Rheinische Post Krefeld Kempen
Warum ich Mennonitin geworden bin
Die Krefelderin Tatjana Henrich ist als Katholikin zu den Mennoniten konvertiert. Dabei hat sie nicht ganz mit katholischen Kirche gebrochen – sie hat aber bei den Mennoniten Erfahrungen gemacht, die ihr wohl fehlten.
KREFELD „Ich stehe hier und kann nicht anders!“Dieser Satz aus einer Rede Martin Luthers hat mich von je her fasziniert. Heute stehe auch ich (52) hier und kann nicht anders: Ich bin konvertiert. Bewusst und ohne Druck. Von katholisch in evangelisch, ja, sogar direkt in evangelisch-freikirchlich. Ich bin seit genau einem Jahr Gemeindemitglied der Mennonitenkirche.
Wer jetzt denkt, ich lasse mich nur negativ über die katholische Kirche aus – weit gefehlt. Ja, klar sehe ich sehr viele Schwächen. Allem voran der Umgang mit den Missbrauchsvorfällen in der katholischen Kirche. Es ist so furchtbar, was Kindern und Jugendlichen über Jahrzehnte hinweg angetan worden ist. Ich habe mich auch immer dringender gefragt, warum ich als Frau nicht katholische Pfarrerin werden darf.
Mein Vater, der 2002 gestorben ist, war sehr bewusst und überzeugter Katholik, meine Mutter ist es bis heute. Dennoch hatte ich seit meiner Jugend gute Kontakte zur evangelischen Kirche, denn meine beste Freundin Annika war Lutheranerin. Ich ging ab der siebten Klasse sehr gerne mit ihr in „ihren“Gottesdienst. Zu den Stärken des Katholischen zählen für mich viele Menschen und ihre Art, auf Menschen zuzugehen: die Herzlichkeit wundervoller Gemeindereferentinnen und ihr Erfindungsreichtum, zum Beispiel mit Gitarre mit Kindern Lieder zu singen, auch das Herzblut von manchen Diakonen, Kaplanen und auch Pfarrern.
2021 bereitete ich als Mitarbeiterin der Fischelner Woche ein Porträt über die Mennonitengemeinde in Krefeld vor. So hatte ich den ersten Kontakt zu Christoph Wiebe, dem Pfarrer der Krefelder Mennonitengemeinde. Wie sich herausstellen sollte, hat mich das Gespräch, in dem es um die Geschichte der Krefelder Gemeinde ging, tiefer beeindruckt, als mir zunächst bewusst war.
Im September 2021 traf meine Familie ein Schicksalsschlag: Meiner ältesten Schwester Marion, die Älteste von fünf Kindern, erhielt die Diagnose Brustkrebs, Richtung Endstadium. Diese Nachricht traf mich mit aller Wucht, denn meine um zehn Jahre ältere Schwester war mein Sparringspartner innerhalb der Familie. Sie lebte seit 1988 der Liebe wegen in Rotterdam. Marion, damals 59, blieb stets (nach außen) stark und optimistisch. Bei Telefonaten riefen wir, wie ein Ruf nach Leben, laut „Tschaka“in den Hörer, es sollte auch zeigen: „Liebe Schwester, egal, was hier gerade passiert, wir stehen das gemeinsam durch.“Allem Optimismus zum Trotz: Am 14. März 2022 erreichte mich die Nachricht von ihrem Tod.
Sie sollte auf dem interkulturellen Friedhof in Overschie begraben werden, der vieles bot, nur eines nicht: einen katholischen Geistlichen. So gab mein Schwager das Einverständnis, dass eine protestantische Pfarrerin den Trauergottesdienst halten dürfe. Dies tat die Dame mit soviel Feingefühl und Respekt, dass ich mich fragte, warum dies in der katholischen Kirche nicht möglich ist. Mehr noch: Ich entschied in dieser schwärzesten Stunde meines Lebens, selbst eines Tages evangelisch beerdigt werden zu wollen. Nun, eine Frau ist meines Erachtens nicht a priori besser als ein Mann. Eine Pfarrerin hat aber einen anderen Blick, eine andere Lebenswirklichkeit als ein Mann.
