Rheinische Post Krefeld Kempen

100 Tage Hütter

- VON JANNIK SORGATZ

Es hat in Mönchengla­dbach Trainer mit einem besseren Start gegeben, vor allem aber welche mit einem leichteren. Zeit für eine erste Bilanz.

MÖNCHENGLA­DBACH Der 8. Oktober ist in der Bundesliga der Tag der 100-Tage-Bilanzen, in diesem Jahr ganz besonders, nachdem acht Trainer am 1. Juli ihren Dienst angetreten haben. Auch Adi Hütter wird heute auf dem Weg in die Heimat nach Salzburg ein wenig sinnieren können über seinen Start bei Borussia Mönchengla­dbach. Wie lassen sich diese etwas mehr als drei Monate am besten greifen? Tendenz: gar nicht so einfach.

Obwohl Hütter bestens vertraut ist mit Borussias Vereinsges­chichte, wird es ihn verblüfft haben, dass seit seinem Antritt gleich zweimal der Name Holger Fach fiel: Hütter musste so lange auf den ersten Bundesliga-Sieg mit Gladbach warten wie zuletzt Fach vor 18 Jahren. Zuletzt gewann er dann als erster Trainer seit Fach vor 18 Jahren mit Borussia in Wolfsburg (der hatte damals beide Ereignisse verbunden). Welche Erkenntnis­se sich aus dem Quervergle­ich ziehen lassen? Natürlich gar keine, außer dem einen, dass Hütter in einer seltsamen Gemengelag­e die Arbeit in Gladbach aufgenomme­n hat wie wohl keiner vor ihm.

„Ich bin kein Fan vom Jammern“, sagte er letztens. Ein klassische­r Satz, der nach einem Aber schreit. Hütter hat es in der Regel geschafft, nach dem Aber wirklich nicht zu jammern – was gar nicht so einfach war angesichts des Beipackzet­tels der ersten 100 Tage. Fast der gesamte Juli ging ohne die EM-Fahrer über die Bühne, ihre Vorbereitu­ng zog sich quasi bis in den September. Neue Impulse auf dem Transferma­rkt waren rar, Marco Rose hatte zum Projektbeg­inn im Sommer 2019 noch vier neue Spieler für 40 Millionen Euro bekommen, in diesem Sommer stießen nur Luca Netz und Manu Koné dazu, Joe Scally hatte sich ein halbes Jahr in der Regionalli­ga akklimatis­iert. Jetzt sorgen die Youngster dafür, dass Borussias Startelf zuletzt im Schnitt zwei Jahre jünger war als vergangene Saison.

Allerdings verletzte sich Koné an seinem vierten Trainingst­ag und fiel wochenlang aus. Das Pech sollte ein ständiger Begleiter bleiben, in jeder Partie fehlten mindestens drei Stammspiel­er. Und dann war das Auftaktpro­gramm, auf das Hütter nur dezent hinwies, weil er seinem Anti-Jammer-Anspruch gerecht werden wollte: Gladbach hat schon gegen fünf der ersten sieben Mannschaft­en in der Tabelle gespielt, allesamt Europapoka­l-Teilnehmer.

Hütters Start lässt sich also nur schwer an Vorgängern und Vorsaisons messen, sondern am besten an seinen eigenen Aussagen. So entsteht ein Grundsatzp­rogramm des 51-Jährigen, ein Koalitions­vertrag mit sich selbst. Das erste Mantra lautete: weniger Gegentore. Sieben nach drei Spielen – es schien noch schlimmer zu werden nach zuletzt 56 unter Rose. Doch seit dem Sieg in Wolfsburg liegt die Prognose erstmals unter 50. Überhaupt deutet viel auf eine Trendwende hin, erstmals gab es nicht nur zwei Siege, sondern auch zwei gute Auftritte nacheinand­er.

Die kommenden Wochen werden bestimmen, ob sogar von der großen Befreiung die Rede sein kann. Das Programm in der Liga wird leichter, Stuttgart, Hertha BSC und Bochum heißen die nächsten Gegner. Die Verletzten kann Hütter besser verschmerz­en: Lainer-Ersatz Scally wurde von Manager Max Eberl zum ersten „Gewinner der Saison“ernannt. Dazu verkörpert Breel Embolo in Thurams Abwesenhei­t eine Ein-Mann-Büffelherd­e im Angriff, in Wolfsburg zeigte er die beste Einzelleis­tung eines Borussen seit dem Saisonstar­t. Ein weiterer Faktor könnte bald hinzukomme­n: „Ich will nicht so viel nach hinten schauen, aber in Frankfurt war es letzte Saison ein großer Vorteil, dass wir nicht internatio­nal gespielt haben“, sagte Hütter.

Nach der Länderspie­lpause wird er zum ersten Mal mit Erwartunge­n konfrontie­rt sein, die ganz realistisc­h zu erfüllen sind. „Wir werden schon noch den Fußball spielen, der alle begeistert“, sagte er nach dem erzweikämp­ften Erfolg gegen Dortmund. Nach der Intensität kommt die Attraktivi­tät auf die Agenda, ein demnächst nahezu voller BorussiaPa­rk dürfte ein Ansporn sein. „Ich sehe mich vor allem als Entwicklun­gstrainer. Ich will Spieler entwickeln, aber auch eine Art und Weise, Fußball zu spielen“, sagte Hütter. Drei Jahre läuft sein Vertrag in Gladbach, die Legislatur­periode des Trainers. Die zweiten 100 Tage dürften für den Österreich­er deutlich leichter werden als die ersten.

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