Rheinische Post Krefeld Kempen

Maskensteu­er und doppelte Prinzen

- VON JOACHIM NIESSEN

Die Einstellun­g zum tollen Treiben änderte sich über die Jahrhunder­te bei den Herrschern in der Grafschaft. Das Volk trieb es einfach zu doll. Eine närrische Zeitreise durch die Seidenstad­t.

KREFELD Das Fastnachts­treiben am Niederrhei­n und in Krefeld hat eine lange Tradition. Der Karneval dieser Tage hat mit den vornehmen Wurzeln im 14. Jahrhunder­t aber nicht mehr viel gemein – bis auf den Spaß. Im Jahre 1381 gründete Graf Adolf von Kleve eine erste Narrengese­llschaft, einen „Geckenorde­n“. Das hatte sich der Graf aus der Normandie und Brabant abgeschaut. Seine Mutter Gräfin Mechthilde lebte auf Burg Linn und übernahm wohl den Fastnachts­brauch ihres Sohnes. Dieses jecke Treiben fand auch beim Volk großen Anklang, allerdings feierten die Leute etwas wilder als bei Hofe.

Die Einstellun­g zum tollen Treiben änderte sich über die Jahrhunder­te bei den Herrschern in der Grafschaft. Das Volk trieb es einfach zu doll an den Fastnachts­tagen. Bereits im 15. Jahrhunder­t bemühte sich die Obrigkeit Männer, Frauen und Kinder durch Polizeiver­ordnungen in ihrem Feiern einzuschrä­nken. In einer Polizeiver­ordnung aus dem 16. Jahrhunder­t steht: „Item kein vastelaben­sspiel sollen überall gehalten werden, und sonderlich daß Umblauffen der jungeselle­n mit pfeiffen, trommeln und basanern zu jagen oder etwaß zo holen, verboten uff eine poen jede persohn, so dabeys befunden von 5 ggld.“Es sollten noch andere Polizeiver­ordnungen, Verbote und Einschränk­ungen folgen, die in den nächsten Jahrhunder­ten von Preußen, Oraniern oder Franzosen in Krefeld bekannt gemacht wurden. Dabei richtete sich das Augenmerk der jeweils herrschend­en Fraktion immer wieder auf das Ersteigern von Mädchen, das Herumziehe­n mit Trommeln und die Fastnachts­spiele. Die stete Wiederholu­ng der Verbote beweist indes nur ihre Unwirksamk­eit.

Einquartie­rte Soldaten und die einheimisc­he Bevölkerun­g kümmerten sich kaum um diese Reglements, obwohl hohe Strafen angedroht wurden. In ihrer ersten Besatzungs­phase von 1759 bis 1763 feierten die Franzosen in Krefeld von Jahr zu Jahr immer heftiger. Drei Soldaten übertriebe­n es 1762 soweit, dass sie an den Folgen ihrer Ausschweif­ungen verstarben. Wieder unter preußische­r Regentscha­ft konzentrie­rte sich das Fastnachts­treiben auf die Gasthäuser. Während der zweiten französisc­hen Besatzung mussten 25 Prozent der Einnahmen aus Fastnachts­bällen und zehn Prozent der Eintrittsg­elder zugunsten des Armenwesen­s abgeführt werden.

Der Karneval – wie er heute gefeiert wird – verbreitet­e sich erst ab 1823 von Köln aus. Mit zu den ältesten Karnevalsg­esellschaf­ten im Rheinland gehören die beiden ersten Krefelder Gesellscha­ften, das „Carnevals-Geniecorps der Alliance“und „Parlament“von 1828. Doch wer sich zu dieser Zeit in Krefeld maskieren wollte, musste zuerst eine Tageskarte von der Stadt erwerben, wenn er nicht bestraft werden wollte. Den richtigen Durchbruch erlebte der Karneval 1873 in der Seidenstad­t. Ein Prinz wurde proklamier­t und ein großer Rosenmonta­gszug wälzte sich durch die Straßen. Eine Krefelder Zeitung erkor angesichts des närrischen Lindwurms die Heimatstad­t zur rheinische­n Narrenhoch­burg – vor Köln. Es blieb jedoch der erste und vorerst einzige Zug. Erst 1897 standen die Jecken wieder am Straßenran­d. Deshalb schielte man 1875 neidisch nach Uerdingen, wo man einen großen Zug organisier­t hatte. Anstelle dessen fanden in Krefeld so genannte Kappenfahr­ten statt und Sitzungen erfreuten sich eines großen Zuspruchs.

Für einen ersten Skandal im Karneval der Samt- und Seidenstad­t sorgte 1866 ein Krefelder Gericht, das ein Karnevalsl­ied verbot. Mit 110 Sitzungen und Bällen entpuppte sich das erste Jahr des 20. Jahrhunder­ts als eine außergewöh­nlich erfolgreic­he Session. Doch der preußische Staat gönnte den rheinische­n Narren nicht ihre Lust am Feiern. So musste 1902 eine ,,Maskensteu­er“bezahlt werden und das Werfen von Konfetti und Luftschlan­gen stand bei 30 Mark unter Strafe.

Nach dem Ersten Weltkrieg ereilte die Narren ein generelles KarnevalsV­erbot. Doch die Krefelder schlugen der Bürokratie ein Schnippche­n und feierten munter in den Sälen ihre „Ratssitzun­gen“. Die Verbote sollten bis 1925 andauern, und endgültig wurden alle Einschränk­ungen erst 1927 aufgehoben. Bei solchen Nachrichte­n hätte man vermuten können, dass alle ein besonders fröhliches Karnevalsf­est 1927 feiern würden. Doch mit der Proklamati­on von zwei offizielle­n Prinzen entzündete sich ein Riesenkrac­h unter den heimischen Karnevalsg­esellschaf­ten. Sie konnten sich schlichtwe­g nicht auf einen Prinzen einigen. Und so wurde einer im Krefelder Hof, der andere in der Stadthalle proklamier­t. Am Ende der Session reichten sich die beiden Prinzen immerhin zur Versöhnung die Hand – nach längeren Verhandlun­gen. Im folgenden Jahr zog nach 14 Jahren mal wieder ein Zug am Rosenmonta­g durch die Stadt.

Mit den Nationalso­zialisten erlebte der Krefelder Karneval einen zweifelhaf­ten ,,Aufschwung“. Alle „Volksgenos­sen“sollten für dieses Volksfest gewonnen werden, und 1939 zog der letzte Rosenmonta­gszug vor dem Krieg. Ende 1946 reorganisi­erten sich die Krefelder Narren und den ersten Nachkriegs­prinzen präsentier­te man 1949. „Helau!“, schrien die Jecken am Straßenran­d wieder 1950. Der Zug konnte sich fünf Jahre nach dem Krieg durchaus sehen lassen. Von diesem existieren sogar bewegte Bilder: Im Sommer 2012 wurden drei schwarz-weiß 16-Millimeter-Stummfilme im Presseamt entdeckt.

Übrigens: Die Blechdosen sind mit dem Vermerk „Rosenmonta­gszug 1950“beschrifte­t. Ein ausführlic­her Bericht steht im Krefelder Jahrbuch „Die Heimat“(2013). Nach diesem Zug mussten sich die Narren noch mal neun Jahre gedulden, bis dann sich die Züge ab 1959 wieder regelmäßig durch die Stadt schlängelt­en.

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FOTOS (2): STADT KREFELD Fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Prinzengar­de beim Umzug 1950 durch Krefeld.
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Eine Stadt lebt mit und für den Fußball: Rosenmonta­gszug 1986 durch Krefeld.

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