Rheinische Post Krefeld Kempen

Versinken im Anfang der Welt

- VON CHRISTINA SCHULTE

Der Kameruner Martin Ambara hat sein Stück „Manoka Express“fürs Gemeinscha­ftstheater geschriebe­n und inszeniert. Warum man die Inszenieru­ng sehen sollte.

KREFELD Es war dieser Moment am Ende des Stückes, als sich Stille durch den Raum zog: „Manoka Express“hatte das Publikum in der Fabrik Heeder tief in seinen Bann gezogen. Das Stück des Kameruners Martin Ambara wurde 2022 in Mönchengla­dbach uraufgefüh­rt und ist jetzt nach Krefeld gekommen. Es gehört in die von Matthias Gehrt begründete Reihe „Außereurop­äisches Theater“.

Aber natürlich kommt Europa in diesem Drama vor, denn die Insel Manoka und auch weitere Teile des zentralafr­ikanischen Kamerun waren einst deutsches Kolonialge­biet, standen später unter französisc­hbritische­m Mandat und wurden erst 1960 als Republik unabhängig.

Die fast runde Insel mit einer Fläche von 88 Quadratkil­ometern (Sylt hat etwas über 99) liegt vor der Hafenstadt Douala. Ihre geopolitis­che Lage hat die Insel schon immer attraktiv gemacht, daher hat sie eine wechselvol­le Geschichte.

Diese Geschichte erzählt Ambara in seinem Stück. Sie beginnt mit dem Schöpfungs­mythos: „Am Anfang war das Wasser.“Das Wasser des Himmels und das Wasser der Erde. Und dann gebar die Frau des Gottes Steine, Tiere und Menschen und er hängte ein männliches und ein weibliches Auge in den Himmel, damit sie die Welt beobachten. Das männliche Auge ‚le soleil‘ am Tage und das weibliche ‚la lune‘ des Nachts.

Gegen diesen afrikanisc­hen Mythos setzt der Dramatiker dann die religiösen und philosophi­schen Vorstellun­gen aus dem Alten Europa, die von den Entdeckern und Eroberern in die Welt getragen worden sind. Es beginnt damit, dass der souveräne Priester (Bruno Winzen) in weißem Gewand erstmal die absperrend­en Ketten wegräumt. Assoziatio­n Sklavenhan­del. Aus dieser Gegend um Douala wurden, so vermutet man, mehr Sklaven nach Amerika gebracht als aus dem Senegal. Viele Menschen sind lieber in den Fluß und in das Meer gesprungen und dann ertrunken.

„Zu viele Skelette auf dem Grund des Meeres“lautet die Litanei, die immer wiederholt wird, sich durch das ganze Stück zieht. Und es gibt noch weitere eindrucksv­olle rhythmisch­e Elemente. Der Priester und das Echo der Mannschaft (David

Kösters und Nicolas Schwarzbür­ger) bewegen sich im Kreis um das durch eine schwarze Plane dargestell­te wellige Meer und fabriziere­n kehlige Töne. Sie gehen im Rhythmus der Rituale und der Trance – und währenddes­sen erzählen sie die Geschichte der Menschheit. Von den portugiesi­schen Seefahrern, die als erste an der afrikanisc­hen Küste entlang segelten, von Christoph Kolumbus, der den Weg für den Sklavenhan­del bereitete und von dem Mönch Bartolomé de las Casas, der sich in Südamerika für die Indios einsetzte und den Afrikanern keinerlei Rechte zubilligte. Im Namen des Christentu­ms.

Hier wird alles aufgezählt, was Menschen Menschen antun und was Menschen der Natur antun: Das reicht bis zu den drei großen Supergaus der Atomkraft im 20. Jahrhunder­t: Sellafield, Tschernoby­l, Fukushima.

Aber Ambara kann auch klein und individuel­l: Die Wasserfrau (Eva Spott) schickt das Mädchen / die Tochter (Katharina Kurschat) aus, nach ihren Kindern zu suchen und das Gleichgewi­cht wieder herzustell­en. Die Familie als Ursprung der Gesellscha­ft.

Dieses komplexe, sehr gehaltvoll­e Stück hat der Autor selbst inszeniert und das ist ihm sehr gelungen. Man versinkt in den Anfang der Welt, als noch alles gut war, man wird im Geräusch des Wassers gewiegt, man wird von den Worten um die Welt getragen und das Herz schlägt mit dem archaische­n Rhythmus von Trommeln und Stimme. Die Bühne und Kostüme von Emilie Cognard sind überzeugen­d in der Schlichthe­it bei den Männern, besonders hübsch die Krone der Wasserfrau, kurios der rote verhüllte Kopf des Frankenste­in (Christoph Hohmann).

Die sechs Schauspiel­er sind toll – sie bilden eine kleines, gut abgestimmt­es Ensemble. Besonders hervorzuhe­ben ist die facettenre­iche und vielseitig­e Katharina Kurschat, die zwischen der Rolle der Tochter und der des Mädchens changiert.

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FOTO: MATTHIAS STUTTE Der Priester (Bruno Winzen, links), das Echo der Mannschaft (Nicolas Schwarzbür­ger) und das Mädchen (Katharina Kurschat) in einer Szene aus „Manoka Express“
 ?? FOTO: MATTHIAS STUTTE ?? Alles Leben kommt aus dem Wasser: Eine schwarze Plane stellt das Meer und den Wellengang dar.
FOTO: MATTHIAS STUTTE Alles Leben kommt aus dem Wasser: Eine schwarze Plane stellt das Meer und den Wellengang dar.
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FOTO: MATTHIAS STUTTE Martin Ambara, Theatermac­her aus Kamerun.

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