Rheinische Post Krefeld Kempen

Modernes und Geschichte Regenburgs erleben

- VON KARIN WILLEN

In Regensburg tauchen Reisende in eine mittelalte­rliche Altstadt ein, die aber nicht wie ein Freilichtm­useum wirkt.

Seit Andreas Meier im Lockdown erlebt hat, mit welchem Vergnügen sein 14-jähriger Sohn Sauerkraut stampfte, statt die Schulbank zu drücken, scheint die Zukunft für den Nachwuchs unter Dach und Fach. Freude an der handwerkli­chen Tradition ist für den Vater die beste Voraussetz­ung, um eine gastronomi­sche Institutio­n in Regensburg zu übernehmen: das Wirtshaus Wurstkuche­l.

In Regensburg­s historisch­em Stadtkern gibt es viele Familienun­ternehmen, die sich auf das Handgemach­te und nachhaltig Produziert­e verstehen. Man findet sie in engen Gassen zwischen Patrizierh­äusern und Kapellen aus allen Kunstepoch­en des Mittelalte­rs. Hier bewegt man sich ganz selbstvers­tändlich zwischen Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft. Ohne ins

Altbackene oder Hippe auszuschla­gen oder das verstaubte Museale zu pflegen.

Das sehen jedoch nicht alle Einheimisc­hen so. Einigen ist die moderne Architektu­r des 2019 am Donauufer eröffneten Hauses der Bayerische­n Geschichte ein Dorn im Auge.

Abgesehen von diesem modernen Gebäude hält sich der Wandel in der Altstadt in Grenzen. Zwar werden heute in den Räumen eines ehemaligen Kolonialwa­renladens Tattoos gestochen. Die Manufaktur Bürsten Ernst konnte dagegen die Stellung halten. Sie ist mittlerwei­le der letzte Laden seiner Art in der Domstadt. Ein paar Gassen weiter bietet das Startup Thann Leder handgefert­igtes und pflanzlich gegerbtes Leder von Biorindern im kleinen Werkstattl­aden.

Der Wochenmark­t am Dom mit regionalen Produkten ist samstags gleicherma­ßen Treffpunkt wie Besucherma­gnet.

Wenn man sich auf dem Markt nicht über den Weg läuft, begegnet man sich im Café.

Da ist zum Beispiel das Café Goldenes Kreuz am Haidplatz, das schon im 16. Jahrhunder­t als Gasthof diente. Oder das Café Prinzess, eines der ersten Kaffeehäus­er Deutschlan­ds, das bereits im 17. Jahrhunder­t die Fürsten und Gesandten des

Immerwähre­nden Reichstags des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bewirtete. Dort gibt es heute unter anderem handgemach­te Pralinen zu kaufen.

Ein paar Schritte weiter modelliert die Manufaktur Hutkönig gegenüber des Doms seit 1875 von Hand Hüte – mit Kraft, Können und heißem Dampf.

Trachtenhü­te und ausgefalle­ne Kreationen gleicherma­ßen. „Ich bringe alle unter einen Hut“, kalauert Hutmacher Andreas Nuslan. Er arbeitet in vierter Generation am selben Platz und macht sich auch internatio­nal für das fast ausgestorb­ene Handwerk stark.

Warum gelingt ausgerechn­et hier am nördlichst­en Punkt der Donau und an den Mündungen von Regen und Naab der Spagat zwischen den Zeiten?

Vielleicht, weil hier seit alters viele vorbeikomm­en und mit einer Mischung aus Fleiß, Eigensinn und Originalit­ät einen Platz zum Bleiben finden. Schon in der Steinzeit wurde der Regensburg­er Donaubogen besiedelt. Die Römer kamen, etliche blieben. Böhmer stießen dazu und mischten sich mit denen, die schon da waren.

Als Andreas Meiers Vorfahren dem Stadtkämme­rer 1808 die Wurstkuchl abkauften, war das kleine Gebäude an der alten Stadtmauer schon 700 Jahre alt. Zwischen 1135 und 1146 diente es als Baubüro der Steinernen Brücke, die als Hauptwerk der mittelalte­rlichen Brückenbau­kunst gilt. Dann wurde das geduckte Häuschen eine Garküche für Hafenarbei­ter, später auch für die Steinmetze des Doms. Die Arbeit ging nie aus. Denn der Hafen, in dem heute Museumssch­iffe dümpeln, war lange Zeit ein wichtiger Umschlagpl­atz etwa für Salz.

Heute folgen Touristen dem Duft der „ältesten Bratwursts­tube der Welt“, wie Meier sein Geschäft gerichtsbe­stätigt nennen darf. Am Hauptprodu­kt hat sich seit Jahrhunder­ten nichts geändert: frische, hausgemach­te Würstchen aus purem Hinterschi­nken vom offenen Holzkohlen­grill mit Kraut aus dem eigenen Gärkeller mit ebenfalls hausgemach­tem süßem Senf.

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA-TMN Das Haus der Bayerische­n Geschichte an der Donau fällt sofort ins Auge – wegen seiner modernen Architektu­r.

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