MICHAEL KÖNIG „Bayer ist zu männlich und zu westlich“
Der Bayer-Personalvorstand will mehr Frauen und Ausländer im Management. Die Abspaltung der Chemie kommt voran: Der Vorstand präferiert einen klassischen Börsengang. Im Pharmageschäft schafft Bayer 500 Jobs – in Leverkusen und Wuppertal.
LEVERKUSEN Der Bayer-Konzern kappt seine Wurzeln und verabschiedet sich mit dem Verkauf der Kunststoff-Sparte Bayer Material Science (BMS) von der Chemie. Das ist auch morgen das Thema der Hauptversammlung. Wir sprachen mit Personalvorstand Michael König über Folgen für die Mitarbeiter. Wie weit sind Sie mit dem Börsengang von Bayer Material Science? KÖNIG Wir liegen voll im Zeitplan. Im April wurden die 750 Mitarbeiter und 250 Auszubildenden informiert, die aus anderen Konzerngesellschaften und der Holding zu Material Science wechseln werden. Darüber hinaus werden weitere Mitarbeiter, etwa im Bereich Investor Relations oder Rechnungswesen, von extern eingestellt, damit BMS als künftig eigenständiger Konzern voll arbeitsfähig ist. Zum 1. September sollen die ausgewählten Beschäftigten dann auch rechtlich zu Material Science übergehen. Das Unternehmen wird dann in Deutschland rund 7000 Mitarbeiter haben – weltweit wird die Zahl von jetzt etwa 14 000 auf dann 17 000 steigen. Gingen die Mitarbeiter freiwillig? KÖNIG Die Personalauswahl erfolgte nach sachlichen und transparenten Kriterien, die gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern entwickelt und deren Einhaltung in jedem Einzelfall von einer Paritätischen Kommission sichergestellt wurde. Für viele Beschäftigte ist der bevorstehende Wechsel auch keine Überraschung, weil sie bereits in ihrer jetzigen Konzerngesellschaft in hohem Maße für Material Science tätig waren. Sie nehmen außerdem ihre Rechte mit: Wie bei Bayer gilt dort der Kündigungsschutz bis Ende 2020, und sie werden weiter am Gewinn beteiligt – schließlich wechseln sie in ein starkes Unternehmen, das nach dem Börsengang – gemessen am Umsatz – der viertgrößte Chemiekonzern Europas sein wird. Entscheidet sich Bayer nun für einen klassischen Börsengang (IPO)? Oder ist auch weiterhin möglich, den Bayer-Aktionären eine BMS-Aktie ins Depot zu legen (Spin-off )? KÖNIG Wir wollen die Entscheidung, in welcher Weise der Börsengang erfolgen soll, im zweiten Halbjahr treffen. Die Arbeiten am Börsenprospekt laufen derzeit. Unser Ziel ist es nach wie vor, Material Science spätestens bis Mitte 2016 an die Börse zu bringen. Und wir hatten auch schon gesagt, dass wir eine gewisse Präferenz für einen klassischen Börsengang haben, aber auch ein Spinoff eine sehr gute Alternative wäre. Material Science sitzt in Leverkusen. Bleibt es dabei? Oder droht wie bei Eon eine böse Überraschung? KÖNIG Es bleibt dabei: Die Zentrale von Material Science wird auch nach der Trennung von Bayer in Leverkusen sein. Lanxess konnte ja einst nach seiner Abspaltung nicht schnell genug aus dem Schatten von Bayer treten und ging nach Köln. KÖNIG Es gibt für Material Science keinen Grund, zu Bayer auf Distanz zu gehen. Und wir tun bei der Ausstattung mit Infrastruktur, Gebäuden und Services alles, damit sich der neue Konzern auch auf Dauer in Leverkusen wohlfühlt. Bayer wird zu einem Konzern mit den Bereichen Gesundheit und Agrarwirtschaft schrumpfen. Was ändert sich für die Beschäftigten? KÖNIG Sie bleiben Teil eines sehr innovativen Life-Science-Konzerns. Rund 100 000 Mitarbeiter wird Bayer weltweit haben – und sich auch in Nordrhein-Westfalen weiter entwickeln. So schaffen wir derzeit rund 500 neue Arbeitsplätze in Wuppertal-Elberfeld und Leverkusen. Bayer investiert hier 500 Millionen Euro in die Produktion des Blutgerinnungsfaktors VIII zur Behandlung der Bluterkrankheit. NRW wird damit der zweite Produktionsstandort nach Berke- ley. Für Wuppertal und Leverkusen suchen wir übrigens noch Chemikanten, Techniker und Ingenieure, die möglichst auf Biopharmazie spezialisiert sind und Erfahrung mit Reinraum-Technik haben. Gute Nachrichten. Warum NRW und nicht etwa China? KÖNIG Wir gehen dahin, wo unsere großen Absatzmärkte sind. Und wir gehen dahin, wo wir gutes Personal finden. Das ist in Nordrhein-Westfalen der Fall. Bayer hat hier übrigens immer noch mehr als 22 000 Beschäftigte – Material Science nicht inbegriffen. Spürt Bayer den Fachkräftemangel? KÖNIG Nein. Auf die rund 900 Ausbildungsstellen, die wir 2014 besetzt haben, hatten wir 17 200 Bewerbungen erhalten. Für die 1600 Arbeitsplätze, die wir im vergangenen Jahr deutschlandweit vergeben haben, gab es 45 000 externe Bewerber. Den Ruf als einer der besten Arbeitgeber der Welt wollen wir uns erhalten – auch mit unserer neuen Arbeitgebermarke, mit der wir weltweit um die besten Talente werben. Der Staat schreibt künftig eine Frauenquote vor. Wie weit ist Bayer? KÖNIG Wir haben uns schon 2010 zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil im oberen Management von damals 21 Prozent bis Ende 2015 in Richtung 30 Prozent zu entwickeln. Derzeit sind wir bei gut 27 Prozent. Wir reagieren hier nicht auf politischen Druck, sondern stärken damit grundlegende Aspekte unserer Wettbewerbsfähigkeit. Denn gemischte Teams sind in der Regel innovativer. Und Frauen stellen inzwischen auch die Mehrheit der Hochschulabsolventen. Wann ist eine Frau Bayer-Vorstand? KÖNIG Das wird sicher eines Tages geschehen. Doch wichtiger ist, dass Bayer im Management insgesamt vielfältiger und ausgewogener wird. Noch sind wir in manchen Bereichen zu männlich und zu westlich. Wir haben Kunden in aller Welt. Daher sollten auch Manager aus aller Welt die Geschäfte führen. Beim Aufsichtsrat hinkt Bayer noch hinterher. Hier sind künftig 30 Prozent Frauen vorgeschrieben. KÖNIG Auf der Kapital- und Arbeitnehmerseite sind je zwei der zehn Vertreter Frauen. Damit haben wir die freiwillige Selbstverpflichtung des Corporate Governance Kodex vorzeitig erfüllt. Die neuen gesetzlichen Vorgaben wird der Aufsichtsrat bei den nächsten Aufsichtsratswahlen sicher berücksichtigen.
ANTJE HÖNING STELLTE DIE FRAGEN.