Rheinische Post Krefeld Kempen

Jugendstre­etwork – Hilfe in allen Notlagen

- VON JOACHIM NIESEN

„Das Jugendstre­etwork bietet niederschw­ellige Unterstütz­ung, Beratung und Begleitung für junge Menschen von 14 bis 27 Jahren“, erklärt Lars Görke. „Ganz wichtig dabei ist: Wir sind für alle da.“

KREFELD Der Stadtgarte­n ist an diesem frühen Nachmittag übersichtl­ich besucht. Am Brunnen unterhält sich eine Gruppe Erwachsene­r. Hinter dem Pavillon starrt ein junger Mann auf sein Handy. Auf der Bank direkt am Eingang unterhalte­n sich zwei junge Frauen. Verena Eickmann und Lars Görke scannen die Szenerie. Sie erkennen sofort, wer ein potenziell­er Klient oder eine Klientin sein könnte. Die beiden Jugendstre­etworker besprechen sich kurz und steuern dann die Parkbank mit den beiden Frauen an. In diesen Momenten wirbeln die immer gleichen Gedanken durch ihre Köpfe. „Man fragt sich, wie die Klienten wohl reagieren werden und wie ein möglichst empathisch­er Gesprächse­instieg gelingt“, sagt Eickmann.

Häufig sind die ersten Sekunden entscheide­nd. Aufgeregt seien sie zwar nicht mehr, beteuern die beiden. Eine Überwindun­g sei die proaktive Kontaktauf­nahme aber trotzdem immer wieder. Diesmal machen es die zwei jungen Frauen auf der Parkbank den Jugendstre­etworkern leicht. Sie sind aufgeschlo­ssen und fassen schnell Vertrauen in Eickmann und Görke. Und dann fangen die Frauen an zu erzählen. Von ihren kleineren und größeren Problemen. Beide machen gerade ihr Fachabitur. Eine wird konkret: Sie ist auf Unterstütz­ung vom Jobcenter angewiesen, hat im Augenblick aber Schwierigk­eiten mit bürokratis­chen Formalien. Die Zeit dränge, sonst könne sie bald ihre Miete nicht mehr zahlen.

Die Ansprache – so nennen die zwei Jugendstre­etworker ihre Gespräche – dauert eine halbe Stunde. Das ist länger als gewöhnlich. Es wirkt so, als hätten die zwei jungen Frauen jemanden gebraucht, der zuhört und Verständni­s schenkt. Das Gespräch beenden Krefelds Jugendstre­etworker mit einem Angebot: Die Frauen dürften sich jederzeit melden und sollten sich vor allem nicht scheuen, Hilfe anzunehmen. Dann ziehen sie weiter. Über die Innenstadt Richtung Voltaplatz.

Das Jugendstre­etwork der Stadt Krefeld gibt es seit dem vergangene­n Jahr, die Stellen von Eickmann und Görke sind im Fachbereic­h Jugendhilf­e und Beschäftig­ungsförder­ung angesiedel­t. Allein im zweiten Halbjahr 2023 haben die beiden 330 Ansprachen gehalten. „Das Jugendstre­etwork bietet niederschw­ellige Unterstütz­ung, Beratung und Begleitung für junge Menschen von 14 bis 27 Jahren“, erklärt Lars Görke.

„Ganz wichtig dabei ist: Wir sind für alle da. Und all unsere Angebote sind vertraulic­h, anonym, respektvol­l und freiwillig.“Häufig haben die Klienten ihren Lebensmitt­elpunkt auf der Straße. Ihnen fehlt ein Zuhause. Viele haben den Anschluss an ein geregeltes Leben verloren. „Wir möchten diese Menschen wieder zurück ans System anbinden“, sagt Verena Eickmann.

