Die Diamanten von Nizza
Diese kleine heruntergekommene Hütte lenkt uns nur von unserem Kerngeschäft ab.“Er erhob sich, ging zum Fenster hinüber und schüttelte den Kopf. „Sie verschwenden Ihre Zeit.“
Coco seufzte. Es gab Zeiten, in denen sie Gregoires Karrierismus ungemein lästig fand. „Ich habe die reichen Leute und ihre bombastischen Anwesen allmählich satt. Dieses Projekt hingegen könnte ungeheuer spannend werden. Die Besitzer des Hauses sind mir, obwohl sie Amerikaner sind, irgendwie sympathisch, und ich bin mir sicher, dass mir die Arbeit Spaß machen wird. Also werde ich zusagen.“
„Reine Zeitverschwendung“, gab Gregoire abermals zu bedenken. „Sie scheinen vergessen zu haben, warum unsere Firma bisher so erfolgreich war.“
„Und Sie scheinen vergessen zu haben, wie der Name unserer Firma lautet: Cabinet Dumas. Und nicht Cabinet Gregoire. Ich übernehme den Auftrag, Ende der Diskussion.“
Diese autoritären Worte hallten in Gregoire nach, als er die Promenade des Anglais entlangging, und sie ärgerten ihn. In den vergangenen Wochen hatte er zunehmend den Eindruck gewonnen, kaum mehr als ein Sekretär für Coco zu sein. Dabei hatte er während ihrer mehrjährigen Zusammenarbeit einen beträchtlichen Beitrag zum positiven Geschäftsverlauf geleistet. Aber er war nach wie vor ihr Angestellter und kein gleichwertiger Partner. Versprechen waren angedeutet, jedoch nie in die Tat umgesetzt worden. Gregoire war nicht nur mit seiner Geduld, sondern auch mit seinem Geld am Ende. Seit einiger Zeit hatte ihn das Glück im Aktienhandel verlassen. Er hatte sich auf windige Spekulationen eingelassen und fast immer Schiffbruch erlitten, jetzt brauchte er dringend eine Finanzspritze, und das nicht zu knapp.
Seine Stimmung hellte sich auf, als er das Strandrestaurant betrat, in dem er sich mit einer jungen Dame aus der Werbebranche zum Mittagessen verabredet hatte. Le Poisson Nu – Der nackte Fisch – war ein einfaches Lokal, in dem es gute, solide Gerichte gab. Doch was Stammkunden beiderlei Geschlechts am meisten anzog, war die zwanglose Kleiderordnung, die besagte, dass Badehose und Bikini, wie knapp bemessen auch immer, beim Mittagessen genügten.
Gregoire eilte in den Umkleideraum, um sich seiner Kleidung zu entledigen, bevor er sich seinen Weg durch die Schar der Gäste bahnte, die an der Bar stehend oder an den Tischen sitzend ihr gebräuntes Fleisch zur Schau stellten. Die hochgewachsene junge Frau, die er auf einem Flirtportal kennengelernt hatte, hatte bereits am Tisch Platz genommen und bot ihm einen Anblick, der ihn den Ärger dieses Tages erst einmal vergessen ließ. Bei den beiden vorherigen Begegnungen war sie von Kopf bis Fuß bekleidet gewesen. Was sie heute von völliger Nacktheit trennte, waren einige wenige kunstvoll drapierte Stofffetzen, die an einen Bikini erinnerten. Gregoire zog den Bauch ein und gesellte sich zu ihr.
Weit entfernt, auf der anderen Seite des Atlantiks, bereiteten Kathy und Conor Fitzgerald sich auf einen weiteren aufreibenden Tag vor, der mit gesellschaftlichen Verpflichtungen angefüllt war. Es waren ihre letzten Tage in New York, bevor sie nach Paris fliegen und von dort zu ihrem Haus in Cap Ferrat weiterreisen würden, wo sie den Sommer verbringen wollten. Jetzt galt es, all die Mittagessen, Soiréen und Abendessen zu bestehen, die vor einem Aufbruch zu fernen Ufern anstanden. Fitzgerald, der sich seinem sechsten Lebensjahrzehnt näherte, galt als reichster Lebensmittelhändler Amerikas. Vor vierzig Jahren hatte er mit einem kleinen Gemischtwarenladen in seiner Heimatstadt Boston angefangen. Inzwischen herrschte er über zwei Supermarktketten, Wohnblocks in Miami und Los Angeles, einen eigenen Rennstall, ein Doppelhaus am noblen Central Park South, die Sommerresidenz in Cap Ferrat. Natürlich hatte er auch diverse Ehefrauen gehabt, von denen Kathy die jüngste, blondeste und aktuelle war. Sie waren wie füreinander geschaffen, denn sie besaß die Gabe, das Geld genauso schnell auszugeben, wie er es verdiente – Pelze, Schmuck, Designergarderobe, sie liebte alles gleichermaßen, und ihr Mann, der sie anbetete, war glücklich, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
Während des Frühstücks besprachen die Fitzgeralds die verschiedenen gesellschaftlichen Aktivitäten, die sie für Frankreich planten. Kathy war daran interessiert, neue Kontakte zu knüpfen, vor allem zur jüngeren Generation, wie sie es auszudrücken beliebte, eine belebende Abwechslung zu den alten New Yorker Freunden.
Fitzgerald beugte sich über den Frühstückstisch und tätschelte ihre Wange. „Kein Problem, Schätzchen. Wir geben eine Party, sobald wir uns häuslich niedergelassen haben. Warum sprichst du nicht mit dieser Coco-Dingsbums, die das Haus ein- gerichtet hat? Sie kennt mit Sicherheit Hinz und Kunz dort unten und kann Einheimische für dich auftreiben.“– „Fitz, du bist ein Schatz! Und du bist ganz sicher, dass es in Ordnung ist, wenn ich meine persönliche Fitnesstrainerin mitnehme?“
„Unbedingt. Im Flugzeug ist genug Platz. Sie ist willkommen, aber nur solange sie mich nicht zwingt, Liegestützen zu machen.“
Kathy war hocherfreut bei dem Gedanken, die Verbindung zu Coco Dumas wieder aufleben zu lassen, die sie im Zuge der Renovierung des Hauses in Cap Ferrat kennengelernt hatte. Der Chic und die Ideen dieser Französin hatten sie beeindruckt; Coco war ihrerseits angenehm überrascht gewesen, einer Frau zu begegnen, die im Gegensatz zu vielen anderen Klienten trotz ihres Lebens im Überfluss relativ normal geblieben war. Daraus hatte sich eine beiderseitige Zuneigung entwickelt. Und als sie später am Tag miteinander telefonierten, befanden sie sich auf Anhieb wieder auf derselben Wellenlänge, tauschten verbale Luftküsse und gesellschaftliche Neuigkeiten aus, bevor Kathy das Thema Party zur Sprache brachte.
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir helfen könnten. Wir haben beschlossen, in unserem Haus eine Party zu veranstalten. Wir haben natürlich Hausgäste, aber ausschließlich alte Freunde aus New York, und ich würde gerne ein paar Leute einladen, die frischen Wind mitbringen – Sie wissen schon, ein paar interessante Einheimische: jung, amüsant und der englischen Sprache mächtig, das wäre perfekt. Was halten Sie davon?“
Coco musste nicht lange nachdenken. (Fortsetzung folgt)