Schulz stellt Konkurrenz in den Schatten
Der SPD-Kanzlerkandidat sorgt weiter für ein Umfragehoch. Je nach Quelle hat er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits überholt. Das macht die Union nervös – und sorgt für schlechte Laune bei der Wahl des Bundespräsidenten.
BERLIN Die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz entfesselt ein lange verloren geglaubtes Potenzial der SPD in Umfragen. Jetzt sieht auch das Meinungsforschungsinstitut Forsa die Sozialdemokraten in einer aktuellen Analyse für das Magazin „Stern“und RTL bei 31 Prozent – erstmals seit Oktober 2012. Zuletzt erreichte die SPD maximal 26 Prozent. Die Union führt zwar noch, mit 34 Prozent (minus ein Prozentpunkt) ist ihr Vorsprung aber knapp. Forsa-Chef Manfred Güllner führte den Zuspruch zur SPD vor allem darauf zurück, dass Parteichef Sigmar Gabriel auf Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz verzichtete.
Zuvor hatte das Institut Insa die SPD mit 31 zu 30 Prozent bereits vor der Union gesehen. In der aktuellen Forsa-Umfrage kann nun SPD-Spitzenkandidat Schulz bei der Frage nach der Kanzler-Direktwahl mit Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU) gleichziehen. Beide erhalten 37 Prozent Zuspruch, Merkel büßte fünf Prozentpunkte ein, Schulz gewann vier hinzu.
Aber wie nachhaltig ist dieser Schulz-Hype? „Eine so entschiedene Wechselstimmung wie 1998, als Gerhard Schröder mit dem weit verbreiteten Überdruss an 16 Jahren Helmut Kohl punkten konnte, können wir momentan noch nicht ausmachen“, sagte Güllner dem „Stern“. Zulauf bekommt die SPD laut Güllner von Anhängern anderer Parteien, auch von der AfD. Diese verliert in der Umfrage einen Punkt und landet bei zehn Prozent. Einen Punkt abgeben müssen auch Linke (acht Prozent) und FDP, die mit fünf Prozent um ihren Einzug in den Bundestag bangen muss. Die Grünen verharren bei acht Prozent.
Die neuen Umfragewerte der SPD sind in der Union das SchlechteLaune-Thema Nummer eins. Abgeordneten und Parteistrategen stößt besonders sauer auf, dass sie in dieser Aufwindstimmung für die SPD nun auch noch mit Frank-Walter Steinmeier einen Sozialdemokraten zum Bundespräsidenten wählen sollen. „Mit Steinmeier einen Sozi zu wählen, fällt schon schwer genug. Aber jetzt bleibt es einem regelrecht im Halse stecken“, sagte ein CDU-Präsidiumsmitglied unserer Redaktion. Die Union hatte sich im November zähneknirschend zu einer Unterstützung Steinmeiers bei der Bundespräsidentenwahl durchgerungen. Damals schien die SPD in ihrem 20-Prozent-Tief in den Umfragen wie eingemauert. Viele Unionsstrategen hielten es schon damals für keine gute Idee, im Superwahljahr 2017 einem SPD-Mann ins höchste Staatsamt zu verhelfen.
Der frühere Außenminister soll am Sonntag in der Bundesversammlung gewählt werden. Mit einer breiten Mehrheit ist zu rechnen, er ist der gemeinsame Kandidat der großen Koalition. Allein Union und SPD kommen auf 923 Stimmen. Nötig sind 631 Stimmen in der Bundesversammlung, die sich aus den Bundestagsabgeordneten und Vertretern der Länder zusammensetzt. Außer der SPD und Union wollen auch Grüne und die FDP Steinmeier unterstützen.
Ob nun die guten Umfragewerte für die SPD aber dazu führen könn- ten, dass in der Bundesversammlung Unionsleute ausscheren und Steinmeier ihre Stimme verweigern könnten, dazu gehen die Meinungen in der Union auseinander. „Das denke ich nicht. Es würde auch kleinlich wirken und wenig souverän“, sagte ein CDU-Vorstandsmitglied. Ein anderer meinte: „Abweichler hätte es so oder so gegeben – auch ohne die guten Umfragewerte der SPD.“Ein Dritter wiederum befand, dass es wegen der enorm hohen Umfragewerte für die SPD in der Tat weniger Unterstützung aus der Union für Steinmeier geben werde. Gleichzeitig sehen die Parteistrategen auch die Gefahr, dass bei zahlreichen Abweichlern in der Union auch das Image der Kanzlerin mitbeschädigt wird, da sie der SPD ja die Unterstützung Steinmeiers zugesichert hat. So oder so wird es für Steinmeier aber nicht gefährlich, seine Wahl gilt als sicher.
Auch Schulz wird am Sonntag in der Bundesversammlung sitzen, die im Bundestag zusammenkommt. Noch sucht die Union nach Strategien, um das Umfragehoch von Schulz zu beenden. Ein Dossier, das der Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Herbert Reul, verschickte, soll Schulz’ Fehltritte in Brüssel auflisten. So habe der frühere Präsident des Europaparlaments sein Amt missbraucht, um die sogenannte Charta der Digitalen Grundrechte – ein Projekt der „Zeit“-Stiftung – auf die Tagesordnung des Parlaments zu bringen. „Es ist höchst unüblich, dass eine nationale Initiative einer privaten Stiftung als ordentlicher Tageordnungspunkt in einem Ausschuss des Parlaments vorgestellt und debattiert wird“, kritisiert Reul in dem Dossier. Zudem habe Schulz während des Europawahlkampfs 2014 sein Gehalt als Präsident weiter kassiert, während EU-Kommissare dafür unbezahlten Urlaub genommen hätten.
Im Willy-Brandt-Haus reagierte man gelassen auf die Vorwürfe, da sie keinesfalls neu und schon längst ausgeräumt seien, hieß es.