Rheinische Post Krefeld Kempen
Kleine Rivalen: So wichtig sind Geschwister
Die Mehrzahl der Kinder in Deutschland wächst mit Geschwistern auf, und das wird heute mit dem Tag der Geschwister gefeiert. Doch ist es eigentlich gut, Bruder oder Schwester zu haben? Eine Krefelder Expertin weiß es.
KREFELD „Sie lieben und sie hassen sich“, diesen Satz hört man oft, wenn es um Geschwister geht. Rivalen oder beste Freunde, wer mit einem Bruder oder einer Schwester oder gleich mehreren davon groß wird, muss seinen Platz im Familienkonstrukt finden. Und das betrifft nicht wenige Kinder: Laut dem Statistischen Bundesamt wachsen die meisten Kinder in Deutschland mit Geschwistern auf. 2021 waren es knapp 10,3 Millionen Kinder von insgesamt 13,6 Millionen Kindern unter 18 Jahren. Damit wuchsen mehr als drei Viertel der Kinder, nämlich 75,4 Prozent, mit mindestens einem Bruder oder einer Schwester auf.
Doch was macht das eigentlich mit einem Kind? Welche Vor- und Nachteile hat es, kein Einzelkind zu sein. Das weiß die Sozialpädagogin Birgit Ogger vom Psychologischen Dienst der Stadt Krefeld – und relativiert zugleich. „Eine pauschale Antwort ist schwierig. Über Einzelkinder gibt es zum Beispiel Klischees, etwa dass sie nicht teilen können. Doch das hängt davon ab, wie das Kind aufwächst.“Denn Einzelkinder können all das, was Geschwister im sozialen Umgang miteinander lernen, ebenso gut mit Freunden oder gleichaltrigen Verwandten erlernen. Einen Vorteil jedoch haben Geschwister gegenüber den Einzelkindern: Sie werden ihren Gegenüber nicht los. „Auch wenn man gemein zueinander ist, sein soziales Verhalten ausprobiert, verliert man den anderen nicht“, sagt Ogger. Geschwister können also jegliches Verhalten mit Netz und doppeltem Boden erproben – und dazu gehört auch, im Anschluss wieder miteinander klarzukommen.
Wer jetzt Kinder zu Hause hat, die sich wie Hund und Katz streiten, müsse nicht verzweifeln, sagt die Expertin. „Das kann sich im Laufe des Lebens noch ändern und sie kommen später vielleicht gut miteinander klar. Im Erwachsenenalter sieht man Geschwister nicht mehr als Konkurrenz. Zudem können Ereignisse wie die Geburt der eigenen Kinder oder der Tod eines Elternteils die Sichtweise und das Miteinander verändern.“
Bis dahin kann es für Eltern zeitweise nervenaufreibend sein, denn Streitigkeiten, sich messen „müssen“, sich abgrenzen wollen, Neid, Macht und Ohnmacht, Eifersucht, Rivalität und gegenseitiges Ärgern gehören bei manchen Geschwisterkindern dazu. Die gute Nachricht: Das ist normal und im gewissen Rahmen auch wichtig. „Die Eltern müssen das ertragen. Sie sollten sich auch nicht zu früh in Streitereien einmischen, denn Frieden kann nicht erzwungen werden. Ganz wichtig: Eltern sind nicht Richter, sondern Schlichter. Der Schiedsrichter pfeift auch nur, wenn er den Verstoß gesehen hat.“Bedeutet, keine Schuldzuweisung und den Kindern gegenüber gerecht bleiben. Eingreifen sollte man, wird ein Kind zu mächtig oder ohnmächtig.
Beim Stichwort Gerechtigkeit wird es noch einmal spannend, denn hier tappen so manche Eltern in die Falle. So sollten sie Kinder nie miteinander vergleichen, denn das schürt Rivalität. „Deine Schwester kann sich schon alleine anziehen, dein Bruder ist sportlicher – solche Aussagen strapazieren die Geschwisterbeziehung“, sagt Ogger. Meist agierten Eltern so in guter Absicht, „doch man stelle sich vor, der Chef sagt, der Kollege macht seine Arbeit viel besser als man selbst. Das führt nicht zu mehr Motivation, sondern dazu, dass man den Kollegen weniger gut leiden kann.“
Doch weg von den Streitereien hin zu den Vorteilen, Geschwister zu haben. Dazu fallen Ogger gleich mehrere Schlagworte ein: Vorbild, Verbündete, Rücksichtnahme, Vertrauen, Zärtlichkeit und Liebe, Trösten, sich messen können, Bewunderung
und Ermutigung sind nur einige davon. Doch sie macht deutlich: „Auch ein Einzelkind kann sehr gut aufwachsen. Zwar bieten Geschwister leichter die Möglichkeit zu oben genannten Erfahrungen, doch Einzelkinder können diese auch woanders sammeln“, sagt sie. Denn in der heutigen Zeit wächst eben auch ein Viertel der Kinder als Einzelkind auf. „Menschen überlegen sich heute sorgfältiger als früher, ob, wann und wie vielen Kinder sie meinen gerecht werden zu können. Nicht alles ist planbar und nicht jeder plant das so explizit.“
In Patchwork-Familien werden Kinder plötzlich vom Einzelkind zum Geschwisterkind oder verlieren ihre Stellung als ältestes oder jüngstes Kind. „Wie gut das klappt, hängt davon ab, wie man das auslebt und ob man die neuen Geschwister als
Bedrohung oder Bereicherung empfindet“, sagt Ogger. Auch hier müsse man die Kinder gerecht behandeln, niemanden bevorzugen und – und das gilt für alle Familien – „eigene Elternzeiten für jedes Kind schaffen, um jedem Geschwister das Gefühl zu geben, gesehen zu werden. Dabei geht es mehr um Qualität als um Quantität“, sagt Ogger.
Und was können Eltern tun, um eine gute Geschwisterbeziehung zu fördern? „Wenn möglich: Gerechtigkeit wahren. Und zwar eine subjektive Gerechtigkeit. Kinder empfinden Gerechtigkeit anders als Erwachsene. Man muss nicht alle immer gleich behandeln und muss auch die Erbsen und Pommes auf dem Teller nicht abzählen, doch ist es für Kinder wichtig zu verstehen, warum man nicht immer gleichbehandelt wird – zum Beispiel unterschiedliches Alter bekommt unterschiedlich Taschengeld, geht unterschiedlich ins Bett und so weiter“, sagt Ogger. Es sei Aufgabe der Eltern, diese Unterschiedlichkeit gut zu kommunizieren. Zudem: „Kein Fingerzeig und Vergleiche. Stattdessen, Möglichkeiten schaffen, gemeinsame Erfahrungen zu machen. Später erinnert man sich doch nicht an die Streitereien, sondern viel mehr an gemeinsame Ausflüge oder Urlaube. Das ist es, was zusammenschweißt.“, so die Expertin.