Rheinische Post Langenfeld

Ein Volkssport sucht Kontakt zum Volk

- VON PATRICK SCHERER QUELLE: DOSB | FOTO: IMAGO | GRAFIK: ZÖRNER

DÜSSELDORF Es ist 1989, und auf einmal steht Tischtenni­s deutschlan­dweit im Fokus. Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner gewinnen in Dortmund den WM-Titel im Doppel. Die ARD kauft prompt für 150.000 D-Mark die Übertragun­gsrechte für das Europapoka­lfinale ein paar Wochen später, berichtet vier Stunden live. Und „Rossi“und „Speedy“tingeln durch die TVShows der damaligen Zeit. 28 Jahre später kehrt die Einzel-WM nach Deutschlan­d zurück. Der Wunsch der Verantwort­lichen für das Turnier vom 25. Mai bis 5. Juni in Düsseldorf ist eine ähnliche Nachhaltig­keit für den Sport wie damals. Doch es gibt Probleme: die Hürden der heutigen, schnellleb­igen Gesellscha­ft und fehlende Haupt- und Ehrenamtle­r.

Andreas Preuß

„Ich weiß nicht, ob Timo mit Tischtenni­s angefangen hätte, hätten wir damals nicht so gut gespielt“, sagt Roßkopf heute. Als Bundestrai­ner wird er das Team im Mai betreuen. Mit Timo meint er natürlich Timo Boll. Das Aushängesc­hild des deutschen Tischtenni­s’. Über Jahre trug Boll dieses Schild durch die Welt. Jetzt ist er 35 Jahre alt, seine Karriere neigt sich dem Ende entgegen und ein jüngeres Zugpferd dieser Güteklasse ist nicht in Sicht. Der Manager von Bolls Verein Borussia Düsseldorf, Andreas Preuß, sagt: „Es gibt zwei Fragestell­ungen: Wie kommen wir an den nächsten Boll? Und: Wie stärken wir am besten die Basis?“Dabei soll die WM helfen. „Es ist eine Jahrhunder­tchance für uns“, sagt Preuß.

Seit 2001 haben die knapp 10.000 Vereine in Deutschlan­d mehr als 130.000 Mitglieder verloren. Ein Phänomen, mit dem alle Sportarten zu kämpfen haben – außer dem Fußball. Michael Geiger, Präsident des Deutschen Tischtenni­s Bundes (DTTB), erklärt: „Das hängt sehr stark mit gesellscha­ftlichem Wandel und veränderte­m Freizeitve­rhalten zusammen, das wiederum auch durch das geänderte Schulsyste­m bedingt ist.“Tischtenni­s hat aber einen Vorteil gegenüber anderen Sportarten: „Tischtenni­s geht überall und sofort“, sagt Preuß. Allein in Düsseldorf stehen Hunderte Steinplatt­en auf Schulhöfen, in Freibädern und Parks. Deutschlan­dweit sind es geschätzt 120.000. Tischtenni­s gilt im aktiven Bereich als Volkssport auf Augenhöhe mit dem Fußball. Nahezu jeder stand im Kindesalte­r mal an der Platte. „Über alle Altersschi­chten verteilt, könnte ich mir sogar vorstellen, dass mehr Leute zum Tischtenni­sschläger greifen als zum Fußball“, sagt Geiger. Es hakt allerdings beim Transfer vom Hobbyspiel­er an der Steinplatt­e zum Vereinsakt­eur in der Halle.

Genau da wollen die Verantwort­lichen ansetzen. „Wir dürfen nicht nur warten, bis die Leute zu uns in die Halle kommen, sondern wir müssen sie abholen“, sagt Geiger.

Der Weltverban­d ITTF versucht es vor allem mit optischen Reizen und alternativ­em Spielkonze­pt. TTX heißt das neue Programm. Mit bunt bemalten Tischen und Schlägern will der Verband beeindruck­en. Der Satz endet nicht nach einer bestimmten Anzahl von Punkten, sondern nach zwei Minuten, es gibt keine Regeln für die Schlagtech­nik und die Möglichkei­t, Extra-Punkte für spezielle Schläge zu erhalten. In der Düsseldorf­er Altstadt soll am 27. Mai mit Hilfe von Biertische­n die längste Tischtenni­stheke der Welt entstehen. Ein Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde ist das Ziel.

Die Frage bleibt aber, wie das geweckte Interesse dann zu einer Mitgliedsc­haft führen soll. „Wir können ein noch so schönes Konzept schreiben, wenn der Vereinsvor­sitzende froh ist, dass er überhaupt einen hat, der einmal in der Woche die Halle aufschließ­t, dann wird es in der Breite nicht fruchten“, sagt Geiger. Bei einem Strategiek­ongress wurde zuletzt mit den Landesverb­änden erörtert, was verbessert werden kann. Die Unterschie­de sind aber sehr groß. Der bayerische und der westdeutsc­he Verband umfassen fast ein Sechstel der Mitglieder. „Die gesamte Mitglieder­zahl in Mecklenbur­g-Vorpommern ist kleiner als die von einem Bezirk in Bayern“, erklärt Geiger. Das Problem der fehlenden personelle­n Ressourcen scheint so schnell nicht zu lösen. „Wir können aber alle gemeinsam noch mehr machen“, sagt Preuß, der vor allem im Bereich der sozialen Medien noch Bedarf für Verbesseru­ng sieht.

Etwas Hoffnung bringt die Reform der Spitzenspo­rtförderun­g, nach der erfolgvers­prechende Sportarten mehr Geld vom Bundesinne­nministeri­um erhalten sollen. „Wir haben bewiesen, dass unsere Strukturen im Rahmen dessen, was überhaupt leistbar ist, greifen. Deshalb sind wir selbstbewu­sst. Dann müsste der Zuschuss zumindest so bleiben wie bisher, vielleicht wird er sogar erhöht“, sagt Geiger.

Aber: Wenn Boll und der zweite Topspieler des DTTB, Dimitrij Ovtcharov (28), in absehbarer Zukunft aufhören, droht ein Vakuum auf Profi-Ebene. Zumal andere Nationen aufrüsten. Neben dem dominanten China ist vor allem Japan auf dem Vormarsch. „Die Japaner sind mit riesigem Tross auf der World Tour unterwegs. Olympia 2020 in ihrer Heimat spielt dabei sicher eine Rolle. Jeder Spieler hat seinen Coach dabei. Diese Möglichkei­t haben wir nicht“, sagt Geiger. China und Japan würden beide im Vergleich mit Deutschlan­d mindestens das Doppelte investiere­n.

Geigers Plan ist es deshalb nicht, die Japaner oder Chinesen zu kopieren: „Es hat uns Deutsche ja oft ausgezeich­net: Dann müssen wir es eben anders machen.“

„Es ist eine Jahrhunder­tchance

für uns“

Manager bei Borussia Düsseldorf

Männer

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