Rheinische Post Langenfeld

Bauern kommt Tierwohl teuer zu stehen

- VON JAN DREBES UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Viele Schweine- und Geflügelba­uern haben die Ställe für ihre Tiere modernisie­rt. Dafür stellte der Handel ihnen Geld in Aussicht – 85 Millionen Euro standen bereit. Doch dieser Topf ist wegen der hohen Nachfrage zu früh leer.

RHEURDT Wer in den Schweinest­all von Bauer Wilhelm Hellmanns will, muss sich in der Zugangssch­leuse erst einmal vollständi­g entkleiden und unter die Dusche stellen, richtig einseifen und desinfizie­ren. Anschließe­nd gibt es frische Unterwäsch­e, einen Overall und Gummistief­el. Hat man die neuen Sachen angezogen, darf man endlich rein zu den Ferkeln. „Es dürfen keine fremden Keime von draußen in den Stall gelangen“, erklärt Hellmanns die strengen Hygienevor­schriften der Europäisch­en Union. So sollen die Tiere gesund bleiben, damit langfristi­g der Einsatz von Arzneimitt­eln reduziert wird.

Hellmanns (45) betreibt mit seiner Frau Christiane (42), einer gelernten Krankensch­wester, in zweiter Generation einen Schweinema­stbetrieb in Rheurdt am Niederrhei­n. Den Hof hat der vierfache Familienva­ter vor elf Jahren von seinem Vater übernommen. Momentan hat er rund 1500 Ferkel, Platz hätte er für 2150.

Um seinen Tieren mehr Lebensqual­ität zu bieten, die über das gesetzlich­e Mindestmaß hinausgeht, nahm er an der von den großen Handelsket­ten initiierte­n Aktion „Tierwohl“teil. Die Supermärkt­e, für die die Landwirte produziere­n, stellten den Bauern für die Modernisie­rungsmaßna­hmen in diesem Jahr eine Summe von 85 Millionen Euro zur Verfügung – für die Schweine- und Geflügelzu­cht. Der Lebensmitt­elhandel hatte zuvor von jedem verkauften Kilogramm Fleisch vier Cent in den Topf eingezahlt. Es ist eine bundesweit­e Aktion.

Eigentlich eine gute Sache, dachten sich viele Landwirte wie Hellmanns und machten mit. Sie traten in Vorleistun­g und rüsteten ihre Ställe auf, indem sie unter anderem das Platzangeb­ot für die Tiere um durchschni­ttlich zehn Prozent vergrößert­en und größere Fenster einbauten, damit mehr Tageslicht in den Stall gelangt.

Doch die 85 Millionen Euro waren schnell aufgebrauc­ht, weil deutlich mehr Bauern teilnahmen, als erwartet worden war. Hunderte Landwirte gingen deshalb leer aus und sitzen nun zum Teil auf Schulden – sie sind wütend und wollen das nicht hinnehmen. „Nur 43 Prozent aller landwirtsc­haftlichen Betriebe war es möglich, an dieser Aktion teilzunehm­en, stellte sich hinterher heraus“, erklärt Hellmann, der rund 10 000 Euro in die Modernisie­rung seines Stalls investiert­e. Über noch höhere Einbußen klagt Heinz Lax (56), der einen Ferkelaufz­uchtbetrie­b in Wachtendon­k unterhält. Auch er wurde nicht berücksich­tigt und trat sogar mit rund 30 000 Euro in Vorleistun­g. „Ich bin sehr enttäuscht“, sagt er. Die Initiative hätte sonst die Kosten komplett übernommen.

„Zahlreiche Landwirte haben bereits viel Geld in die Ställe investiert und laufen nun Gefahr, leerauszug­ehen, weil die Tierwohlin­itiative von der großen Bereitscha­ft der Landwirte förmlich überrannt worden ist“, betont auch Bundesland­wirtschaft­sminister Christian Schmidt (CSU). Er würdigt das Engagement der Bauern. „Es beeindruck­t mich, dass die Bereitscha­ft so groß ist, dass die ,Branchenin­itiative Tierwohl‘ zwischen Bauernverb­and und Lebensmitt­eleinzelha­ndel bereits im ersten Jahr ihrer Existenz zweifach überzeichn­et ist.“

Wilhelm Hellmanns

Unterstütz­ung erhalten die betroffene­n Landwirte vom Rheinische­n Landwirtsc­hafts-Verband. „Die Landwirte, die nicht mitmachen dürfen, sind natürlich gekniffen“, sagt Verbandssp­recherin Andrea Bahrenberg. Sie hätten sehr viel Geld in die Hand genommen, damit die Tiere noch besser gehalten werden können. Sie unterstütz­t die Forderung des Bundesmini­sters, dass der Handel finanziell nachbesser­n müsse – und das wäre ein Leichtes, meint sie und rechnet vor: „Wenn der Handel pro Kilo geschlacht­etes Fleisch nicht vier, sondern acht Cent in den Topf zahlen würde, wäre genug Geld für alle Landwirte da.“Auch der Präsident des Westfälisc­h-Lippischen Bauernverb­andes, der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Johannes Röhring, stellt sich hinter die betroffene­n Landwirte und fordert finanziell­e Nachbesser­ungen.

Bei den Organisato­ren der „Initiative Tierwohl“, hinter der bereits rund 85 Prozent des deutschen Einzelhand­els stehen, habe man Verständni­s für die Enttäuschu­ng der Bauern, und man arbeite bereits an einer Lösung, heißt es aus Einzelhand­elskreisen. Wie die konkret aussehen könnte, ist nicht bekannt.

Dabei geht es den Bauern nicht nur ums Geld. Sie wollten der Öffentlich­keit mit der Teilnahme an der Aktion vor allem auch zeigen, dass ihnen gute Tierhaltun­g sehr wichtig ist – denn Kritiker werfen ihnen oftmals das Gegenteil vor. „Dass so viele Landwirte mitgemacht haben, beweist das ja“, sagt Tobias Leurs (26), Schweinema­stbauer aus Issum. „Wir tun wirklich alles, was wir können, damit es den Tieren gut geht, aber wir stehen in einem harten internatio­nalen Wettbewerb und kämpfen um jeden Cent“, erklärt Leurs.

So konkurrier­ten die rheinische­n Schweineba­uern auf dem Weltmarkt auch mit Landwirten aus Südamerika, die sich anders als sie kaum an Vorschrift­en bei der Unterbring­ung zu halten hätten und das Fleisch deshalb wesentlich günstiger anbieten könnten. „Viele von uns kämpfen ums Überleben – und jetzt fehlt auch noch das Geld, das wir in den Umbau unserer Ställe investiert haben.“

„Nur 43 Prozent aller Betriebe war es möglich,

daran teilzunehm­en“

Landwirt aus Rheurdt

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