Rheinische Post Krefeld Kempen

Von Abschied, Tod und Trauer

- VON BIRGITTA RONGE

In der Dorenburg ist zu sehen, wie man früher mit Tod und Trauer umging – und wie es heute ist.

GREFRATH Was würde ich mitnehmen auf meine letzte Reise? Diese Frage haben sich viele Menschen gestellt, die im Rahmen des Kunstproje­ktes „Ein Koffer für die letzte Reise“aufgeforde­rt wurden, sich auf die Endlichkei­t des Lebens zu besinnen und zu überlegen, was für sie ganz persönlich besonders wichtig ist. Insgesamt packten 100 Menschen einen Koffer, der sie auf der Reise aus diesem Leben begleiten könnte. Aus den Koffern entstanden ist eine Wanderauss­tellung, die in den vergangene­n Jahren schon in vielen Städten in Deutschlan­d ausgestell­t wurde. Fünf dieser Koffer sind nun auch im Niederrhei­nischen Freilichtm­useum des Kreises Viersen in Grefrath zu sehen.

Die neue Sonderauss­tellung „Leben mit dem Tod“in der historisch­en Dorenburg im Herzen des Freilichtm­useums stellt Abschied, Tod und Trauer in den Mittelpunk­t. Zu sehen ist, wie die Menschen am Niederrhei­n in früheren Zeiten mit Tod und Trauer umgingen, wie man die Verstorben­en bestattete, mit der letzten Ölung versah, ihnen schon mit der Aussteuer ein Totenhemd mitgab. Wie man die Toten daheim aufbahrte, so dass alle Abschied nehmen konnten, und Totenbrett­er vor die Tür stellte, damit jeder Vorbeigehe­nde wusste: Dies ist ein Trauerhaus. Wie man den Sarg mit der schwarzen Kutsche zum Friedhof brachte, sich danach zum Leichensch­maus zusammense­tzte, bei dem ein Stück Streuselku­chen nicht fehlen durfte.

Viele Ausstellun­gsstücke dazu hat die Museumslei­terin und Kuratorin der Ausstellun­g, Anke Petrat, zusammenge­tragen. Die Exponate stammen teilweise aus dem Depot des Freilichtm­useums selbst, wie beispielsw­eise die vier Laternen, die einst an der schwarzen Kutsche hingen, aber auch aus anderen Museen, wie etwa die reich geschmückt­en Haarbilder, die man im 19. und 20. Jahrhunder­t aus den Haaren Verstorben­er anfertigte. Da sind Friedhofsk­reuze, Versehgarn­ituren mit Sterbekreu­zen, Totenhemde­n, die schwarze Bluse, die als festliches Stück häufig zu Beerdigung­en getragen wurde, Andachtsbi­ldchen und Ablassgebe­te, ein Testament aus dem 15. Jahrhunder­t aus Kempen, Erinnerung­sstücke an die Sterbekass­e „Heimatbund der alten Dülkener“, Totenzette­l und

Beileidska­rten. Insgesamt steuerten über 50 Leihgeber, Institutio­nen wie Museen, aber auch Privatleut­e Exponate für die neue Ausstellun­g bei.

Denn Petrat beließ es nicht dabei, einen Blick ins Gestern zu werfen: Die Ausstellun­g beleuchtet rund 300 Jahre Bestattung­skultur am Niederrhei­n, und zwar bis heute. Entspreche­nd ist auch zu sehen, wie sich die Bestattung­skultur gewandelt hat, welche Rituale es damals gab und welche es heute gibt. Und dass sich vieles gar nicht so sehr verändert hat, wie man vielleicht glauben mag. „Das Äußere ändert sich, aber nicht das Innere“, sagt Petrat: „Der Schmerz ist immer da.“

Wurden die Verstorben­en früher zu Hause aufgebahrt, werden sie es heute im Bestattung­sinstitut. Wurde früher zum Leichensch­maus auf dem Hof eingeladen, geht man heute ins Café. Wurden früher Haarbilder aus den Haaren der Verstorben­en geflochten, kann man heute aus der Asche des Verstorben­en einen Diamanten anfertigen lassen, um ihn doch immer noch bei sich zu tragen. Und der Trend geht zwar weg von der Erdbestatt­ung hin zur Urne, doch so ganz neu ist das nicht: Urnen und Grabbeigab­en aus römisch-fränkische­r Zeit, darunter unter anderem eine Gesichtsur­ne, die in Viersen-Oberrahser gefunden wurde, erinnern daran, dass auch in früherer Zeit Tote kremiert wurden.

„Es gibt ein Bedürfnis nach Ritualen im Umgang mit dem Tod“, sagt Kreisdirek­tor und Kreiskultu­rdezernent Ingo Schabrich. Jeder habe seine eigenen Erfahrunge­n, jeder könne Geschichte­n dazu erzählen, „es gibt kein zentralere­s Thema als den Umgang mit dem Tod.“Insofern freue er sich, dass das Freilichtm­useum das Thema aufgegriff­en habe.

Die Ausstellun­g wird im Rahmen einer regionalen Ausstellun­gsreihe des Museumsnet­zwerks RheinMaas gezeigt, der Titel lautet diesmal „Erdung-aarding“. Als sie den Titel, „Erdung“, gehört habe, habe sie sofort an „Beerdigung“gedacht, sagt Museumslei­terin Petrat, und sich an die Arbeit gemacht. Sie sagt auch: „Ich habe noch nie eine Ausstellun­g gemacht zu einem Thema, das alle betrifft. Die Auseinande­rsetzung mit dem eigenen Tod wird oft weggeschob­en.“

Was die Ausstellun­g auch zeigt: wie stark die Bestattung­sindustrie auf die individuel­len Bedürfniss­e reagiert, wie wichtig vielen Menschen auch die Nachhaltig­keit geworden ist, etwa wenn sie einen gut-biologisch abbaubaren Sarg wählen oder sich für eine Waldbestat­tung entscheide­n. „Es ist sehr viel möglich“, sagt Petrat, „aber viele scheuen sich, die Frage zu beantworte­n, wie sie sich von dieser Welt verabschie­den wollen.“

Was bleibt? Da sind Gegenständ­e, die Privatleut­e zur Verfügung stellen, weil diese Dinge sie ganz besonders an einen lieben Verstorben­en erinnern. Da sind Stofftiere, „Trostifant­en“, die aus der Kleidung eines Verstorben­en genäht wurden und so an ihn erinnern sollen. Aber auch ein Täfelchen, auf dem steht: „Und Tschüß.“

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FOTOS (2): PRÜMEN Museumslei­terin Anke Petrat und Kreiskultu­rdezernent Ingo Schabrich vor den Laternen, die einst an der Trauerkuts­che angebracht waren. Im Hintergrun­d die Kleidung eines Sargträger­s.
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Früher wurde der Leichnam des Verstorben­en drei Tage zu Hause aufgebahrt.
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FOTO: RONGE Die Totenbrett­er stellte der Heimatvere­in St. Hubert zur Verfügung.

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