Rheinische Post Krefeld Kempen
Fotos über Urbanität: Verfall in Beton
Neustart der Kunst im leeren Ladenlokal an der Marktstraße: Dort werden im Laufe des Jahres „künstlerische Interventionen“zu sehen sein. Auftakt ist eine Ausstellung mit niederschmetternden Fotos aus Lettland und Belarus.
KREFELD Es ist ein idealer Rahmen für diese Fotos, vor allem wenn man ihre Geschichte kennt: Das leere, etwas heruntergekommene, dennoch morbiden Charme ausstrahlende Ladenlokal von ehemals „city-reisebüro wallrath“ist zum Ausstellungsraum für Bilder aus Belarus und Lettland geworden. Der Künstler Manuel Schroeder hat sie zwischen 2013 und 2019 in Lettland und Belarus gemacht. Überall Ärmlichkeit und Verfall in Beton – ein Trauerspiel. Der Name der Ausstellung ist auch eine politische Aussage: „Im Osten ging die Sonne auf.“Heute, sagt Schroeder, „geht die Sonne nicht mehr im Osten auf, vom Osten geht heute ein finsteres Element aus“– er meint den Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine und die Bedrohungen der anderen Länder. „In Lettland leben 25 Prozent Russen. Wenn die Putin um Hilfe rufen, ist auch Lettland bedroht“, sagt er. Jenseits der Bilder zeigt er sich begeistert von dem Ladenlokal: „Der Raum bringt viel Potenzial mit sich.“Die Ausstellung wird am Samstag, 14 Uhr, offiziell eröffnet und ist der Auftakt zum diesjährigen Programm im Rahmen des „forum contemporary art“(Forum zeitgenössischer Kunst) – Titel „TransformARTor“. Das ganze Jahr über werden in dem Laden Kunstprojekte zu sehen sein.
Es geht um Ausstellungen der bildenden Künste, Licht- und Klanginstallationen, Tanzaufführungen,
Theateraufführungen. „Wir möchten Leerstand als Chance ins Bewusstsein der Leute tragen und nicht als Trauerspiel“, sagt Schroeder. Die Leere eines Ladens sei wie die leere Leinwand des Malers.
Es geht dabei um Urbanität, um Krefeld, um die Stadt als Lebensraum,
um „öffentliche Diskurse in der Krefelder Innenstadt“, wie es im Untertitel zu dem Jahresprogramm heißt. „Wir werden“, sagt Schroeder blumig und ein bisschen schlitzohrig verrätselt, „Interventionen in die Stadt hineinfließen lassen“.
Wichtiges Utensil dazu ist ein
schwarzes E-Bike sowie ein Soundgerät, mit dem Texte und allerlei Klang in die City getragen werden sollen. Die Texte werden von dem Kölner Schauspieler Thomas Krutmann vorgetragen, auch er ein wesentliches Mitglied und Künstler im „Kunstverein Raumordnung“. Zur
Probe trägt er bei der Vorstellung der Ausstellung einen Text über eine Stadt vor, die sich verändert und doch immer gleich bleibt: Der Text geht auf eine von ihm bearbeitete Zusammenstellung von Texten aus Goethes „Hermann und Dorothea“und von Rolf Dieter Brinkmann zurück, einem Avantgarde-Schriftsteller, der 1975 als Fußgänger in London von einem Auto erfasst und getötet wurde – der Linksverkehr wurde ihm zum Verhängnis.
Das Ladenlokal soll so bald als möglich schwarz gestrichen werden, berichtet Schroeder – so ließen sich die Ausdrucksmöglichkeiten vertiefen. Zurzeit hapert es an Handwerkern, es seien einfach keine zu bekommen. Dazu gibt es ein Spezialproblem Mülleimer: Neben dem Laden steht ein Mülleimer, der nicht schön ist und die Kunstanmutung stört; Schroeder ist zuversichtlich, dass die Stadt ihn entfernen oder versetzen wird, zumal er dem Vernehmen nach nicht geleert werden kann. Die Mechanik soll defekt sein.
Die Fotoausstellung wird am Samstag, 3. März, 14 Uhr, offiziell eröffnet. Zu sehen ist sie bis zum 29. März. Schröder kennt Belarus und Lettland sehr gut. „Der Osten hat sich nie von der massiven Architektur und Stilistik der Sowjetzeit erholt. Lettland wirkt wesentlich verfallener als Belarus.“In der Hauptstadt Riga sei sehr viel investiert worden, der Rest sei geprägt von Dürftigkeit und Verfall.
Die Fotos passen zu einem der wesentlichen Ziele des „Kunstverein Raumordnung“: Der in Krefeld ansässige Verein – der in Berlin eine „Black Box“unterhält und Künstlern die Chance gibt, in Berlin auszustellen – reflektiert mit seinen Projekten Urbanität und Leben in der Stadt: „Die menschlichen Facetten des urbanen Alltags, soziale und architektonische Texturen der Städte, der gesellschaftliche und urbane Wandel im humanistischen Kontext sind Inspiration und Basis unserer künstlerischen Arbeit“, heißt es dazu.