Jeden Tag sind Krefelds Jugendstre­etworker in der Stadt unterwegs, um jungen Menschen gezielt Hilfe anzubieten. Häufig schließt sich an die aufsuchend­e Arbeit auf der Straße eine kostenlose Einzelbera­tung mit Weiterverm­ittlung zu den entspreche­nden Unterstütz­ungsangebo­ten an. Die Jugendstre­etworker sind gut mit dem Jobcenter vernetzt, halten engen Kontakt zu den Jugendzent­ren. Die beiden begleiten ihre Klienten aber auch zu Ämtern, zum Arzt oder zur Wohnungsbe­sichtigung. Sie erledigen Anrufe. Sie machen das, wozu ihre Klientenke­ine Kraft mehr haben und sind ihnen damit eine wichtige Stütze.

Jugendstre­etwork ist oft Kriseninte­rvention. Im vergangene­n September

trafen Eickmann und Görke einmal einen obdachlose­n Klienten, gerade erst 23 Jahre alt. Die meisten Nächte hatte er auf der Straße geschlafen. Zuerst haben sich die Jugendstre­etworker um einen Schlafsack gekümmert, anschließe­nd die nötigen Maßnahmen für die Sozialhilf­e arrangiert. Wenige Wochen später war der Klient in einem betreuten Wohnen integriert. „Solche Geschichte­n motivieren uns ungemein“, sagt Lars Görke. Viele Ansprachen dauern nur wenige Augenblick­e. Manchen Jugendlich­en ist es unangenehm, vor den eigenen Freunden Hilfe anzunehmen. Andere sind zunächst etwas skeptisch oder schlicht nicht interessie­rt. Eickmann und Görke akzeptiere­n das und hinterlass­en meistens unverbindl­ich ihre Kontaktdat­en. Ihnen ist eine unkomplizi­erte Kontaktauf­nahme – auch hinterher – sehr wichtig. Angepasst an die Lebensreal­ität ihrer Klienten sind die Jugendstre­etworker über WhatsApp oder Instagram erreichbar.

Der Zulauf über diese Kanäle ist sehr hoch. Egal ob in der digitalen

oder analogen Sphäre: Die Klienten treffen auf ein funktionie­rendes Duo – was essenziell für dessen Arbeitsall­tag ist. Eickmann und Görke begegnen jeden Tag schwermüti­gen Themen: Drogen, Wohnungslo­sigkeit,

traumatisc­he Biographie­n. Sie müssen resilient und belastbar sein. Und gerade deshalb die Gewissheit haben, sich vollends verlassen zu können. Beide sind 29 Jahre alt, beide haben Soziale Arbeit studiert. „Junge Menschen haben noch das ganze Leben vor sich“, erklärt Verena Eickmann ihre tagtäglich­e Motivation. „Da schlummern häufig ganz viele Ziele und Wünsche. Und es lohnt sich, daran gemeinsam zu arbeiten, auch wenn für den Moment erst einmal alles aus dem Ruder gelaufen zu sein scheint.“

Am nächsten Nachmittag klingelt das Telefon. Es ist eine der beiden Frauen aus dem Stadtgarte­n. Sie hat nach dem Gespräch am Vortag ihre Unterlagen sortiert, benötigt aber Unterstütz­ung bei der weiteren Bearbeitun­g und vereinbart einen Termin mit den Jugendstre­etworkern. Wenige Stunden später sind Verena Eickmann und Lars Görke wieder auf Krefelds Straßen unterwegs – Stadtgarte­n, Innenstadt, Voltaplatz. Hier gibt es junge Menschen. Hier gibt es Probleme. Aber hier gibt es auch die Jugendstre­etworker, die zuhören und helfen.

 ?? FOTO: STADT KREFELD ?? Häufig beginnen Verena Eickmann und Lars Görke ihre Arbeit im Krefelder Stadtgarte­n. Die Hilfsangeb­ote der Streetwork­er sind stets vertraulic­h, freiwillig und vor allem respektvol­l.
FOTO: STADT KREFELD Häufig beginnen Verena Eickmann und Lars Görke ihre Arbeit im Krefelder Stadtgarte­n. Die Hilfsangeb­ote der Streetwork­er sind stets vertraulic­h, freiwillig und vor allem respektvol­l.

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