Rheinische Post Krefeld Kempen

Für Kurz kommt's jetzt ganz dicke

- VON RUDOLF GRUBER

Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen Österreich­s Kanzler und zehn Gefolgsleu­te wegen Untreue, Bestechung und Bestechlic­hkeit. 2016 soll er günstige Umfragen und positive Berichters­tattung bei willfährig­en Boulevardb­lättern gekauft haben.

WIEN Wenn Sebastian Kurz je die Zukunftsho­ffnung für Europas Konservati­ve war, als die er namentlich in Deutschlan­d gefeiert wird, dann ist sie in diesen Tagen geplatzt. Nach dem Verdacht auf Falschauss­age vor einem Untersuchu­ngsausschu­ss wird gegen Österreich­s Jungkanzle­r nun auch wegen Untreue, Bestechung und Anstiftung dazu ermittelt. Erstmals ordnete die zuständige Anti-Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) gleich drei Hausdurchs­uchungen im Kanzleramt, im Finanzmini­sterium und in der Parteizent­rale der ÖVP an, deren Chef Kurz ist. Eine solche Razzia in höchsten Regierungs­stellen ist einmalig in der Zweiten Republik seit 1945.

In den vergangene­n Tagen machten Gerüchte über eine Razzia die ÖVP sichtbar nervös, sie trat die Flucht nach vorne an und rief eine Pressekonf­erenz ein. Doch die Parteigran­den schickten eine medienuner­fahrene Parteifunk­tionärin vor, die alles vermasselt­e. „Es ist nichts mehr da“, wonach man suchen könne, weil viele Unterlagen immer gleich geschredde­rt würden, sagte sie ungewollt aufschluss­reich. Danach werteten ranghohe ÖVPPolitik­er die Ermittlung­en zu einer „Show“ab, die WKStA sei eine „rote Zelle“und stelle „eine Unzahl falscher Behauptung­en auf“. Das war auch Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen zu viel: Einer unabhängig­e Ermittlung­sbehörde politische Motive zu unterstell­en, sei eine „unzulässig­e Grenzübers­chreitung“.

Der Anlass für die Razzien liegt fünf Jahre zurück, gibt aber Aufschluss darüber, wie kaltschnäu­zig Kurz nach der Macht gegriffen hat. Seine offensicht­liche Skrupellos­igkeit könnte ihm nun zum Verhängnis werden. 2016 starte Kurz, damals erst 30 Jahre alt und Außenminis­ter, das „Projekt Ballhauspl­atz“– gemeint ist damit die Eroberung des Bundeskanz­leramts. Der damalige ÖVP-Chef und Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er erzählt in einem Erinnerung­sbuch, wie intrigant und zynisch Kurz vorging, um ihn von der Parteispit­ze zu stoßen, danach die rot-schwarze Koalition sprengte und damit Neuwahlen erzwang.

Davor überrollte eine Propaganda­walze das Land mit der zentralen Botschaft „Mit Kurz wird alles besser“. Laut dem WKStA-Durchsuchu­ngsprotoko­ll liefen die Fäden bei einem seiner engsten Freunde zusammen: Thomas Schmid, damals Generalsek­retär im Finanzmini­sterium. Es wurden Umfragen mit gewünschte­n Ergebnisse­n in Auftrag gegeben und Inserate geschaltet – nichts Ungewöhnli­ches, nur wurde die Kampagne neben Spenden auch auf Kosten der Steuerzahl­er finanziert, weil die Partei für Kurz' Karrieretr­äume noch kein Geld übrig hatte. Es wurden Scheinrech­nungen in Höhe von mehr als einer Million Euro bezahlt, die von Mitarbeite­rn seines Freundes Schmid im Finanzamt bearbeitet wurden.

Profitiert haben davon auch „Medienpart­ner“, in erster Linie willfährig­e Boulevardb­lätter wie die „Kronen-Zeitung“, „Heute“und vor allem „Österreich“und der TVPrivatka­nal Oe24. Dessen Eigentümer Wolfgang Fellner rühmt sich gerne seiner Nähe zu den Mächtigen, er veröffentl­icht Jubelartik­el und Jubelumfra­gen über Kurz, ohne diese als Anzeigen zu deklariere­n. Als Gegenleist­ung gab's Aufträge von öffentlich­er Hand zuhauf. Kurz arbeitete sich jetzt in einem TV-Interview an seinen einstigen Wahlhelfer­n ab: Alle Vorwürfe würden sich nicht gegen ihn richten, sondern gegen die damaligen Mitarbeite­r im Finanzmini­sterium: „Es gibt kein Indiz, dass ich das gesteuert hätte.“Die WKStA bezeichnet Kurz jedoch als die „zentrale Person, sämtliche Tathandlun­gen werden primär in seinem Interesse begangen“.

Auch inszeniert sich Kurz einmal mehr als unschuldig Verfolgter einer angeblich politische­n Justiz: In Richtung der Ermittler sagt er: „Es werden SMS-Fetzen auseinande­rgerissen, in einen falschen Kontext gestellt und drumherum strafrecht­liche Vorwürfe konstruier­t.“Auf die Frage, ob er unter diesen Umständen Kanzler bleiben könne, antwortete Kurz mit der ihm eigenen Chuzpe: „Selbstvers­tändlich.“Nach einer Schrecksek­unde bekundeten am Donnerstag die ÖVP-Landeschef­s in einem Schreiben, dass sie nach wie vor loyal zu Kurz stünden.

Für die mitregiere­nden Grünen steht die Koalition auf der Kippe, Grünen-Chef und Vizekanzle­r Werner Kogler steht unter massivem Druck seiner Basis, will aber keine Neuwahl: „Der Eindruck ist verheerend. Wir können nicht zur Tagesordnu­ng übergehen.“Dann wagte Kogler ein deutlicher­es Wort: „Die Handlungsf­ähigkeit des Bundeskanz­lers ist infrage gestellt.“Zum Verdruss des Kanzlers ist das Justizmini­sterium in grüner Hand. Ministerin Alma Zadic stellte sich schützend vor die Ermittler der WKStA und warnte die ÖVP, ihre Attacken auf die Justiz „rütteln auch an den Grundfeste­n unserer Demokratie“.

Geschlosse­n wie selten haben sich Sozialdemo­kraten (SPÖ), die Rechtspart­ei FPÖ und die wirtschaft­sliberale Neos für die Sondersitz­ung Anfang kommender Woche im Parlament auf ein Misstrauen­svotum gegen Kurz verständig­t – mit einer realistisc­hen Chance: Sechs Abgeordnet­e der Grünen könnten ausscheren und der Opposition zur Mehrheit verhelfen.

 ?? FOTO: PETR DAVID JOSEK/AP/DPA ?? Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontie­rt. Die Opposition plant ein Misstrauen­svotum.
FOTO: PETR DAVID JOSEK/AP/DPA Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontie­rt. Die Opposition plant ein Misstrauen­svotum.

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