdichteten Innenstädten indes durchaus einen Markt. Er verweist auf Wohnungen in
Universitätsstädten oder solche mit hohem Pendleraufkommen, die 20 bis 30 Quadratmeter bieten und über Gemeinschaftsbereiche verfügen, die die Mieter dazubuchen können, zum Beispiel auch Co-Working-Räume. In London finde man solche Objekte häufig.
Eine weitere Begrenzung für das Wohnen in der Innenstadt: Wenn mehr im Homeoffice gearbeitet wird, braucht man größere Wohnungen. „Das ist in der Innenstadt schwierig. Entsprechender Wohnraum ist teuer, meist fehlen auch entsprechende Angebote“, sagt Fliescher. Zurzeit wird auch viel darüber diskutiert, ob und wie man Büros in Wohnraum umwandeln kann. Böcker-Wohnimmobilien startet ganz aktuell mit der Vermarktung eines solchen Objektes auf der Graf-Recke-Straße, nennt Schüttken als Beispiel. Er sieht für solche Projekte eine wachsende Nachfrage.
Ein Thema, das ebenfalls Planungen beeinflusst, betrifft die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels. „Die Idee ist gut, Bestand zu nutzen und gegebenenfalls umzunutzen“, merkt Dr. Johann Werner Fliescher an. Allerdings müssten bei entsprechenden Maßnahmen komplexe Förderregeln beachtet werden, betont Fliescher, der die gegenwärtige Förderpraxis hinterfragt. Da jedes Gebäude eine andere Struktur hat, müssten individuelle Lösungen gefunden werden. Standardisierte Sanierungskonzepte seien nicht hilfreich.
Bahners sieht das ähnlich: „Es gibt viele Auflagen. Wünschenswert wäre, es dem Markt zu überlassen, wie die Menschen leben wollen.“Bahners denkt hier zum Beispiel an Lärmschutzvorschriften. Es gebe genug Menschen, die in der Innenstadt leben wollen und dabei auch ein höheres Lärmniveau als außerhalb akzeptieren.
Nicht nur das Wohnen stellt neue Herausforderungen an die Gestaltung der Innenstadt. Auch das Arbeiten verändert sich – ein Aspekt, den Dieter Castenow aus der Sicht des Spezialisten für Markenführung in den Fokus rückt. Arbeitgeber stehen im Wettbewerb um die besten Talente. Sie werben mit ihrem Unternehmen, aber auch mit dem Umfeld für sich. Arbeitgeber müssten für Büroimmobilien eine neue Attraktivität schaffen und dazu auch neue Dinge ausprobieren. Aus der eigenen Agentur berichtet der Markenexperte, dass die Mitarbeiter am Standort „The Beach“am Paradiesstrand im Düsseldorfer Hafen ihren Arbeitsplatz, aber auch einen „living place“finden, also Arbeitswelt als Lebenswelt verbinden können, etwa in Lounge-Bereichen.
„Arbeitgeber müssen Talenten den Platz bieten, den sie suchen“, sagt Castenow. Gebäude müssten entsprechend flexibel gestaltbar sein und über Verweilinseln verfügen. Sport- oder Entertainment-Angebote und emotionale Anreize eröffnen, so der Markenspezialist, und Mitarbeitern Möglichkeiten der freien Gestaltung einräumen. Das gilt darüber hinaus auch für das weitere Umfeld: „Innenstädte sind Erlebnisstandorte“, betont Castenow. Daher hätten auch Arbeitgeber ein vitales Interesse an funktionierenden Zentren.