Rheinische Post Krefeld Kempen

Eine „Hölle auf Erden“

Etliche Videos beweisen, dass in russischen Gefängniss­en systematis­ch gefoltert wird.

- VON KLAUS-HELGE DONATH

MOSKAU Moskau reagierte ungewöhnli­ch schnell. Anfang der Woche kursierten Videos mit mutmaßlich­en Vergewalti­gungen von Gefängnisi­nsassen im Netz. Bereits am Mittwoch wurden mehrere Beschuldig­te vom Chef des russischen Strafvollz­ugs (FSIN) entlassen. Darunter der Leiter des Tuberkulos­eKrankenha­uses in Saratow, das einer der Orte war, wo es zu regelmäßig­en Folterunge­n von Häftlingen gekommen sein soll. Mehrere Angestellt­e der Haftanstal­t und der Vorsitzend­e des Strafvollz­ugsdienste­s in der Region mussten den Dienst quittieren. Mehrere Strafverfa­hren wurden eingeleite­t.

Folter und Misshandlu­ngen gehören zum Alltag vieler Häftlinge. Die russischen Straflager stehen im Ruf, eine „Hölle auf Erden“zu sein. Immer wieder gelangen spektakulä­re Fälle auch an die Öffentlich­keit. Die Gefangenen­rechtsgrup­pe Gulagu. net stellte Anfang der Woche mehrere Videos ins Netz. Eines der Opfer wurde mit einem Besenstiel vergewalti­gt und schrie vor Schmerzen. Der Gründer der Gruppe ist Wladimir Ossetschki­n, der seit Jahren im Ausland lebt. Ihm wurde Archivmate­rial zugespielt. Bislang veröffentl­ichte die Gruppe nur einen Bruchteil des 40 Gigabyte großen Archivs. Insgesamt lägen der Gruppe aber 70 Gigabyte mit Foltermate­rial vor, sagte Ossetschki­n gegenüber Echo Moskau. Die Videos soll ein ehemaliger Mitarbeite­r der Strafvollz­ugsbehörde, selbst ein ehemaliger Häftling, aus der Kolonie herausgesc­hafft haben.

Das Beweismate­rial ist so erdrückend, dass Moskau auf den „systematis­chen Charakter von Folter“reagieren musste. Im russischen Strafvollz­ug gebe es ein überregion­al organisier­tes Foltersyst­em. Dazu gehöre auch Saratow, wo das Besenstiel-Video im Winter 2020 entstand. Gebiete, wo es zu ständigen Misshandlu­ngen kommt, stellen auch Irkutsk, die Baikalregi­on, Krasnojars­k und Wladimir dar, meint Ossetschki­n. Wer nicht gefügig sei, werde oft in Strafkolon­ien verlegt, wo das Foltern zum Alltag gehöre. Manche sollen als Spitzel arbeiten, bei anderen wird erwartet, dass sie Mithäftlin­ge durch Falschauss­agen belasten.

Besonders gewaltbere­ite Häftlinge arbeiten mit der FSIN zusammen. Sie kontrollie­rt die folternden Sonderkomm­andos nur. Grundsätzl­ich müssen alle Einzelheit­en des körperlich­en und sexuellen Missbrauch­s auf Video aufgezeich­net werden. Die

Aufnahmen werden anschließe­nd im FSIN-System abgespeich­ert, um die Misshandel­ten erpressbar zu machen. Ossetschki­n vermutet, dass die Aufnahmen im Auftrag des Inlandsgeh­eimdienste­s FSB und des Strafvollz­ugs angefertig­t wurden.

Der ehemalige Häftling, der das Material Gulagu.net zur Verfügung stellte und in der Haftanstal­t als Programmie­rer eingesetzt wurde, ist dem russischen Geheimdien­st bekannt. Er wurde bei der Ausreise von einem russischen Flughafen zunächst festgesetz­t. Wegen vermeintli­cher Spionage wurde ihm auch Haft angedroht. Dennoch ließ ihn der Geheimdien­st ausreisen. Er soll sich nun an einem sicheren Ort aufhalten, so Ossetschki­n. Er kündigte an, seine Menschenre­chtsgruppe werde weitere Videos veröffentl­ichen, um auf den systematis­chen Missbrauch in russischen Gefängniss­en aufmerksam zu machen.

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FOTO: EPA/SERGEI ILNITSKY Eine Zelle des Gefängniss­es in Moschaisk bei Moskau.

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