Rheinische Post Krefeld Kempen
„Ich empfinde meinen Körper als falsch“
Sascha ist 16 Jahre alt. Vor rund zwei Jahren outete sich die als Mädchen geborene Transperson erstmals Freunden gegenüber. Nun erzählt er, was ihn bewegt, was er sich wünscht und was ihn belastet.
SCHIEFBAHN Erstaunlich ruhig, zumindest äußerlich, sitzt Sascha mit Mutter Birte am Küchentisch. Immerhin soll es nicht nur um einen Zeitungsartikel gehen, sondern auch um ein extrem persönliches und diffiziles Thema, eines, das gesellschaftlich durchaus höchst emotional diskutiert wird. Sascha ist eine Transperson, geboren als Mädchen. Die erste Frage, die sich im Gespräch stellt, ist: Welches ist das bevorzugte Personalpronomen? „Das ist nicht so leicht zu beantworten. Eigentlich gibt es im Deutschen nichts, was mir wirklich gefällt. Im Englischen mag ich they/them. Aber auf deutsch ist es mir gar nicht so wichtig. Wichtig ist der Geist, in dem es gesagt wird“, sagt Sascha.
Wichtig sei, dass Menschen ihn – darauf einigen wir uns – so akzeptieren, wie er ist, sagt der 16-Jährige. Doch wie ist es wirklich festzumachen, wie äußert es sich, transgeschlechtlich zu sein? Sascha überlegt lange. „Das ist nicht einfach zu beschreiben. Ich empfinde meinen Körper als falsch, als nicht mir zugehörig“, sagt er, und dann wird es sehr persönlich. „Das Problem begann mit der Pubertät, als mein Körper sich veränderte. Ich empfinde meine Brüste als fremd, ich lehne sie ab, sie gehören nicht zu mir“, sagt er. Manchmal komme es vor, dass er unter der Dusche weine. „Ich wünsche mir eine Mastektomie, also eine chirurgische Entfernung der Brüste. Allerdings kann ich mir das derzeit ebenso wenig leisten, wie eine Umtragung meiner Person in Ausweisen und so weiter“, sagt er.
Doch ist das nicht eine vorübergehende Empfindung, eine Krise, wie manche Kritiker sagen? „Ich wünsche mir Brustkrebs, eine potenziell tödliche Krankheit, damit ich sie loswerde. Klingt das nach einer vorübergehenden Laune?“, fragt er und schaut mit festem, aber traurigem Blick. Die Hürden für Menschen, die nicht dem klassischen Rollenbild entsprechen, seien immer noch sehr hoch. „Ich habe mich natürlich schon damit befasst. Es geht um tausende Euro, es gibt hohe Hürden wie psychologische Tests und so weiter. Und die sind oft wirklich absurd“, sagt die junge Transperson. So wird er wohl auf dem Papier noch längere Zeit Frau bleiben, und auch sein Taufname wird auf Zeugnissen stehen. „Sascha“ist sein selbst gewählter Name. „Er ist eigentlich relativ geschlechtslos, das gefällt mir“, sagt Sascha.
Transpersonen gerade mit den Eltern auszufechten.
Sexualität Übergriffig sind auch Fragen nach Sexualität, Vorlieben oder körperlichen Eigenschaften. Faustregel: Wenn Sie sich mit ähnlichen Fragen von dieser Person über sich selbst unwohl fühlen würden, fragen Sie nicht.
Pronomen Die Selbstwahrnehmung ist unterschiedlich. Ein selbst gegebenes Pronomen ist immer eine Kategorisierung. Darum: Am besten sei es, eine Transperson zu fragen, wie sie bezeichnet werden möchte. so akzeptiert werden“, sagt er traurig aber kämpferisch gleichermaßen.
Aber möchte er sich zum Mann operieren lassen? „Nein, ich bin auch kein Mann. Ich möchte einfach ich sein. Ich möchte nicht in eine Schublade gesteckt werden und mich zu etwas machen lassen, was ich nicht bin. Lasst mich doch einfach Sascha sein“, sagt er. Die sich fast aufdrängende Frage, wie der Bereich Partnerschaft ausfällt, fällt schwer, weil es eben eine der übergriffigen, indiskreten Fragen ist. Sascha zuckt die Achseln und grinst. „Kein Problem. Aber viel dazu sagen kann ich nicht. Ich stehe auf Frauen“, sagt er leichthin und wischt das Thema damit weg.
Wie er sich die Welt vorstellt, davon bekam er im Herbst einen Eindruck. Da war er mit Mutter Birte und Tante Silke bei der LGBTQ-WM im Synchronschwimmen. „Das war toll“, schwärmt er, der heute als Trainer des Mutter-Tante-Gespanns agiert. „Es war in London, und ich liebe die Stadt schon. Aber noch toller war der Geist dort. Jeder konnte sein, wie er oder sie will. Jeder wurde akzeptiert. Da war eine Gruppe Frauen aus den USA, die zu Hause nicht an Wettkämpfen teilnehmen dürfen, weil sei offen lesbisch sind. Ist das nicht absurd?“, fragt er. Selten habe er sich so aufgehoben und wohl gefühlt.
Aber aktuell empfindet er auch die Schattenseite. Mutter und Tante weilen bei der Weltmeisterschaft im Synchronschwimmen. Trainer Sascha ist nicht dabei. „Abgesehen von der Schule ist die WM in Doha, Katar – nicht eben ein Land, in das mich, aus verständlichen Gründen, viel hin zieht“, sagt er.
Für die Zukunft wünscht er sich, dass es noch mehr Rechte für Transpersonen gibt. „Wir haben uns nicht ausgesucht zu sein, wie wir sind. Und es geht nicht darum, die ganze Gesellschaft zu verändern oder Menschen etwas vorzuschreiben. Jeder Mensch darf gern sein, wie er oder sie ist – nur möchte ich halt dasselbe dürfen“, sagt er klar.
Die Stärke der AfD macht ihm darum Angst. „Wenn sie noch stärker werden und die Rechte und Möglichkeiten, die wir heute haben, zurückdrehen, wäre das verheerend. Ich denke schon darüber nach, wohin ich dann auswandern könnte. Allerdings bieten sich nicht so viele Länder an“, sagt er.
Letztlich wünsche er sich, als Mensch angenommen zu werden. „Wer mich früher als Mädchen mochte, der sollte das auch jetzt tun. Ich bin ja dieselbe Person. Nur mit einer etwas abweichenden Selbstwahrnehmung.“Er lächelt. Und es ist kein verlegenes, sondern ein selbstbewusstes Lächeln.