Die Diamanten von Nizza
Reboul hatte darauf beharrt, dass es nur eine einzige annehmbare Möglichkeit gab, das Ereignis zu feiern: ein opulentes Mittagessen. Ein Mittagessen in ihrer neuen Heimatstadt, hoch oben über dem Mittelmeer. Und deshalb hatte er einen Tisch im Chez Marcel reserviert, einem Gourmettempel, der laut Reboul mit zwei unschlagbaren Attraktionen aufzuwarten vermochte – dem herrlichen Ausblick auf den Vieux Port und dem begnadeten jungen Küchenchef, der in Marseille geboren und aufgewachsen war und folglich etwas von Fisch verstand.
Während des kurzen Spaziergangs zum Hafen tat Reboul sein Bestes, um zu erklären, warum der Hauskauf in Frankreich ein so langwieriger und erschöpfender Prozess sei. „Den Franzosen fällt es sehr schwer, jemandem zu vertrauen, wenn es um geschäftliche Angelegenheiten geht, vor allem um Immobilientransaktionen. Vermutlich kann man es ihnen nicht einmal verdenken, denn jedes alte Haus hat seine ureigene Geschichte, und es ist in unserer Gegend nicht ungewöhnlich, dass irgendwelche entfernten Verwandten Besitzansprüche auf ein Zimmer, eine Außentoilette oder einen Teil des Gartens erheben und deswegen leicht Ärger machen könnten. Es liegt daher auf der Hand, dass man solche Hindernisse einkalkulieren und bereits im Vorfeld auf legalem Weg ausräumen sollte. Dazu kommt das Faible der Franzosen für die Bürokratie. Wir mögen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und den Zustand beklagen, aber am Ende nehmen wir ihn so hin, wie er ist. Ich denke, wir finden ihn schlussendlich sogar ziemlich beruhigend. Alle einfachen und schnellen Verfahren wären uns zutiefst suspekt.“
Reboul führte sie den Quai du Port entlang, bis sie zu einem unbeschilderten Eingangstor gelangten, dunkelgrün gestrichen, ein wenig von der Straße zurückgesetzt und mit einer diskret in die Wand eingelassenen Gegensprechanlage versehen. „Wir sind da“, sagte Reboul. „Wie ihr sehen werdet, sind die Besitzer der Meinung, dass sie auch ohne Werbung auskommen, abgesehen von der allerbesten, der Mundpropaganda. Die meisten Leute, die hier verkehren, sind Stammgäste; eigentlich gleicht das Restaurant eher einem exklusiven Club.“Er läutete, murmelte seinen Namen, und die Tür sprang auf.
Eine Steintreppe führte zu einem schmalen, lichtdurchfluteten Gebäude empor. An einem Ende des Restaurants befand sich eine einsehbare Küche, vom Rest des Raumes durch eine Glaswand getrennt. Die übrigen Wände waren der Erinnerung an Marseilles großen Schriftsteller und Filmemacher Marcel Pagnol gewidmet. Riesige Schwarz-Weiß-Fotografien des berühmten Sohnes der Stadt und bekannte Szenen aus seinen Filmen teilten sich die Wandfläche mit Filmplakaten: Manon des Sources, Fanny, Jean de Florette, La Femme du Boulanger und ein halbes Dutzend weitere.
„Lasst mich raten, wie der Küchenchef heißt“, sagte Elena. „Marcel?“
Reboul grinste und schüttelte den Kopf. „Nein, er heißt Serge. Aber Pagnol ist sein großes Hobby. Ah, da kommt ja seine bezaubernde Ehefrau.“
Eine junge Frau mit einem breiten Lächeln und einem Fächer aus Spei- sekarten bahnte sich den Weg durch die Tische, um sie zu begrüßen. „Julie!“, rief Reboul aus. „Francis!“, kam es von Julie zurück.
Nach den obligatorischen Umarmungen, Küssen und Komplimenten erfolgte die Vorstellung der Novizen. Anschließend geleitete Julie sie quer durch den Raum und auf die Terrasse hinaus. Dort standen nicht mehr als ein Dutzend Tische, und jeder Platz bot dieselbe atemberaubende Aussicht: auf die Schiffe im Vieux Port, das glitzernde Wasser und auf den Gipfel eines Hügels in der Ferne, wo der Glockenturm emporragte und die goldene Statue der Madonna mit Kind glänzte, die Notre-Dame de la Garde, eine prachtvolle Basilika, 1864 auf den Grundmauern einer Festung aus dem sechzehnten Jahrhundert erbaut.
Reboul lehnte sich bequem zurück und erhob das schmale, tulpenförmige Champagnerglas, das auf magische Weise erschienen war. „In allen guten Restaurants gehört die Vorfreude zu den besten Appetitanregern“, sagte er. „Ein eiskaltes köstliches Getränk, eine verführerische Speisekarte, eine höchst angenehme Gesellschaft – es gibt keine bessere Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass die Geschmacksnerven auf dem qui vive sind. Was nehmen wir? Tartare de coquilles SaintJacques? Die hausgemachte foie gras? Oder die bouillabaisse maison, Stolz und Freude des Küchenchefs? Entscheidungen, Entscheidungen. Lasst euch Zeit, meine lieben Freunde, lasst euch Zeit.“
Während Elena, Sam und Reboul versuchten, ihre Wahl zu treffen, blieb Coco Dumas keine andere Wahl, als sich mit einem Club-Sandwich im Hochgeschwindigkeitszug TGV nach Paris zu begnügen. Sie war auf dem Weg zu ihrem Vater Alex, der ihr vor mehr als fünfzehn Jahren den Weg ins Geschäftsleben geebnet hatte. Ein Selfmademan, wie er im Buche stand, voller Stolz darauf, es aus eigener Kraft geschafft zu haben, hatte Alex Dumas viel Geld mit seinen geschäftlichen Aktivitäten verdient – über die er nie ein Wort verlor, die ihn aber von Belgien nach Paris geführt hatten, oft via Afrika. Er hatte einen Narren an seiner Tochter gefressen, und da er das Talent entdeckt hatte, das schon zu Beginn ihrer Laufbahn in der Architektur erkennen war, hatte er eine Möglichkeit ersonnen, sie nutzbringend in seine eigenen unternehmerischen Pläne einzubinden. Das Ergebnis war in seinen Augen mehr als befriedigend. Doch nun war er bereit, sich aus dem aktiven Geschäftsleben zurückzuziehen, gleichwohl erst dann, wenn er sicher sein konnte, dass seine teure Coco für den Rest ihres Lebens ausgesorgt hatte.
Als der Spätnachmittag allmählich in die frühen Abendstunden überging, saßen die beiden im Wohnzimmer des Apartments von Dumas père in der Rue de Lille, das von Coco perfekt dekoriert und eingerichtet worden war. Sie unterhielten sich über einige interessante Unternehmensstrategien. Als sie wenig später die Straße überquerten, um im Le Bistrot de Paris zu Abend zu essen, begann eine Idee Gestalt anzunehmen. Es mussten nur noch die Einzelheiten, die alles entscheidenden Details, herausgearbeitet werden. In der Zwischenzeit galt es, Cocos Zukunftspläne in Betracht zu ziehen. Was würde seine Tochter tun, wenn Alex in den Ruhestand trat? (Fortsetzung folgt)