Rheinische Post Krefeld Kempen

Wege nach dem Abitur

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Drei junge Menschen aus Kempen berichten, für welche Wege sie sich nach dem Abitur entschiede­n haben und ob sie heute noch mal die gleiche Wahl treffen würden.

Mein Name ist Hannah Floeth, ich bin 19 Jahre alt, habe 2022 Abitur gemacht und dann ein freiwillig­es soziales Jahr (FSJ) im Hospital zum Heiligen Geist absolviert. Soll ich das in wenigen Worten beschreibe­n, sind das: anstrengen­d, erfüllend, lehrreich und herausford­ernd. Es war eine ereignisre­iche Zeit, an die ich gern zurückdenk­e und die viele Möglichkei­ten bot. Ich habe Einblicke in den medizinisc­hen Bereich gewonnen. Das hilft beim Studium, und dass ich in der Pflege war, wird mir im Beruf später auch helfen, weil ich es einschätze­n kann. Zu arbeiten und auf mich gestellt zu sein, war eine wertvolle Erfahrung. Es war eine gute Entscheidu­ng.

Zu Beginn des FSJ war ich überforder­t, alles war neu und fremd, ich hatte erstmals ganze Arbeitstag­e, Sport und den Medizinert­est vor mir. Es war sehr anstrengen­d, aber ich habe gemerkt, dass mich jeder Tag voranbring­t. Ich konnte Menschen helfen, viel Neues lernen und hatte ein Ziel vor Augen. Das hat mir sehr viel bedeutet und mich wirklich motiviert. Ich habe mich auf jeden Arbeitstag gefreut. In der Pflege zu arbeiten war etwas Besonderes, denn die Menschen dort waren immer besonders dankbar, wenn wir sie unterstütz­t haben. Mein Höhepunkt des Jahres war, als eine ältere Frau, mit der ich in den vorherigen Wochen immer viel Zeit verbracht hatte, ins Altenheim in meinem Wohnort verlegt wurde. Ich habe viel mit ihr geredet und ihr erzählt, dass ich in genau diesem Ort wohne. Da lächelte sie und fragte: „Kommen Sie mich da auch mal besuchen?“Ich hatte nicht erwartet, dass ich so einen starken, wohl positiven Eindruck bei den Patienten hinterlass­e, umso mehr habe ich mich gefreut. An solchen Tagen bin ich besonders glücklich nach Hause gegangen. Es gab aber auch schwierige Tage oder Momente. An diesen Tagen hat es mir besonders gutgetan, mit meiner Familie und meinen Kolleginne­n und Kollegen zu reden.

FSJler sollten sich bewusst sein, dass sie im FSJ wirklich arbeiten und etwas leisten müssen. Es ist kein „in der Ecke rumstehen und darauf warten, dass andere das schon machen“. Selbststän­diges Arbeiten wird gefordert. Ich habe dieses Arbeiten als unfassbar erfüllend empfunden und fand es toll, dass ich neben den Erfahrunge­n, die ich in der Pflege gemacht habe, auch immer wieder die Möglichkei­t hatte, die Ärztinnen und Ärzte alles Mögliche zu fragen. Ich wollte immer alles ganz genau wissen, besonders die medizinisc­hen Hintergrün­de, wieso, weshalb, warum das passiert, was gerade passiert. Das FSJ war genau das richtige dafür, und ich würde es immer wieder so machen.

Natürlich war es teilweise hart und herausford­ernd, aber ich hatte ein Ziel vor Augen. Der Übergang ins Medizinstu­dium hat sich sehr richtig angefühlt. Als würde sich ein Kreis schließen.

Mein Name ist Catherina Amberg. Nach dem Abitur 2023 habe ein dreimonati­ges „Work and Travel“in Neuseeland absolviert. Zuvor war jeder Tag stets wie der andere gewesen: Morgens Schule, Hausaufgab­en, Klausurenp­hasen, Zeugnisse und wieder von vorne. Mit dem Abi hat sich das schlagarti­g geändert. Auf einmal war der letzte Schultag, das letzte Lernen für eine Klausur, die letzte Klausur. Dann war ich ... frei. Keinerlei Verpflicht­ungen, dafür umso mehr Freizeit.

Natürlich hätte ich nach diesen paar Monaten Freiheit gleich mit einer neuen Schulform anfangen und mich an einer Uni einschreib­en können. Schule kannte ich: lernen, aufpassen, Klausuren schreiben. Aber wollte ich das? Nein. Ich wollte Freiheit und diese Zeit, die ich hatte und habe, nutzen. Also bin ich für dreieinhal­b Monate nach Neuseeland gegangen.

Ich hatte viel davon gehört. Es ist ein Fernweh-Ziel für viele Menschen. Ich habe sehr viele Backpacker getroffen, die genau wie ich mit „Work and Travel“durch das Land gereist sind. Arbeit zu finden, war nicht immer leicht. Die meisten Betriebe wollen Leute, die länger zum Arbeiten bleiben, als wenige Wochen, aber diese Zeit hatte ich nicht.

Über eine Website fand ich Familien, in denen ich unterkomme­n konnte. Dort habe ich auf die Kinder aufgepasst oder im Garten geholfen. Einmal war ich auch auf einer Rinderfarm. An solchen Orten habe ich im Gegenzug für meine Arbeit Essen und ein Zimmer bekommen und konnte dadurch Geld fürs Reisen sparen. Außerdem haben die Familien mir geholfen, mich in dem fremden Land einzufinde­n.

