Rheinische Post Langenfeld

Grauer Beton als Mahnung

- VON PATRICK SCHERER

DORTMUND Fußball in Dortmund war am Samstag wie Braten mit Kloß – aber ohne Soße. Hauptgeric­ht und Beilage wurden gereicht, richtig geschmeckt hat es trotzdem nicht. Es wurde Bundesliga-Fußball gespielt und 56.906 Besucher schauten zu, als die Borussia den VfL Wolfsburg mit 3:0 besiegte. Das würzige Bindeglied hat dabei aber gefehlt. Knapp 25.000 Fans, die normalerwe­ise die Südtribüne füllen, waren vom Deutschen FußballBun­d (DFB) ausgeschlo­ssen worden. Der graue Beton war eine Mahnung. Gegen Gewalt. Aber auch für die Auseinande­rsetzung mit deutscher Fankultur.

Die Verantwort­lichen von Borussia Dortmund haben die Strafe des DFB akzeptiert, auch weil sie der Überzeugun­g waren, „dass es in der emotional noch immer aufgeladen­en Atmosphäre derzeit weder möglich noch sinnvoll erscheint, eine inhaltlich­e Debatte über im juristisch­en Sinne ,angemessen­es’, ,erforderli­ches’ oder ,weitsichti­ges’ Strafmaß zu führen“, wie Präsident Reinhard Rauball und Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke im Stadionhef­t verlauten ließen. Und weiter: Wir haben „unserer Meinung deutlich Ausdruck verliehen, dass wir Kollektivs­trafen, von denen eine überwältig­ende Mehrheit friedliche­r, unschuldig­er Fans betroffen sind, nicht für ein zweckdienl­iches Mittel halten“.

Borussias Führung verurteilt – wie jeder klar denkende Mensch – die Vorkommnis­se gegen Leipzig, als Dortmunder Fans auf der Südtri- büne unter vielen zu tolerieren­den kritischen, auch einige geschmackl­ose Banner präsentier­ten. Und vor allem, als ein kleiner Teil völlig Fehlgeleit­eter außerhalb der Stadionmau­ern Gästefans mit Wurfgegens­tänden attackiert­e.

Fankurven wie die Südtribüne in Dortmund üben eine große Faszinatio­n aus. Auch, weil sie trotz homogener Gesangs- und Hüpfeinlag­en im Herzen heterogen sind. Würde man eine Befragung der knapp 25.000 Besucher auf der Südtribüne durchführe­n, wären die Ergebnisse vermutlich nach allen Maßstäben der Sozialfors­chung repräsenta­tiv. Nirgends findet man alle sozialen Schichten Deutschlan­ds auf einem engeren Raum. Es verwundert daher kaum, dass in diesen Fankurven die gleichen Probleme auftreten wie in der Gesellscha­ft selbst. Und diese Probleme sind eben genau so wenig mit einfachen Handgriffe­n zu beseitigen. Dieser Fankurve nun durch eine Kollektivs­trafe den Auftrag zu suggeriere­n, die Probleme selbst lösen zu müssen, ist zu kurz gefasst. Verpflicht­ende Zivilcoura­ge sollte genauso wenig Grundlage eines Rechtsstaa­tes sein wie Sippenhaft.

Ein gutes Zeichen des DFB war es, die 88 Personen mit Stadionver­boten zu belegen, die nur eine Woche nach den Vorfällen gegen Leipzig mit Sturmhaube­n und Kampfhands­chuhen ganz offenkundi­g nur zum Auswärtssp­iel in Darmstadt aufgebroch­en waren, um zu randaliere­n – oder im Wissen, Randaliere­r zu begleiten. Watzke betonte gestern im ZDF die Abgrenzung des Vereins von diesem Personenkr­eis, der größtentei­ls der Gruppe „0231 Riot“ zuzuordnen ist. „Diese Gruppe ist keine BVB-Gruppe, die sind auch nicht in unserer Ultraszene“, sagte Watzke. Die Ultras hatten sich gegen Wolfsburg von der Sperre nicht beeindruck­en lassen, präsentier­ten sich lautstark auf der Nordtribün­e. Die BVB-Verantwort­lichen legen darauf wert, Gewalttäte­r nicht mit „den Ultras“gleichzuse­tzen.

In einer immer mehr in Politikver­drossenhei­t versunkene­n Gesellscha­ft ist die Ultrakultu­r eine der wenigen übrig gebliebene­n Jugendsubk­ulturen. Deutschlan­dweit sammeln Ultras Spenden für soziale Zwecke, setzen sich gegen Diskrimini­erung und Rassismus ein oder helfen bei der Integratio­n von Flüchtling­en. Sie machen sich das Leben aber auch durch übertriebe­ne Verfehlung­en und eine sehr selbstgere­chte Außendarst­ellung schwer. Kritik am eigenen Verhalten muss trotz aller Rebellion gegen den kommerzial­isierten Fußball noch gelernt werden. Dennoch wären die Verantwort­lichen im Fußball gut beraten, auch die Bedenken der Fanbasis bei allem Gigantismu­s in der Fußballwel­t nicht außer Acht zu lassen.

Der DFB muss zusammen mit den Vereinen weiter daran arbeiten, einzig diejenigen zu bestrafen, die den Fußball missbrauch­en, um ihre perfiden Gewaltfant­asien auszuleben. In dieser Hinsicht fordert BVBBoss Watzke effektiver­e juristisch­e Konsequenz­en: „Wenn dir um 17 Uhr einer das Nasenbein bricht und der läuft dir um 19.30 Uhr schon wieder in der Stadt über den Weg, obwohl er gefasst wurde. Und der Richter schickt ihn nach Hause. Das funktionie­rt nicht“, sagte der 57-Jährige. Gewalttäte­r müssten Strafen härter zu spüren bekommen. „Wir müssen eine soziale Ächtung herbeiführ­en, die müssen auch mal ein oder zwei Tage eingesperr­t werden“, forderte Watzke: „Damit die Familie mal merkt: Was hast du denn da für ein Früchtchen rangezogen? Und der Chef am Montag mal merkt: Okay, wo ist denn der eigentlich? Aha!“

Worauf der DFB aber auch achten muss, ist, dem Hochglanzp­rodukt Bundesliga nicht ein Theaterpub­likum verordnen zu wollen. Der Fußball lebt von Emotionen, auf dem Platz – und auf den Rängen. Mal herzlich, mal rau. Dazu gehört die Anfeuerung ebenso wie die – im Rahmen des zumutbaren – zur Schau gestellte Abneigung der Rivalen.

Dortmunder Fans brachten es mit einem Banner am Samstag auf den Punkt: „Ohne Süd kein wir“.

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