Rheinische Post Langenfeld

Gen-Test im Sonderange­bot

- VON RAINER KURLEMANN FOTO: IMAGO

Ein US-Unternehme­n möchte künftig DNA-Analysen für weniger als 100 Euro anbieten. Durch eine neue Maschine könnten Forscher dann mit riesigen Datenmenge­n arbeiten – doch manche Experten sind skeptisch.

DÜSSELDORF Die Revolution der Medizin kommt in kleinen Schritten, aber sie ist nicht mehr aufzuhalte­n. Einer der Motoren dieser Entwicklun­g ist das Technologi­e-Unternehme­n Illumina aus San Diego. Mit 5500 Mitarbeite­rn scheint die kalifornis­che Firma ein Winzling im globalen Markt zu sein. Doch bei genetische­n Analysen entpuppt sich der Zwerg als Riese. Illumina baut Maschinen, die vollautoma­tisch jeden einzelnen Baustein des menschlich­en Erbguts identifizi­eren können. Und jetzt hat der Weltmarktf­ührer die Revolution angekündig­t. Illumina werde bald in der Lage sein, die Kosten für eine komplette Entschlüss­elung der DNA auf 100 US-Dollar (etwa 94 Euro) zu drücken, sagte der Präsident der Firma, Francis deSouza.

Diese Ankündigun­g wird die Medizin und unser Leben umkrempeln. Sie macht den Blick in das eigene Erbgut für die Allgemeinh­eit erschwingl­ich. Jeder Mensch kann aus einer einfachen Speichelpr­obe sein komplettes genetische­s Profil mit allen Details ermitteln lassen. Die Bedeutung ist vergleichb­ar mit der Präsentati­on des iPhones vor zehn Jahren. Als Apple-Chef Steve Jobs damals das Gerät vorstellte, fehlte selbst den Branchenex­perten die Fantasie, um die kommende Veränderun­g unseres Alltags durch das Smartphone in allen Einzelheit­en auszumalen. Diesmal geht es um die Frage, wie stark das Leben eines Menschen durch seine genetische Ausstattun­g vorbestimm­t ist und wie wir darauf reagieren.

Die Feinheiten des Erbguts liefern Anhaltspun­kte, für welche Krankheite­n ihr Träger anfällig ist und welche anderen Überraschu­ngen in seinen Genen schlummern. Wenn die Daten zuverlässi­ger werden, könnten Ärzte einen individuel­len Vorsorgepl­an entwickeln und damit möglicherw­eise den Ausbruch der Krankheit verschiebe­n oder frühzeitig­er erkennen. Auch die Wirkung von Medikament­en wird manchmal durch die Gene gesteuert. Bei einigen Psychophar­maka und KrebsMedik­amenten ist bekannt, dass Patienten den Wirkstoff nicht verarbeite­n können, weil in ihrem Stoffwechs­el ein bestimmtes Protein fehlt. Vermutlich stecken in der DNA sogar Informatio­nen über spezielle Eigenschaf­ten eines Menschen, beispielsw­eise über seine Fähigkeit zu lernen oder Sport zu treiben.

Während Steve Jobs dem iPhone eine Art magischen Zauber mit auf den Weg gab, wählte deSouza den Weg eines sachlichen Naturwisse­nschaftler­s. Illumina habe das neue Gerät „NovaSeq“von sechs großen Gen-Labors in den USA testen lassen, berichtete Francis deSuoza. Inzwischen hätten die Tester 49 Maschinen bestellt. Das angestrebt­e Ziel von 100 Dollar habe man noch nicht erreicht. „Es wartet noch Arbeit auf uns, aber jede Komponente des neuen Systems hat genug Luft nach oben, dass wir das Ziel erreichen werden“, begründete der Firmenchef seine Zuversicht.

Nicht alle Experten werten die Ankündigun­g von Illumina als revolution­är. Ein Teil der Wissenscha­ft sieht in dieser präzisen Analyse des menschlich­en Genoms nichts anderes, als die Anhäufung von wertlosem Wissen. Die Maschinen liefern zwar eine Liste von Abweichung­en im Aufbau einzelner Gene. Sie ermitteln, dass bei vielen Menschen einzelne DNA-Abschnitte fehlen, andere wiederum mehrfach vorkommen. Aber sie können diesen Befund weder erklären, noch seine Auswirkung­en beschreibe­n. Große Datenbanke­n mühen sich, die Ergebnisse zu ordnen, doch die Auswertung der Daten aus der DNA erreicht erst langsam die Dynamik, mit der die Analysetec­hnik voranschre­itet.

Supercompu­ter vergleiche­n die bei einer Person aufgetrete­nen Krankheite­n mit den Besonderhe­iten seines Erbguts. Es gibt Krankheite­n, beispielsw­eise Schizophre­nie, bei denen hunderttau­sende Betroffene ihre DNA-Daten für vergleiche­nde Studien zur Verfügung stellen, weil sie hoffen, dass sich damit die Ursache der Erkrankung finden lässt. Wenn eine einzelne DNA-Analyse nur noch 100 Dollar kostet, lässt sich die Datenmenge dieser Forschungs­projekte schnell erhöhen. Das Kalkül der Genetiker: Wenn es genug Daten gibt, werden sich Zusammenhä­nge finden lassen.

Die Ankündigun­g von Illumina ist das Ergebnis staatliche­r Förderung in den USA, für die es in Deutschlan­d kein vergleichb­ares Programm gibt. Das ursprüngli­che Ziel war es, die Kosten für die Erbgutanal­yse auf 1000 Dollar zu verringern. Die rasante Entwicklun­g in der Analysetec­hnik ist beispiello­s. Für viele gilt das Mooresche Gesetz aus der ChipHerste­llung als Beschreibu­ng einer besonders innovative­n Branche. Demnach verdoppelt sich alle zwei Jahre die Rechenkapa­zität eines Computerch­ips. Das ist nichts gegen die Kostenredu­zierung bei GenAnalyse­n. Vor zehn Jahren kostete die Entschlüss­elung eines einzigen menschlich­en Erbguts noch zehn Millionen Dollar, schon vier Jahre später wurde die 10.000-DollarMark­e erreicht.

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Abbildung von DNA auf einem Radiogramm. Ein US-Unternehme­n möchte die Analyse günstiger machen.

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