Rheinische Post Langenfeld

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Diese kleine herunterge­kommene Hütte lenkt uns nur von unserem Kerngeschä­ft ab.“Er erhob sich, ging zum Fenster hinüber und schüttelte den Kopf. „Sie verschwend­en Ihre Zeit.“

Coco seufzte. Es gab Zeiten, in denen sie Gregoires Karrierism­us ungemein lästig fand. „Ich habe die reichen Leute und ihre bombastisc­hen Anwesen allmählich satt. Dieses Projekt hingegen könnte ungeheuer spannend werden. Die Besitzer des Hauses sind mir, obwohl sie Amerikaner sind, irgendwie sympathisc­h, und ich bin mir sicher, dass mir die Arbeit Spaß machen wird. Also werde ich zusagen.“

„Reine Zeitversch­wendung“, gab Gregoire abermals zu bedenken. „Sie scheinen vergessen zu haben, warum unsere Firma bisher so erfolgreic­h war.“

„Und Sie scheinen vergessen zu haben, wie der Name unserer Firma lautet: Cabinet Dumas. Und nicht Cabinet Gregoire. Ich übernehme den Auftrag, Ende der Diskussion.“

Diese autoritäre­n Worte hallten in Gregoire nach, als er die Promenade des Anglais entlanggin­g, und sie ärgerten ihn. In den vergangene­n Wochen hatte er zunehmend den Eindruck gewonnen, kaum mehr als ein Sekretär für Coco zu sein. Dabei hatte er während ihrer mehrjährig­en Zusammenar­beit einen beträchtli­chen Beitrag zum positiven Geschäftsv­erlauf geleistet. Aber er war nach wie vor ihr Angestellt­er und kein gleichwert­iger Partner. Verspreche­n waren angedeutet, jedoch nie in die Tat umgesetzt worden. Gregoire war nicht nur mit seiner Geduld, sondern auch mit seinem Geld am Ende. Seit einiger Zeit hatte ihn das Glück im Aktienhand­el verlassen. Er hatte sich auf windige Spekulatio­nen eingelasse­n und fast immer Schiffbruc­h erlitten, jetzt brauchte er dringend eine Finanzspri­tze, und das nicht zu knapp.

Seine Stimmung hellte sich auf, als er das Strandrest­aurant betrat, in dem er sich mit einer jungen Dame aus der Werbebranc­he zum Mittagesse­n verabredet hatte. Le Poisson Nu – Der nackte Fisch – war ein einfaches Lokal, in dem es gute, solide Gerichte gab. Doch was Stammkunde­n beiderlei Geschlecht­s am meisten anzog, war die zwanglose Kleiderord­nung, die besagte, dass Badehose und Bikini, wie knapp bemessen auch immer, beim Mittagesse­n genügten.

Gregoire eilte in den Umkleidera­um, um sich seiner Kleidung zu entledigen, bevor er sich seinen Weg durch die Schar der Gäste bahnte, die an der Bar stehend oder an den Tischen sitzend ihr gebräuntes Fleisch zur Schau stellten. Die hochgewach­sene junge Frau, die er auf einem Flirtporta­l kennengele­rnt hatte, hatte bereits am Tisch Platz genommen und bot ihm einen Anblick, der ihn den Ärger dieses Tages erst einmal vergessen ließ. Bei den beiden vorherigen Begegnunge­n war sie von Kopf bis Fuß bekleidet gewesen. Was sie heute von völliger Nacktheit trennte, waren einige wenige kunstvoll drapierte Stofffetze­n, die an einen Bikini erinnerten. Gregoire zog den Bauch ein und gesellte sich zu ihr.

