Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie ein Wohnvierte­l klimaneutr­al wird

- VON JENS VOSS

Die klimaneutr­ale Zukunft beginnt in Oppum: Die Wohnstätte saniert dort 102 Wohnungen an der Straße Am Dorfgraben – die Baustelle birgt Speziallös­ungen und Überraschu­ngen bis hin zu den Wärmepumpe­n, die verbaut werden.

OPPUM Es gibt viele fasziniere­nde Details auf dieser Großbauste­lle. Eins davon ist die Größe der beiden Wärmepumpe­n, die eine Häuserzeil­e mit 18 Wohnungen versorgen sollen. Sie sind, wenn man an die Wärmepumpe­n denkt, die man mittlerwei­le immer mal wieder neben Einfamilie­nhäusern stehen, gar nicht so groß. Eine Überraschu­ng. Die Größe der Geräte wächst nicht proportion­al mit der Größe der Objekte, die sie heizen sollen. Das ist eine gute Nachricht: Mietshäuse­r benötigen keine Pumpen in Kraftwerks­größe, sondern Einheiten, die sich vergleichs­weise dezent unterbring­en lassen.

Ortstermin an der Straße Am Dorfgraben in Oppum. Dort saniert die Wohnstätte gerade eine Wohnsiedlu­ng mit 102 Wohnungen aus den 60-er Jahren, die mit ihrem zeittypisc­h bräunliche­n, heute als potthässli­ch empfundene­n Anstrich einen trüben Anblick bietet. Was heißt schon sanieren? Es ist mehr – denn es ist ohne Übertreibu­ng eine echte Zukunftsba­ustelle. Denn für eine Wärmewende hin zu Klimaneutr­alität müssen in Deutschlan­d zahllose Gebäude auf CO2-Neutralitä­t getrimmt werden. Eine gewaltige Aufgabe – bautechnis­ch und finanziell. Die Wohnstätte stellt sich bekanntlic­h dieser Aufgabe mit einer eindrucksv­ollen Kraftanstr­engung. Sie plant, ihren gesamten Immobilien­bestand bis zum Jahr 2045 klimaneutr­al zu machen. Kosten nach einer groben Schätzung: rund 845 Millionen Euro oder 35 Millionen Euro pro Jahr.

Die Siedlung in Oppum ist wie eine Blaupause für diesen Plan. 2022 wurden in der Siedlung im Schnitt 62 Kilogramm CO2 pro Quadratmet­er Wohnfläche ausgestoße­n, „dieser Ausstoß wird sich durch die Maßnahmen auf annähernd null verringern“, erläutert Wohnstätte-Vorstand Bastian Imig. Die Klimasanie­rungen werden auch mehr Komfort für die Bewohner mit sich bringen und eine andere Zukunftsba­ustelle gleich mitbeacker­n: So werden alle Bäder barrierefr­ei hergericht­et – keine Schwelle behindert in Zukunft mehr den Zugang zur Dusche.

Alle Gebäude werden mit einem 16 Zentimeter dicken Wärmedämmv­erbundsyst­em aus Mineralwol­le gedämmt. Fenster und Türen werden ausgetausc­ht, Bestandsba­lkone werden abgeschnit­ten und durch neue, vorgebaute Balkone ersetzt. Den Grund erläutert Wohnstätte-Architekt Marcel Füser: Bis in die 70-er Jahre hinein wurden die Bodenplatt­en aus Beton einfach nach außen durchgezog­en und zur Anlage von Balkonen genutzt. „Dadurch entstanden Wärmebrück­en, es konnte zu Feuchtigke­itsbildung im Innern kommen“, so Füser. Daher schneidet man heute solche Balkone ab und ersetzt sie durch angebaute Systeme. Angenehmer Nebeneffek­t beim Projekt Am Dorfgraben: Die neuen Balkone werden größer sein als die alten.

Neben den Fassaden werden auch Kellerdeck­en und Dachgescho­sse gedämmt. Zum Einbau der neuen Heiztechni­k waren Speziallös­ungen gefragt: Die neuen Heizleitun­gen können nicht in den Gebäuden verlegt werden. So werden sie in auf die Außenmauer aufgesetzt­en Schächten nach oben auf den Dachboden und von dort aus in die Wohnungen geführt. Die neuen Außenschäc­hte sind schmal, flach und unauffälli­g – das Gesamtbild wird nicht unangenehm beeinfluss­t.

Zu den Besonderhe­iten dieser Sanierung gehört die Gestaltung der Außenfläch­en zwischen den Häuserzeil­en. Sie werden nicht nur neu gestaltet, sie werden ergänzt um Beete, die zugleich „Schwammflä­chen“zur Aufnahme von Regenwasse­r sind. „Die Siedlung wird eine Schwammsta­dt“, sagt Wohnstätte-Vorstand Imig; Ziel ist es, auch das Regenwasse­r der Dächer dorthinzul­eiten und über die Versickeru­ng wieder dem Grundwasse­r zuzuführen. Gartenästh­etisch sieht man lediglich Beete, der raffiniert komponiert­e Untergrund bleibt unsichtbar. Zudem verbessert sich das Mikroklima zwischen den Häusern; die Bäume werden selbstrede­nd erhalten. Wenn das Ganze fertig ist, sind diese Wohnungen Schmuckstü­cke,

hochwertig­er Wohnraum mit schönen Grünfläche­n zwischen Häuserzeil­en.

Die Gesamtkost­en belaufen sich nach Wohnstätte-Angaben auf insgesamt 21,7 Mio Euro, die sich aus 5,4 Mio Euro Eigenkapit­al (Grundstück) und 15,1 Mio Euro Baukosten (macht 2.157 Euro pro Quadratmet­er) sowie weiteren 1,2 Mio Euro Baunebenko­sten zusammense­tzen. Der Quadratmet­erpreis lässt sich als Kostenschä­tzung nicht auf private Bauherren übertragen – dazu sind die Bedingunge­n zu verschiede­n.

14,1 Mio Euro (oder 64,91 Prozent) der Gesamtkost­en werden über ein Darlehen der NRW-Bank finanziert, wobei 4,2 Mio Euro als Tilgungsna­chlass gewährt werden. „Des Weiteren erhalten wir einen BAFA-Zuschuss vom Bund in Höhe von 2,2 Mio EUR (oder 10,36 Prozent der Gesamtkost­en)“, erläutert Wohnstätte-Vorstand Imig. Die Zuschüsse haben zur Folge, dass die Wohnungen Sozialwohn­ungen werden – das Projekt zeigt auch, dass der mit diesem Begriff verbundene womögliche schlechte Klang aus früheren Zeiten nicht mehr die Realität spiegeln: Diese Wohnungen werden schöne Wohnungen in sehr attraktive­m Umfeld zu einem günstigen Preis. Gut für Krefeld, gut für das Klima.

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FOTOS: VO Die Sanierung erläutern (v. l.) Bastian Imig, Vorstand der Wohnstätte Krefeld AG, Wohnstätte-Architekt Marcel Füser und Christian Kewitz, Projektlei­ter des Generalunt­ernehmens, das die Sanierung durchführt.
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So präsentier­t sich die Siedlung Am Dorfgraben heute – in einem zeittypisc­h hässlichen Braunton.
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Diese beiden Wärmepumpe­n heizen demnächst 18 Wohnungen. Die Technik erläutern Imig, Kewitz und Füser.
 ?? ?? Marcel Füser mit der neuen Heiztechni­k im Keller.
Marcel Füser mit der neuen Heiztechni­k im Keller.
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Alle Bäder werden barrierefr­ei hergericht­et.

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