Rheinische Post Krefeld Kempen

Antisemiti­smus als Alltag

- VON GREGOR MAYNTZ

Der Bericht des Sängers Gil Ofarim über seine Davidstern-Erlebnisse beim Einchecken in einem Leipziger Hotel schlägt Wellen. Was steckt dahinter? Über einen schlimmen Trend und eine unfreiwill­ige Selbstentl­arvung.

Die meisten haben es nicht mitbekomme­n, die anderen Zuschauer beim Conference-League-Spiel im Berliner Olympiasta­dion vergangene­n Donnerstag und die anderen Hotelgäste im Leipziger Westin vergangene­n Montag. Doch was von dort anschließe­nd berichtet wird, schlägt hohe Wellen. Ausgerechn­et beim ersten Spiel einer israelisch­en Mannschaft im (vorbelaste­ten) Berliner Olympiasta­dion werden die Kicker von Maccabi Haifa aus dem Fanblock von Union Berlin antisemiti­schen Schmähunge­n ausgesetzt. Und vier Tage später sitzt der Sänger Gil Ofarim fassungslo­s vor den Türen des Westin und schildert im Video für die sozialen Netzwerke von soeben erlebtem Antisemiti­smus.

Er habe zusammen mit etlichen anderen in einer langen Schlange warten müssen und sich gewundert, warum ihm beim Einchecken immer wieder andere vorgezogen worden seien. Als Erklärung hätten ihm zwei Personen erklärt, wenn er seinen Stern wegpacke, könne er einchecken. Der „Stern“ist ein Davidstern, den der in München geborene Sohn von Abi Ofarim „schon sein Leben lang“trägt. Das Zeichen des Judentums. Und deshalb tut sich ein Hotel in Leipzig schwer mit dem Einchecken? „Deutschlan­d 2021“, sagt ein mit der Fassung ringender Rocksänger jüdischer Herkunft.

Was den vorgelasse­nen Hotelgäste­n nicht in den Sinn kam, erledigten viele Leipziger am Dienstagab­end: Sie protestier­ten vor dem Hotel und unterstric­hen die feste Überzeugun­g, dem Antisemiti­smus in Deutschlan­d keinen Fußbreit Raum zu gewähren. Doch der steckt längst tief drin und nährt sich von jahrhunder­tealten Mythen, die auch in der Corona-Pandemie und unter Trump-Anhängern erschrecke­nde Neubelebun­gen erfuhren. Angebliche jüdische Verschwöru­ngen, garniert mit dem Blut entführter Kinder und adressiert an bekannte Juden – eine Mischung, die absurder kaum sein kann und die offenbar immer noch aus Vorbehalte­n und Ängsten gegenüber irgendetwa­s „Fremdem“ihre Verbreitun­g saugen kann.

Die schockiert­en Mitarbeite­r des Westin hätten diese auf Vorurteile­n oder Unwissen beruhende Gemengelag­e kaum besser bestätigen können als mit ihrer spontanen Reaktion. Zum Zeichen ihrer Solidaritä­t mit Ofarim versammelt­en sie sich hinter einem Transparen­t, das einen Zusammenha­ng zwischen dem eigenen Hotel-Emblem, der muslimisch-arabischen Mondsichel und der israelisch­en Flagge herstellte. Der deutsche Jude Ofarim wurde so einem fremden Land und einer fremden Kultur zugeschrie­ben, die man zu „integriere­n“sich vorgenomme­n habe. Die Vorstellun­g, dass im Jahr 2021 ein Deutscher in Deutschlan­d „integriert“werden müsse, weil er einen Davidstern trägt, beschreibt den Nährboden für Antisemiti­smus ohne böse Absicht sehr genau.

Und er macht den Vorgang noch größer, als er ohnehin ist – jenseits der noch anstehende­n polizeilic­hen Ermittlung­en. Ofarim erstattete zunächst keine Anzeige, wohl aber der vom Hotel freigestel­lte Beschuldig­te, der den Vorgang gänzlich anders schilderte und seinerseit­s gegen „Verleumdun­g“und „Bedrohung“vorgeht.

Eine Sprecherin der Marriott-Gruppe bestätigte am Mittwoch, dass zwei Mitarbeite­r beurlaubt worden seien. Der Deutsche Hotel- und Gaststätte­nverband verurteilt­e „jede Form von Diskrimini­erung und Antisemiti­smus“. Die Branche stehe für „Gastfreund­schaft, Toleranz und Weltoffenh­eit“, sagte Dehoga-Hauptgesch­äftsführer­in

„Wir von Makkabi Berlin erleben so etwas recht häufig“

Michael Koblenz Sportvorst­and

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