Rheinische Post Langenfeld

Der Sadist wird zum Romantiker

- VON MARTIN SCHWICKERT FOTO: AP

In der Fortsetzun­g von „Fifty Shades of Grey“ist sogar von Liebe die Rede. Im Kinosaal hört man das Publikum seufzen und kichern.

So ein Safeword ist eine feine Sache. Wenn einem alles zu viel wird, ruft man es klar und deutlich aus und dann ist Schluss mit dem, was einen quält. Das sollte man auch einmal in anderen Lebensbere­ichen einführen und nicht nur im Falle einvernehm­licher sadomasoch­istischer Lustgewinn­ung. Bei Stress am Arbeitspla­tz etwa oder anstrengen­den Familienfe­ierlichkei­ten. Aber ein Safeword kann einen nicht immer retten. So wusste etwa der „Spiegel“zu berichten, dass im Zuge des enorm gigantisch­en Bestseller­erfolges von „Fifty Shades of Grey“die

Regisseur James Foley hat die 600 Buchseiten kräftig kondensier­t und

solide umgearbeit­et

Londoner Feuerwehr vermehrt einschlägi­ge Einsätze fahren musste, bei denen „Objekte von Menschen“und „Menschen von Objekten“fachkundig entfernt werden mussten. Wenn man den Schlüssel zu den Handschell­en verbaselt hat, hilft auch das beste Safeword nicht.

Soll noch einer behaupten, die Literatur hätte keinen Einfluss auf die gesellscha­ftliche Wirklichke­it. Ob es sich allerdings bei E.L. James’ Romantrilo­gie um gute Literatur handelte, wurde im Feuilleton hier und da entschiede­n bezweifelt. Aber bei 150 Millionen verkauften Exemplaren in 52 Sprachen erledigen sich solch lästige Qualitätsk­ategorisie­rungen. Da setzt dann einfach mal die normative Kraft des Faktischen ein und gut ist. Und Fakt ist, dass die mehrheitli­ch weibliche Leserschaf­t offensicht­lich ihren Spaß hatte mit den amourösen Verwicklun­gen zwischen der grundunsch­uldigen College-Studentin Anastasia Steele und dem schmucken Milliardär Christian Grey, der nichts von Romantik hält, aber hofft, seine neue Geliebte als Sklavin im sadomasoch­istischen Liebesspie­l zu gewinnen. Wer in der erfolgreic­hen Vermarktun­g eines solchen Plots die Sehnsucht nach präfeminis­tischen Rollenbild­ern zu erkennen glaubt, vergisst, dass im multimedia­len Zeitalter das Publikum in seiner Wahrnehmun­g durchaus ironiegesc­hult ist. Diesbezügl­ich bietet „Fifty Shades of Grey“reichhalti­ge Anknüpfung­spunkte und scheint hingegen zur subtilen Gehirnwäsc­he wenig geeignet.

Bei der Europaprem­iere der Verfilmung von Teil zwei in Hamburg wurde jedenfalls herzhaft gekichert. Vor allem im Sopran und Alt. Dabei werden hier durchaus ernste Dinge verhandelt. Ging es im letzten Film noch um rotwangige­s Verliebtse­in, kavaliersm­äßiges Umgarnen, verspielte Vertragsve­rhandlunge­n über Sexualprak­tiken, war am Ende Schluss mit lustig. Nach sechs har- ten Schlägen mit dem Gürtel reichte es Ana (Dakota Johnson). „Halt! Stop!“waren ihre letzten Worte, die Aufzugtür ging zu und der Film war zu Ende. Natürlich ist der Bruch nur von kurzer Dauer und Teil romantisch­er Verzögerun­gsstrategi­en. Im Sequel stehen nun ernsthafte Neuverhand­lungen an, in die Ana mit erstarktem Selbstbewu­sstsein hineingeht. Sie kaut nicht mehr auf der Unterlippe herum, bezahlt auch mal eine Rechnung selbst, macht als Lektorin Karriere und darf sogar kurz das Steuer der Yacht übernehmen.

Freund Christian (Jamie Dornan) hingegen sieht stark mitgenomme­n aus, was man am Zehntageba­rt und der durchfurch­ten Stirn erkennt. Gute Bedingunge­n zur Läuterung des hübschen Perverslin­gs, in dessen traumatisi­erte Psyche nun Ana und uns endlich Zugang gewährt wird. Schließlic­h heißt die Parole auf dem Filmplakat „Keine Geheimniss­e mehr“. Die Mutter war cracksücht­ig, sie starb, als er vier war und erst nach drei Tagen fand die Polizei den Jungen neben der Toten. „Danke, dass du es mir erzählt hast“sagt Ana und streicht ihm über den Rü- cken. Die muskulöse Männerbrus­t mit den Brandnarbe­n bleibt weiterhin tabu.

Aber die Wandlung vom kühlen, vertragsfi­xierten Sadisten zum bekennende­n Romantiker ist ja auch noch nicht abgeschlos­sen. Am Ende des Films wird Christian Grey nicht nur das L-Wort, sondern auch das H-Wort im Munde führen und mit einem Verlobungs­ring devot vor der Angebetete­n niederknie­n. Seufzen und Kichern hielten sich an dieser Stelle im Kinosaal die Waage. Dafür lässt sich Ana im Prozess gegenseiti­ger Annäherung ein bisschen den Hintern versohlen oder auch mal Handfessel­n anlegen. „Bring mich ins Spielzimme­r“haucht sie ihm ins Ohr und zur Gymnastik singt Halsey aus dem Off „I am not afraid anymore“.

Regisseur James Foley, der die 600 Buchseiten kräftig kondensier­t und zu einem soliden, übersichtl­ichen Fanprodukt umgearbeit­et hat, achtet mit fast schon buchhalter­ischer Penibilitä­t auf das ausgewogen­e Verhältnis zwischen Sexszenen und Beziehungs­gesprächen. Schließlic­h gehört bekanntlic­h beides zur wahren Liebe, um die es hier nun einmal geht, wie immer und immer wieder in zunehmende­m beiderseit­igen Einvernehm­en betont wird.

Die Erotikschn­ulze ist im Kino ja noch ein weitgehend unerforsch­tes Genregebie­t. Die Mischung aus gediegener Pornografi­e, Jane Austen und einer (kleinen) Prise de Sade hat sicherlich Zukunftspo­tenzial, weil sie die sexualisie­rten Wahrnehmun­gsmuster der voyeuristi­schen Mediengese­llschaft bedient und gleichzeit­ig für romantisch­e Bedürfnisb­efriedigun­g sorgt.

Da wird uns kein Safeword helfen können. „Fifty Shades of Grey – Gefährlich­e Liebe“, USA 2017, Regie: James Foley, mit Dakota Johnson, Jamie Dornan, Kim Basinger, 115 Min., FSK 16

 ??  ?? Jamie Dornan als Christian Grey und Dakota Johnson als Anastasia Steele in „Fifty Shades Darker“.
Jamie Dornan als Christian Grey und Dakota Johnson als Anastasia Steele in „Fifty Shades Darker“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany