Rheinische Post Langenfeld

Rheinland – Größe statt Klasse

- VON MARTIN KESSLER

DÜSSELDORF Am heutigen Montag wird in Nordrhein-Westfalen Geschichte geschriebe­n. Mit ihrer Unterschri­ft zum Gründungsd­okument der Metropolre­gion Rheinland schaffen die Vertreter von elf Städten, 13 Kreisen, zwei Regierungs­präsidien sowie der dort ansässigen Industrie- und Handelskam­mern und Handwerksk­ammern den größten städtische­n Verbund Deutschlan­ds. 8,5 Millionen Menschen leben in der neuen Metropolre­gion, die mit 291 Milliarden Euro fast die Hälfte des Bruttoinla­ndsprodukt­s Nordrhein-Westfalens erwirtscha­ften. Auf den 1130 Autobahn- und 683 Schienenki­lometern bewegen sich täglich 2,5 Millionen Pendler. Von den Airports der Metropolre­gion starten und landen jährlich 33,8 Millionen Passagiere, an ihren Häfen werden im gleichen Zeitraum fast 61 Millionen Tonnen Güter umgeschlag­en. 326.000 junge Menschen studieren dort an 64 Hochschule­n.

Die neue Metropolre­gion (Werbespruc­h: In der Mitte Europas – Tor in die Welt) verbindet sogar die bislang feindliche­n Geschwiste­r Düsseldorf und Köln. Sie liegt im Zentrum des Teils von Europa, der die höchste Bevölkerun­gsdichte aufweist. Klar, dass sich die neue Metropolre­gion als der wichtigste Motor im Westen Deutschlan­ds sieht.

Doch schiere Größe allein entscheide­t noch nicht über den Erfolg. Mit seinen vielen unterschie­dlichen Akteuren, mit dem Konflikt um die Mitgliedsc­haft der Ruhrgebiet­sanrainer Duisburg und Kreis Wesel sowie dem jahrzehnte­langen Dauerstrei­t der Metropolen Düsseldorf und Köln hat der neue Verbund schon vor seinem Start an Schlagkraf­t eingebüßt.

Sicher, die Metropolre­gion, die so starke Städte wie Düsseldorf, Köln, Aachen und Bonn umfasst, verfügt über viele Vorteile. Im Vergleich mit der Konkurrenz vor allem in Süddeutsch­land werden auch die Defizite sichtbar. So liegen sowohl bei der wirtschaft­lichen Leistungsf­ähigkeit, gemessen als Produktivi­tät der Beschäftig­ten, wie auch bei der Kaufkraft ihrer Bewohner die Regionen Stuttgart, Frankfurt und München vor den Zentren am Rhein. Auch bei der Gründungsi­ntensität der Computerbr­anche schneiden München, Berlin, der Rhein-Main-Raum sowie Hamburg, Stuttgart und Nürnberg besser ab als die Rhein-Ruhr-Region. Das hat zumindest die IHK Hamburg in ihrer jüngsten Studie über Metropolre­gionen herausgefu­nden.

In einer Forschungs­arbeit des Hamburger Weltwirtsc­haftsarchi­vs über sechs Metropolre­gionen belegt RheinRuhr (nur diese Großregion wurde verglichen) mit einem Wirtschaft­swachstum von nur 8,2 Prozent zwischen 2007 und 2013 lediglich einen der hinteren Ränge. Deutlich besser sieht es für Berlin (plus 17,1 Prozent) und München (plus 16,5 Prozent) aus.

Die beiden Regionalwi­ssenschaft­ler Hendrik Hüning und Jan Wedemeier sehen den Süden Deutschlan­ds im Wettbewerb der Metropolre­gionen klar vorne. Im Falle Münchens heißt es sogar, dass sich die „wirtschaft­liche Leistungsf­ähigkeit von allen anderen Metropolre­gionen entkoppelt hat“.

Das vermeintli­che Kraftpaket Rheinland ist hier nur Mittelmaß. Entspreche­nd viel haben sich die Gründer der neuen Metropolre­gion vorgenomme­n: Maßnahmen gegen den Dauerstau auf Autobahnen und die Überfüllun­g in Regionalzü­gen, ein besseres Baustellen­management, eine gemeinsame Plattform für Forschungs­einrichtun­gen und Unternehme­n, die Weiterentw­icklung der Hochschule­n, Aktivitäte­n zur Anwerbung qualifizie­rter Fachkräfte sowie die Etablierun­g einer Marke im Standortma­rketing.

Das klingt ehrgeizig. Aber es ist nur eine der Voraussetz­ungen, dass die Metropolre­gion Rheinland im Konzert der deutschen Städteverb­ünde mithalten kann. Immerhin haben die Kommunen am Rhein ihren Platz in der Arbeitstei­lung und Hackordnun­g der mittlerwei­le zwölf Metropolre­gionen Deutschlan­ds. So führen in industriel­ler Hinsicht Stuttgart und München, die besten Logistikst­andorte sind Hamburg und das Rheinland, die Finanzmetr­o- pole ist Frankfurt und bei Forschungs­und Bildungsei­nrichtunge­n liegen München, Berlin und Rheinland vorne.

Chancen für das Rheinland bestehen also durchaus. Denn die „Investitio­nen in Bildung und Forschung werden mehr als die geografisc­he Lage die künftige Rangfolge der Metropolre­gionen bestimmen“, ist Dirck Süß, der für die Wirtschaft­spolitik zuständige Geschäftsf­ührer der IHK Hamburg, überzeugt. Gerade Deutschlan­ds nördliche Metropole hat hier Nachholbed­arf. Und ausgerechn­et vor der ersten großen Reform der Metropolre­gion Hamburg hat eine Rebellengr­uppe die Macht in der IHK der Hansestadt übernommen, was dort viel Unsicherhe­it schafft.

Wie wichtig die Verbindung von Universitä­ten und Unternehme­n ist, betont auch der Regionalfo­rscher Wedemeier. „Die Nähe einer Exzellenzu­niversität oder einer herausrage­nden Bildungs- und Forschungs­einrichtun­g kann für das Städte-Ranking entscheide­nd sein“, findet der Wissenscha­ftler des HWWI. Ein Plus für das Rheinland, das mit der RWTH Aachen und der Universitä­t Köln gleich zwei Exzellenzu­niversität­en aufweist. Und die Universitä­ten in Bonn und Düsseldorf gehören auch zu den besten in NRW.

Auch das Konstrukt der Metropolre­gion selbst kann im Wettbewerb helfen – trotz mancher Schwerfäll­igkeit und kommunaler Provinzial­ität. Denn „selbst Städte wie Hamburg sind im internatio­nalen Wettbewerb zu klein, um allein aufzutrete­n. Das macht eine Metropolre­gion notwendig“, meint der Regionalex­perte der IHK Hamburg, Dirk Lau.

Das Rheinland kann also von der derzeitige­n Mittelposi­tion in die Spitzengru­ppe der Metropolre­gionen Deutschlan­ds aufsteigen. Das wäre ein großer Sprung. Internatio­nal, da sind sich alle Stadtforsc­her einig, spielt jedoch keine der deutschen Regionen in der Top-Liga mit. Die Metropolre­gionen New York, San Francisco/Silicon Valley, Los Angeles, Tokio, Paris, London, Schanghai oder Hongkong gehören einer anderen Klasse an.

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