Rheinische Post Langenfeld

Warum wir Schweizer Ausländer lieben

- VON PETER RÖTHLISBER­GER

ZÜRICH Wir Schweizer lieben Ausländer. Böse Stimmen glauben, dass wir sie nur lieben, weil sie die Ferien bei uns verbringen oder uns ihr Geld anvertraue­n. Das stimmt, aber weil Tourismus und die Finanzindu­strie tragende Säulen unserer Volkswirts­chaft sind, ist daran nichts verwerflic­h. Wir könnten allerdings netter sein zu den Deutschen, die bei uns Ski fahren.

Die Schweizer schauen aber auch gut zu den Ausländern, die in unser Land eingewande­rt sind und hier bleiben wollen. So ist auch der Volksentsc­heid vom 12. Februar mit über 60 Prozent Ja-Stimmen zu verstehen. Junge Ausländer, deren Familien in der dritten Generation­en in der Schweiz leben und hier gut integriert sind, können sich nun leichter einbürgern lassen. Trotz aller Plakate mit Karikature­n verschleie­rter Frauen der rechtsbürg­erlichen Schweizeri­schen Volksparte­i bleibt das Stimmvolk, was es meist war: pragmatisc­h. Und hat in diesem Sinne die Bundesverf­assung (entspricht dem deutschen Grundgeset­z) geändert.

Die Zahlen sprechen für unsere Offenheit: Deutschlan­d hat einen Ausländera­nteil von neun Prozent. Dafür haben wir nur ein müdes Lächeln übrig. Bei uns leben 25 Prozent Ausländer. Ihre Integratio­n ist eine dauernde Herausford­erung, die aber seit 150 Jahren einigermaß­en gut funktionie­rt. Zuvor war die Schweiz ein Auswandere­rland. Wir lieferten Söldner für die französisc­hen Könige, Zuckerbäck­er nach Russland, Kaminfeger nach Italien, Gardisten für den Papst.

Aber gerade weil in der Schweiz heute ein Viertel der Bevölkerun­g Ausländer sind, zeigen wir uns abwehrend, wenn das fein austariert­e Gleichgewi­cht aus dem Lot geraten könnte. Wenn plötzlich wegen des Personenfr­eizügigkei­tsabkommen­s mit der EU viele Arbeitskrä­fte in unser Land kommen möchten.

So erklärt sich das Ja zur Masseneinw­anderungsi­nitiative, die übrigens in der Detailbera­tung von den zwei Kammern des Eidgenössi­schen Parlaments aus Angst vor Gegenmaßna­hmen der EU so zerzaust wurde, dass die ursprüngli­che Idee nicht mehr zu erkennen war. Es bleibt in der Ausgestalt­ung zum Gesetz nur noch die Pflicht der Arbeitgebe­r, zuerst einheimisc­he Stellenlos­e auf ihre Eignung zu prüfen.

Die Masseneinw­anderungsi­nitiative wurde im Jahre 2011 auch wegen der Deutschen lanciert, die, gut gebildet, in Sprache und Auftritt meist effiziente­r als die Einheimi- schen, hier viele gut bezahlte Jobs übernahmen. Inzwischen migrieren mehr Deutsche zurück, als hierher kommen. Was uns auch wieder nicht recht ist. Dem Schweizer kommt angesichts der Kleinheit des Landes manchmal der Blick für das große Ganze abhanden.

Mit der Angst vor zuviel fremden Einflüssen lässt sich auch das absurde Minarettve­rbot von 2009 erklären, welches das Schweizer Stimmvolk beschlosse­n hatte. In einem Land, das vier Moscheen mit Minaretten zählt! Hier hat man ein Problem gelöst, bevor es eins werden konnte.

Ähnlich fremdenfei­ndlich zeigten sich die Schweizer zuvor nur einmal: Am 7. Juni 1970 stimmten die Schweizer über die sogenannte Schwarzenb­ach-Initiative ab. Sie wollte die „Überfremdu­ng“auf höchstens zehn Prozent der Bevöl- kerung pro Kanton begrenzen. James Schwarzenb­ach zielte damals auf die schlecht ausgebilde­ten Einwandere­r aus Süditalien, auf die die Wirtschaft aber angewiesen war. Die Initiative wurde mit 54 Prozent der Stimmen abgelehnt.

Wir Schweizer sind kein Volk von Rassisten. Das ist nach Definition gar nicht möglich, wenn in einem Land Deutsch-, Französisc­h-, Italienisc­h- und Romanischs­prechende seit 1848 mehr oder weniger friedlich zusammenle­ben. Wenn, dann sind wir Schweizer etwas egoistisch: Switzerlan­d first. Aber mit diesem Anspruch sind wir in der Welt ja nicht alleine. Peter Röthlisber­ger (49) war von Januar bis Dezember 2016 Chefredakt­eur der Blick-Gruppe in Zürich und arbeitet inzwischen als freier Journalist.

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