Rheinische Post Langenfeld

Hauschka träumt vom Oscar

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der Düsseldorf­er Pianist hat mit seinem Soundtrack für den Film „Lion“Chancen auf den größten Preis Hollywoods. Seine Ehrung würde einen Epochenwec­hsel im Bereich Filmmusik markieren. Ein Gespräch vor dem Abflug nach L.A.

DÜSSELDORF Erster Gedanke in einem Gespräch mit dem Pianisten Hauschka: Schade, dass er nicht singt. Volker Bertelmann, wie der Musiker in Wirklichke­it heißt, hat nämlich eine ziemlich tolle Stimme, sehr ruhig und angenehm – Leonard Cohen für Nichtrauch­er. Hauschka spielt allerdings auch verflixt gut Klavier, das weiß man sogar in Hollywood, und es könnte sein, dass er dort nächste Woche den Oscar bekommt. Der 51-Jährige ist für seinen Soundtrack zu dem Film „Lion“nominiert. Gesetzt den Fall, es klappt, gesetzt den Fall also, die Jury würde sich nicht für „La La Land“entscheide­n, nicht für „Jackie“oder „Moonlight“, sondern tatsächlic­h für die Musik von Hauschka – welche Rede hielte er auf der Bühne? Die Redezeit bei den Oscars beträgt bloß 45 Sekunden. Er lächelt erstmal, und dann sagt er sehr sonor: „Ich würde über Menschlich­keit sprechen, darüber, wie wichtig Wärme heute ist.“

Hauschka lebt in Düsseldorf, es ist Mittag, und er sitzt im Café Rekord im Stadtteil Flingern vor einem Rührei, das sie hier auf Blechtable­tts servieren. Heute reist er nach Los Angeles, die Vorbereitu­ngen auf die Oscar-Gala sind lang. Er wird einen Smoking von der Firma Tiger of Sweden tragen und dazu Einstecktu­ch und Lackschuhe, das weiß er schon. Und am Mittwoch wird ihm die Composer’s Guild eine goldene Stimmgabel überreiche­n. Das bedeutet, dass er künftig zum erlauchten Kreis derer gehört, die Kollegen für die Oscars nominieren dürfen.

Zwischenfr­age: Sind diese Preisverle­ihungen nicht furchtbar steif? Hauschka schüttelt den Kopf. Er war schon für den Golden Globe nominiert und für andere „Awards“, wie man im Showbiz so sagt, und er weiß: Wenn die Kamera läuft, die die Gala überträgt, ist zwar alles steif. Aber in den Werbepause­n springen die Leute auf und gehen zu anderen Tischen. „Einmal kam John Travolta auf mich zu und sagte, dass ihm meine Musik gefalle. Eine Ansa- gerin ruft irgendwann: , Noch 30 Sekunden!’ Und wer es nicht rechtzeiti­g zurück schafft, weil es an der Bar gerade so schön ist, wird an seinem Platz von einer Hostess vertreten, damit die Menschen am Fernseher nicht glauben, der Saal sei nicht gefüllt.“Hans Zimmer, der King of Soundtrack­s, hat ihn auch mal angesproch­en: „Ich sammle deine Platten“, habe der gesagt. Hauschka erzählt das mit arglosem Stolz.

Hauschka ist Vater von 19 Jahre alten Zwillingsm­ädchen und einem vier Jahre alten Sohn. Er wurde im Siegerland geboren, und als er acht war, bekam er Klavierunt­erricht. Er hat eine klassische Ausbildung, studierte ein bisschen BWL und etwas Medizin und gründete die HipHopBand God’s Favorite Dog, die zwar einen Plattenver­trag, aber nur einen Hit hatte. Er kehrte zurück zu den Eltern, gab Musikunter­richt, zog nach Düsseldorf, und seit 2004 veröffentl­icht er unter dem Namen Hauschka. Sein Trademark-Sound: Er präpariert die Saiten des Klaviers mit Alufolie, Kronkorken und Filz, er benutzt das Piano als Rhythmus-Instrument, und im Grunde produziert­e er schon damals jenen Sound, den man heute Neo-Klassik nennt: klassische Musik von Menschen, die über Techno, HipHop und Postrock informiert sind und lieber in Clubs auftreten als in Konzertsäl­en.

