Rheinische Post Krefeld Kempen
Koalition des Schweigens
SPD, Grüne und FDP sind sich bei ihrem ersten Dreiertreffen für ein Ampelbündnis schon einig: Sie lassen den Sturm draußen.
BERLIN Schweigen hat drei Farben: Rot, Gelb und Grün. Die Ampel schaltet lautlos. Wer quatscht, der fliegt. Diese Absprache zur Vertraulichkeit unter den Parteien dieser ersten Dreier-Sondierung wirkt an diesem Donnerstagmorgen. Vor dem City Cube an der Messe Berlin, wo die SPD schon Bundesparteitage abgehalten hat, laufen die Gladiatoren ein. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist schon seit 7.50 Uhr da. Wer Kanzler werden will, muss früh aufstehen. Und ansonsten: nichts sagen.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wird gefragt: „Was ist heute wichtig?“Hofreiter: „Alles!“Um welche Punkte es heute gehen werde? „Um viele!“Aha, sehr erhellend. Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann gibt beim Vorbeigehen am Journalistenpulk einen großen bayerischen Fußball-Philosophen: „Schaun mer mal.“Es geht irgendwie um alles und nichts. „Nee, kann ich nicht sagen“, weicht auch Grünen-Chef Robert Habeck auf die Frage nach wichtigen Punkten dieses ersten Ampel-Sondierungstages aus. Groß ist noch der Unmut über bisherige Durchstechereien aus Zweiergesprächen von FDP und Grünen mit CDU und CSU, die dem Unionslager zugeschrieben werden. Und die Union ist bis auf Weiteres: raus aus den Sondierungen.
Gegenüber der Messe, wo die Tribüne der einst weltberühmten Avus wiederaufgebaut wird, prangt auf einem Leuchtband der Slogan: „Pannenhilfe in Berlin – und weltweit“. Die kann man brauchen, wenn man die nächste Regierung der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt möglichst krisenfest aufstellen will. Denn es gibt Klippen und Knackpunkte. Die FDP will den Soli abschaffen, die SPD will ihn behalten. Die Grüne wollen die Schuldenbremse aufweichen, die FDP will sie streng. SPD und Grüne wollen zwölf Euro
Mindestlohn, die FDP will über den Mindestlohn in einer Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften entscheiden lassen. Die Grünen wollen ab 2030 das Aus für den Verbrenner oder einen höheren CO2Preis, die FDP ist gegen zu viel Regulierung. SPD und Grüne wollen ein Tempolimit 130 auf Autobahnen, die FDP will weiter freie Fahrt.
So sitzen die Sondierungsgruppen über Stunden in jenem Kubus mit der großen Glasfassade, in dem ein gewisser Olaf Scholz beim SPDBundesparteitag 2017 bei der Wahl zum Parteivorstand mit nur 59,2 Prozent das mit Abstand schlechteste Ergebnis aller Stellvertreter des damaligen SPD-Chefs Martin Schulz erhielt. Und nun will Scholz just in diesem City Cube die Basis für eine nächste, von ihm selbst geführte Bundesregierung legen. Der Mann kann nicht abergläubisch sein.
Ein Koch und zwei Kellner? Zwei Köche und ein Kellner? Oder drei Köche? Oder drei Kellner? Nein, dies werde eine Koalition „auf Augenhöhe“sein – so haben die Chefunterhändler von SPD, Grünen und FDP in den vergangenen Tagen immer wieder betont. „Kellner – das ist irgendwie aus dem letzten Jahrhundert“, hat denn auch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Morgen im Deutschlandfunk noch einmal klargestellt. Und diese Koalition soll ja ein Bündnis von „Aufbruch und Erneuerung“werden. Es wird gemeinsam gekocht – und gemeinsam gekellnert.
Die Generalsekretäre erklären am Abend nach sieben Stunden Verhandlungen schließlich, was wie die Geschichte einer Annäherung klingen soll. Man habe Vertrauen aufgebaut – die Zweiergespräche seien die Basis für die nun laufenden DreierSondierungen, für „vertiefte Gespräche“. Alle Themen seien „auf den Tisch gekommen“, aber nein, Zwischenstände werde man nicht berichten. Bloß keine Unruhe.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil: „Es geht um einen politischen Stil, der nicht von Gewinnern und Verlierern geprägt ist.“Aber natürlich wissen die Sondierer, dass sechs Kilometer Luftlinie entfernt gerade Unionskanzlerkandidat Armin
Laschet seinen Rückzug andeutet. Doch wieder eine neue Chance für Jamaika? FDP-Generalsekretär Volker Wissing: „Für uns bleibt klar, eine Regierungsbildung kann sich nicht an einzelnen Personen oder Führungsfragen entscheiden.“
Sie wollen auch einen neuen Stil wagen. Erst einmal gönnen sich die Sondierer jetzt tatsächlich ein freies Wochenende. Ganz bewusst. Eine Pause zum Nachdenken und Durchschnaufen. Auch als Zeichen der Familienfreundlichkeit. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner betont extra, dass man Verhandlungen wie 2017 bis spät in die Nacht, „wenn alle erschöpft sind“, wirklich vermeiden wolle.
Der Tag endet, wie er begonnen hat: mit Worthülsen und Schweigen. Katrin Göring-Eckardt verlässt den Tagungsort. Wie es war? „Alles gut. Schönes Wetter.“Sie wagt dann noch eine Prognose: „Es geht weiter.“Kaum zu glauben. Ring frei für die nächste Sondierungsrunde. Am Montag ist es so weit.