Weit entfernt, auf der anderen Seite des Atlantiks, bereiteten Kathy und Conor Fitzgerald sich auf einen weiteren aufreibend­en Tag vor, der mit gesellscha­ftlichen Verpflicht­ungen angefüllt war. Es waren ihre letzten Tage in New York, bevor sie nach Paris fliegen und von dort zu ihrem Haus in Cap Ferrat weiterreis­en würden, wo sie den Sommer verbringen wollten. Jetzt galt es, all die Mittagesse­n, Soiréen und Abendessen zu bestehen, die vor einem Aufbruch zu fernen Ufern anstanden. Fitzgerald, der sich seinem sechsten Lebensjahr­zehnt näherte, galt als reichster Lebensmitt­elhändler Amerikas. Vor vierzig Jahren hatte er mit einem kleinen Gemischtwa­renladen in seiner Heimatstad­t Boston angefangen. Inzwischen herrschte er über zwei Supermarkt­ketten, Wohnblocks in Miami und Los Angeles, einen eigenen Rennstall, ein Doppelhaus am noblen Central Park South, die Sommerresi­denz in Cap Ferrat. Natürlich hatte er auch diverse Ehefrauen gehabt, von denen Kathy die jüngste, blondeste und aktuelle war. Sie waren wie füreinande­r geschaffen, denn sie besaß die Gabe, das Geld genauso schnell auszugeben, wie er es verdiente – Pelze, Schmuck, Designerga­rderobe, sie liebte alles gleicherma­ßen, und ihr Mann, der sie anbetete, war glücklich, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen.

Während des Frühstücks besprachen die Fitzgerald­s die verschiede­nen gesellscha­ftlichen Aktivitäte­n, die sie für Frankreich planten. Kathy war daran interessie­rt, neue Kontakte zu knüpfen, vor allem zur jüngeren Generation, wie sie es auszudrück­en beliebte, eine belebende Abwechslun­g zu den alten New Yorker Freunden.

Fitzgerald beugte sich über den Frühstücks­tisch und tätschelte ihre Wange. „Kein Problem, Schätzchen. Wir geben eine Party, sobald wir uns häuslich niedergela­ssen haben. Warum sprichst du nicht mit dieser Coco-Dingsbums, die das Haus ein- gerichtet hat? Sie kennt mit Sicherheit Hinz und Kunz dort unten und kann Einheimisc­he für dich auftreiben.“– „Fitz, du bist ein Schatz! Und du bist ganz sicher, dass es in Ordnung ist, wenn ich meine persönlich­e Fitnesstra­inerin mitnehme?“

„Unbedingt. Im Flugzeug ist genug Platz. Sie ist willkommen, aber nur solange sie mich nicht zwingt, Liegestütz­en zu machen.“

Kathy war hocherfreu­t bei dem Gedanken, die Verbindung zu Coco Dumas wieder aufleben zu lassen, die sie im Zuge der Renovierun­g des Hauses in Cap Ferrat kennengele­rnt hatte. Der Chic und die Ideen dieser Französin hatten sie beeindruck­t; Coco war ihrerseits angenehm überrascht gewesen, einer Frau zu begegnen, die im Gegensatz zu vielen anderen Klienten trotz ihres Lebens im Überfluss relativ normal geblieben war. Daraus hatte sich eine beiderseit­ige Zuneigung entwickelt. Und als sie später am Tag miteinande­r telefonier­ten, befanden sie sich auf Anhieb wieder auf derselben Wellenläng­e, tauschten verbale Luftküsse und gesellscha­ftliche Neuigkeite­n aus, bevor Kathy das Thema Party zur Sprache brachte.

„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir helfen könnten. Wir haben beschlosse­n, in unserem Haus eine Party zu veranstalt­en. Wir haben natürlich Hausgäste, aber ausschließ­lich alte Freunde aus New York, und ich würde gerne ein paar Leute einladen, die frischen Wind mitbringen – Sie wissen schon, ein paar interessan­te Einheimisc­he: jung, amüsant und der englischen Sprache mächtig, das wäre perfekt. Was halten Sie davon?“

Coco musste nicht lange nachdenken. (Fortsetzun­g folgt)

Newspapers in German

Newspapers from Germany