Zurück in Krefeld, galt es für mich, mein Leben als berufstätige Mutter von zwei heranwachsenden Söhnen und Ehefrau weiterzuführen. Ich stürzte mich förmlich in die Arbeit. Die Arbeit half mir etwas, den Tod meiner Schwester zu akzeptieren und mit der Trauer umzugehen. Neben der Trauer war da noch ein anderes Gefühl, mit dem ich schwer umgehen konnte: Wut, große Wut, dass ein Mensch wie meine Schwester so früh hat sterben müssen.
In dieser Situation schrieb ich intuitiv Pfarrer Wiebe. Ich hatte in dem ersten Gespräch doch ein tieferes Zutrauen gefasst, das über den beruflichen Kontext weit hinaus ging. Ich schilderte ihm meine Situation
und fragte, ob die Möglichkeit zu einem Trauergespräch bestünde, auch wenn ich nicht Mitglied seiner Kirche war. Pfarrer Wiebe antwortete sofort: Klar sei das möglich.
Ich habe ihm dann ausführlich erzählt, warum meine älteste Schwester Marion so wundervoll war. Pfarrer Wiebe hörte aufmerksam zu, stellte Zwischenfragen. Als ich die Königstraße 132 wieder verließ, war ich derart erleichtert, dass es mir tatsächlich viel besser ging. Ich hatte Trost geschöpft und war nun in der Lage, meinen Weg weiterzugehen, mit Marion im Kopf und im Herzen.
Da das Gespräch so gut getan hatte, bat ich Pfarrer Wiebe, an dem nächsten Gottesdienst der Mennonitengemeinde teilnehmen zu dürfen. Als Katholikin war es zunächst ein interessantes Erlebnis, denn im Kirchenraum auf der Königstraße hängt noch nicht einmal ein Kreuz. Alles ist in ruhigen, hellen Tönen gehalten, die Fenster lassen viel Licht in den schönen schlichten Kirchenraum. Was mich beeindruckte und immer wieder beeindruckt: das Fehlen jeglichen Brimboriums. So hatte man die Chance, den Fokus auf das Wort Gottes und die eigenen Gefühle und Gedanken zu legen. Das Wichtigste: Die Predigten von Pfarrer Wiebe und das Kennenlernen
von Gemeindemitgliedern beim anschließenden Kirchencafé lieferten mir wertvolle Impulse. Was ich in der Krefelder Mennonitengemeinde finde: Ich finde Abstand vom Alltag. Ich finde Ruhe. Ich finde Gott.
Es kam der Moment, an dem ich Pfarrer Wiebe offen darauf ansprach, ob ich konvertieren dürfe. Er bat mich, die Beweggründe zu verschriftlichen, da er meinen Wunsch bei der nächsten Sitzung des Konsistoriums ansprechen wollte. Das Konsistorium gab meinem Antrag statt.
Ich habe diesen Schritt nicht bereut. Wichtig ist mir: Ich habe nicht mit der katholischen Kirche gebrochen. Möchte ich einem Gebet in einer katholischen Kirche Ausdruck verleihen und ein Kerzchen anzünden an einer Heiligenfigur oder an der Maria Mutter Gottes, so tue ich dies. Ich pilgere weiter in der Bruderschaft Sankt Matthias in KrefeldFischeln. Pilgern ist eine tolle Art, den Glauben zu (er)leben. Doch: Findet zum Abschluss ein katholischer Gottesdienst statt, sitze ich neuerdings in den hinteren Reihen und gehe nicht zur Kommunion. Dies ist mir wichtig: Wenn ich meinen Mann und unsere Söhne (18 und 16) in die katholische Kirche begleite, gehe ich nicht zur Kommunion. Doch wir nehmen, als Familie, weiterhin teil am katholischen Leben der Gemeinde Herz-Jesu Königshof. Hier, in genau diesem Pfarrsaal, feierten mein Ehemann Frank und ich im Oktober 2023 unseren zwanzigsten Hochzeitstag. Wir leben die Ökumene.
Das Einzige, wovor ich etwas Angst hatte, war der Satz: „Jetzt seid Ihr konfessionsverschieden.“Pfarrer Wiebe bietet uns als Ehepaar eine viel treffendere Formulierung an, die ich großartig finde. Er sagt, wir führten jetzt eine konfessionsverbindende Ehe.