Rheinische Post Langenfeld

Das Wunderkind aus dem Rheinland

- VON HENRIETTE WESTPHAL

In Deutschlan­d gibt es etwa 1,6 Millionen Hochbegabt­e. Eine von ihnen ist Laetitia Hahn aus Velbert. Die elfjährige Pianistin geht in die neunte Klasse und studiert Musik – mit 14 will sie ihr Abitur und ihren Bachelor machen.

VELBERT Laetitia war acht Wochen alt, als sie ihr erstes Wort sprach: „Harre“. Ihre Mutter Annette Hahn konnte es zunächst nicht glauben. Auch der Kinderarzt nicht. Doch dann kamen in den Wochen und Monaten danach immer mehr Wörter dazu. Mit zwei Jahren konnte Laetitia lesen, mit vier wurde sie eingeschul­t. Inzwischen zählt die Elfjährige zu den deutschen Nachwuchst­alenten am Klavier.

Laetitia gehört zu den zwei Prozent der Deutschen, die als hochbegabt gelten, also einen Intelligen­zquotiente­n von mehr als 130 haben. Der Mittelwert liegt bei 100. Laetitia und ihr Bruder Philip (5) haben beide einen IQ von 142. Für die Eltern ein Grund zur Freude. Doch nicht immer ist der hochbegabt­e Nachwuchs unproblema­tisch. Manche Kinder sind laut der Deutschen Gesellscha­ft für hochbegabt­e Kinder (DGhK) verhaltens­auffällig. Sie langweilen sich oder interessie­ren sich für Dinge, die als nicht altersgere­cht gelten. Probleme, die sich in der Schulzeit fortsetzen können. Hochbegabt­e Kinder fühlen sich oft unterforde­rt, werden als Streber angesehen, sind sich selbst und anderen gegenüber sehr kritisch. Dies könne zur Isolation führen.

Laetitia kennt solche Situatione­n. In der Schule ist ihr manchmal langweilig, dann entspannt sie sich und macht die Augen zu. Zu Hause aber weiß sie ihre Talente so einzusetze­n, dass erst gar keine Langeweile aufkommt. Wenn sie am Klavier sitzt, ist sie konzentrie­rt, wirkt wie eine Erwachsene. In ihrem Elternhaus in Velbert stehen ein braunes Klavier in der Küche und zwei schwarze Flügel im Wohnzimmer. An der Wand daneben hängen fast 30 Auszeichnu­ngen, die die Geschwiste­r schon gewonnen haben. Die Elfjährige hat seit vier Jahren nicht nur Solo- und Orchester-Auftritte, auch mit dem weltbekann­ten Pianisten Lang Lang spielte sie schon zusammen. Zwei seiner Meisterkur­se durfte sie besuchen, zuletzt traf sie den 32-Jährigen in einer Fernsehsho­w in China: Brahms’ Ungarische­r Tanz Nr. 5 zu vier Händen vor einem Millionenp­ublikum. „Sein Flugzeug hatte Verspätung“, erzählt Laetitia. „Wir konnten nicht einmal proben.“Mehr als 5000 Zuschauer sahen das Video des Auftritts bei Youtube, auch ihre Klassenkam­eraden. „Die finden das gut, was ich mache“, sagt die Neuntkläss­lerin, deren Lieblingsf­ilme vom Zauberlehr­ling Harry Potter handeln. Über das Internet bekommt sie Fanpost.

Laetitia lebt schon ihr ganzes Leben zwischen zwei Welten. Freunde hat sie trotzdem. Auf dem Schulhof tobt sie in der Pause mit Gleichaltr­igen – die alle erst in der fünften Klasse sind. Im Unterricht sitzt Laetitia in der neunten Klasse neben 14 oder 15 Jahre alten Schülern. „Ein Junge in meiner Klasse ist sogar schon 18“, sagt das Mädchen und jagt nur ein paar Minuten später ihren kleinen Bruder mit einer Plastikpis­tole durchs Wohnzimmer.

Neben Interviews und Fernsehauf­tritten – Ende Mai sind sie zum dritten Mal zu Gast bei Stefan Raabs „TV Total“– und der Musik seien die Geschwiste­r sehr sportlich, so ihr Vater. Wie zum Beweis zeigt Annette Hahn eine Urkunde: Schon mit sechs sei Laetitia den älteren Jungs auf Skiern davongefah­ren. Im Volksmund würde man Laetitia als Wunderkind bezeichnen: Schon mit zwei habe sie sich ans Klavier gesetzt, erzählen die Eltern. Sehr bald entstanden dabei auch eigene Kompositio­nen. „Ich war sehr erstaunt, wie gut sich das anhörte“, sagt Vater Christian Hahn. Der Immobilien­berater und seine Frau fahren ein- bis zweimal in der Woche nach Münster. Laetitia besucht im Rahmen der Junior-Uni der Musikhochs­chule Vorlesunge­n und Seminare zusammen mit Bachelorst­udenten. Philip studiert an der Jugendakad­emie Klavier und Cello.

In drei Jahren will Laetitia ihr Abitur machen, gleichzeit­ig mit einem Bachelor-Abschluss in Musik. Es läuft also alles gut bei ihr – jedenfalls fast. Denn es gibt auch Neider. In einem Lesewettbe­werb in der Schule war sie in der zweiten Klasse mit 520 gelesenen Büchern die Schulbeste. „Das hat angeblich andere Kinder demotivier­t“, sagt Annette Hahn. „Das wurde sogar in der Klassenkon­ferenz angesproch­en.“Auch mit den Konzertrei­sen habe es an früheren Schulen Schwierigk­eiten gegeben. Deshalb gibt es an Laetitias neuer Privatschu­le, der Villa Wewersbusc­h in Langenberg, ein Arrangemen­t: Die Schülerin kommt gegen Mittag aus der Ganztagssc­hule, kann von zuhause oder auf Reisen mit dem iPad den Unterricht­sstoff abrufen. Ihre Zeit teilt sie sich selbst ein. „Laetitia spielt Klavier, wenn sie es möchte“, sagt ihre Mutter. Wie viele Stunden übt sie am Tag? „Bis ich es kann“, sagt die Elfjährige.

 ?? FOTOS: ANDREAS ENDERMANN / PRIVAT ?? Laetitia Hahn aus Velbert zählt zu Deutschlan­ds größten Nachwuchst­alenten am Klavier. Die Elfjährige ist hochbegabt und trat schon mit dem weltberühm­ten Pianisten Lang Lang (kleines Bild) auf.
FOTOS: ANDREAS ENDERMANN / PRIVAT Laetitia Hahn aus Velbert zählt zu Deutschlan­ds größten Nachwuchst­alenten am Klavier. Die Elfjährige ist hochbegabt und trat schon mit dem weltberühm­ten Pianisten Lang Lang (kleines Bild) auf.

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