Hauschka wurde zum Szene-Helden, spielte mit US-Violinisti­n Hilary Hahn, er trat in der ganzen Welt auf, und einmal besuchte die Regisseuri­n Doris Dörrie eines seiner Konzerte. Danach bat sie ihn um einen Soundtrack, und das Ergebnis ist, dass ihr Film „Glück“klingt wie ein Album von Hauschka. Ihm gefiel diese Arbeit, sie lag ihm am Herzen, und deshalb wollte er vorbereite­t sein für Größeres. Er nahm sich eine Agentin in den USA. Sie vermittelt­e ihm Treffen mit Regisseure­n, es ergaben sich kleinere Engagement­s. Nach einem Auftritt in Melbourne sprach ihn dann „Lion“-Regisseur Garth Davis an. Er fragte, ob Hauschka sich vorstellen könne, die erste Hälfte seines neuen Films zu vertonen, die zweite Hälfte werde Dustin O’ Halloran übernehmen. Der ist auch einer dieser Neo-Klassik-Jungs und außerdem ein Freund Hauschkas. Natürlich sagte Bertelmann zu. Wie Davis auf Hauschka kam? Zufall: Wenn ein Film geschnitte­n wird, unterlegen Cutter ihre Arbeit mit Musik, die ihnen gefällt, um einen Eindruck vom späteren Produkt zu bekommen. Davis’ Schnittmei­ster ist Hauschka-Fan.

„In Amerika sagen sie: You need a film to make a film“, erklärt Hauschka. Man müsse etwas vorweisen können, um etwas zu bekommen. Der erste Film sei deshalb der schwerste, aber seit er „Lion“gemacht hat, flattern hochwertig­e Drehbücher auf seinen Schreibtis­ch. „Mein Leben hat sich völlig geändert.“Genau genommen führe er jetzt sogar drei Leben: das in Hollywood, das als Komponist klassische­r Musik und das des Musikers, der eigene Platten aufnimmt – demnächst etwa das Album „What If“. „Früher konnte ich Dinge nacheinand­er abarbeiten, heute mache ich alles parallel.“

Ihm gefällt das offensicht­lich, Hauschka wirkt auf zugewandte Art souverän. Ja, sagt er, ihn beflügle das alles, er sehe es als Lohn für jahrelange Arbeit. Und Geld? Ist er nicht steinreich jetzt? Hauschka winkt ab. „Lion“sei kein klassische­r Hollywoodf­ilm mit großem Budget. Und es laufe so: Wenn man einen Vertrag unterschri­eben habe, überweise die Filmfirma das Honorar. Das mutet zunächst tatsächlic­h hoch an, aber: Man muss davon die Produktion bezahlen, Mitarbeite­r, Studiozeit­en, Instrument­e. Und irgendwann komme der Moment, wo man überlege, ob man wirklich ein Streich-Orchester engagiere oder doch lieber Samples benutze, damit überhaupt etwas hängenblei­be. Hauschka entschied sich für echte Streicher. Der Trost: Von jeder verkauften Kinokarte geht ein Teil an den Autor der Musik. Je erfolgreic­her der Film, desto einträglic­her.

In Hollywood findet gerade ein Paradigmen­wechsel statt. Die großen Komponiste­n Hans Zimmer, James Newton Howard und John Williams bekommen nach jahrzehnte­langer Regentscha­ft Konkurrenz. Die Liste der Nominierte­n 2017 ist der Beleg: Fast nur junge Musiker, die außerhalb des Films ihr Publikum haben. Könnte gut sein, dass der Oscar 2017 dereinst als Beginn einer neuen Ära gewertet wird.

Zum Schluss eine Testfrage, die Auskunft geben soll, wie stark sich Hauschka mit dem möglichen Sieg beschäftig­t. Er hat sich den „Lion“Soundtrack ja mit einem Kollegen geteilt. Müsste er sich auch die Statue teilen? „Nein“, antwortet er. „Jeder bekäme eine eigene.“

John Travolta kam bei

einer Gala auf ihn zu und sagte: „Ich mag deine Musik“

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Hauschka im Café Rekord in Düsseldorf.

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