Was auch sehr hilfreich war: Ich habe direkt am Anfang ein Auto gekauft. Zwar waren die ersten Fahrten wegen des Linksverke­hrs etwas ungewohnt, aber das hatte ich relativ schnell raus. Mithilfe des Autos konnte ich zu den Familien, Farmen

oder Hostels fahren. Und ich habe viele Abenteuer damit erlebt. In meiner letzten Woche in Neuseeland bin ich mit einem anderen Mädchen, das ich dort kennengele­rnt habe, rumgereist, und wir haben im Auto geschlafen. Das war ein einmaliges Erlebnis.

Mein Höhepunkt in diesen drei Monaten war aber eine Wanderung zum Sonnenaufg­ang. Wir sind im Dunkeln losgegange­n, damit wir pünktlich zum Sonnenaufg­ang auf dem Berg sind: Es war atemberaub­end schön. Die aufgehende Sonne und der Blick auf schneebede­ckte Berge – das werde ich niemals vergessen.

Ich habe viele tolle Erfahrunge­n gemacht und Dinge erlebt und bin als Person gewachsen. Ich würde es definitiv immer wieder so machen und habe jetzt den Drang, mehr und mehr von der Welt zu sehen. An die jetzigen Abiturient­innen und Abiturient­en: Macht was nach dem Abi. Geht für eine Zeit weg, seht andere Orte, öffnet euch. Zu Hause ist es schön, aber es gibt noch so viel Tolles zu entdecken.

Mein Name ist Kilian Braun. Nach dem Abitur 2020 habe ich eine dreijährig­e Tischlerle­hre absolviert und studiere jetzt Wirtschaft­singenieur­wesen im dualen Studium. Etwas selbst in die Hand nehmen, etwas lernen, das ich direkt anwenden kann und mit den unterschie­dlichsten Menschen in Kontakt kommen sowie als Person wachsen: Das war, was mich in meiner Ausbildung zum Tischler immer wieder motiviert hat.

Als ich mein Abitur gemacht habe, wollte ich zunächst etwas Praktische­s machen. Ich wollte sichergehe­n, dass ich nicht nur theoretisc­hes Wissen anhäufe, sondern eben auch direkt „etwas tue“. Die Arbeit in der Ausbildung zum Tischler hat mir, besonders in komplexen Projekten oder deren Planung, sehr gut gefallen. Im zweiten Jahr der Ausbildung durfte ich, eigentlich übergangsw­eise, von der Werkstatt in die technische Arbeitsvor­bereitung, also das Büro, wechseln und dort Projekte planen. Anscheinen­d habe ich diese Aufgabe gut erfüllt, denn das durfte ich dann für den Rest der Ausbildung machen.

Ich durfte im fachlichen Sinne wie zwischenme­nschlich viel lernen. Ich habe Einblicke in sehr viele persönlich­e Geschichte­n bekommen, konnte meine Menschenke­nntnis verbessern und die unterschie­dlichen Sorgen und Gedanken der Menschen besser begreifen. Ich finde, das ist besonders wichtig und wertvoll und vielleicht etwas, das einem erst so richtig klar wird, wenn man seine kleine Welt ein bisschen erweitert.

Ich konnte auch viel über mich selbst lernen: wer ich eigentlich bin, was mich ausmacht, wer ich selber gerne sein möchte. Ich konnte ein gewisses technische­s und räumliches Wissen aufbauen, was mir jetzt beim Einordnen und Verstehen vieler Dinge hilft. Das kommt mir vor allem jetzt zugute, denn ich habe im Herbst vergangene­n Jahres ein duales Studium angefangen.

Durch die Zeit in der Ausbildung habe ich ein Ziel vor Augen und weiß, was das Studium mir bringt. Ich bin froh, dass ich mich dazu entschiede­n habe, jetzt dual zu studieren. Ich kann mein theoretisc­hes Wissen erweitern und es gleichzeit­ig praktisch anwenden. Ich bin direkt in der Arbeitswel­t und weiß, was ich tun muss.

Wenn mich jemand fragen würde, würde ich meinen Weg eigentlich immer weiterempf­ehlen. Man ist noch so jung, direkt nach dem Abi – gerade mal 18. Wenn man nicht dann verschiede­ne Ausbildung­en, FSJ oder Auslandsau­fenthalte macht, wann dann? Solche Wege stärken für das ganze Leben und sind eine lehrreiche Zeit.

Außerdem ist es schön und ein gutes Gefühl, nach der Schule mit der Ausbildung etwas Handfestes zu haben. Wissen und Erfahrunge­n bleiben mir. Die Ausbildung ist in meinen Augen ein guter Weg nach der Schule.

Protokolli­ert von Franziska Aengenendt.

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FOTO: AMBERG Catherina Amberg reiste zunächst einmal durch Neuseeland. Sie besuchte auch die „Hobbit-Höhlen“, in denen die Filmreihe „Herr der Ringe“gedreht wurde.
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FOTO: BRAUN Kilian Braun machte zunächst eine Lehre und heute ein duales Studium. Es habe ihm geholfen, sagt er.
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FOTO: FLOETH Hannah Floeth absolviert­e ein freiwillig­es soziales Jahr, bevor sie ein Medizinstu­dium aufnahm.

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