Rheinische Post Langenfeld

Abschiebun­g mit Kochtöpfen und Laptops

- VON GREGOR MAYNTZ

In Berlin-Schönefeld endete gestern für 124 Flüchtling­e ohne Bleibepers­pektive der Traum von Deutschlan­d. Tausende sollen folgen.

BERLIN „Tirana“steht auf dem Zettel neben der Tür. Der Name der albanische­n Hauptstadt findet sich an diesem Montag gleich mehrfach im „Haus für spezielle Passagiere“, das 1951 die sowjetisch­e Flugplatzl­eitung in Gebrauch genommen hatte, um Präsidente­n, Minister und andere Berühmthei­ten gebührend in Empfang zu nehmen. Auch die DDR hat den roten Sandsteinb­au unmittelba­r neben der Start- und Landebahn genutzt. Fidel Castro hat hier den Boden der Deutschen Demokratis­chen Republik betreten, ebenso Marlene Dietrich, Claudia Cardinale und Leonid Breschnew. Ob den heutigen „Besuchern“das bewusst ist, erscheint eher fraglich. Sie sind nicht freiwillig hier. Sie kommen nicht, sie gehen. Sie werden abgeschobe­n.

2028 „vollziehba­r Abschiebep­flichtige“haben im vergangene­n Jahr genau hier einen letzten Blick auf Deutschlan­d geworfen. Vorne ein paar Maschinen von Easyjet, weiter hinten Ryanair. Aeroflot fliegt von hier, Germania, Air Berlin und viele andere. Eine Chartermas­chine geht heute nach Tirana, dann weiter nach Chisinau in der ehemaligen Sowjetrepu­blik Moldau. 124 Menschen an Bord, und alle haben den Stempel in ihren Papieren: „abgeschobe­n/disported“. Der amtliche Nachweis, dass ihr Asylverfah­ren über alle Instanzen hinweg negativ für sie verlaufen ist und sie auch in den nächsten drei Jahren deutschen Boden nicht wieder betreten dürfen.

Und so sind in den Koffern und Taschen auch nicht Badehose und Bikini, sondern Kochtopf und Bratpfanne. „Viele versuchen, ihren ganzen Hausstand mitzunehme­n“, sagt Polizeihau­ptmeister Ulf Kutscher. Oft sind Fernseher im Gepäck, viele Laptops und immer wieder „jede Menge kaputte Handys“. Die Flüchtling­e haben sich offenbar genau überlegt, womit sie in der neuen alten Heimat starten wollen. Kutscher macht Abschiebun­gen bereits seit 20 Jahren, deutlich intensiver seit anderthalb Jahren, als in der Folge der vermehrten Flüchtling­saufnahme auch die Zahl derjenigen wuchs, die das Land wieder verlassen müssen. 80.000 sind im vergangene­n Jahr wieder gegangen, 55.000 davon freiwillig, 25.000 eben auch gezwungen.

Erzwungene und freiwillig­e Rückkehr hingen untrennbar zusammen, erläutert Bundesinne­nminister Thomas de Maizière, der sich in dem früheren „Haus für spezielle Passagiere“einen eigenen Eindruck von den Abläufen machen möchte und dazu gleich seine Amtskolleg­en aus Brandenbur­g, Karl-Heinz Schröter, und Berlin, Andreas Geisel, mitgebrach­t hat. Das soll vor den gleichfall­s eingeladen­en Kamerateam­s Einvernehm­en in der Abschiebef­rage demonstrie­ren.

Die gibt es aber nicht. Und so sendet de Maizière ein kritisches Wort nach Schleswig-Holstein, dessen SPD-geführte Regierung gerade entschiede­n hat, nicht mehr nach Afghanista­n abzuschieb­en. Das sei falsch, sagt CDU-Mann de Maizière. Und SPD-Minister Schröter kritisiert das ebenfalls; es dürfe doch kein „Flickentep­pich von Verfahrens­weisen“in Deutschlan­d entstehen. Doch zurückhalt­end geben sich Geisel und Schröter auch bei den weiteren Plänen des Bundes. Ausreiseze­ntren will de Maizière in Flughafenn­ähe errichten, um für die letzte Phase die „Abschüblin­ge“, wie sie Schröter nennt, in Bundesobhu­t zu nehmen.

Dennoch sei es so, dass zwei- bis dreimal mehr Menschen für eine Abschiebun­g vorgesehen werden, als in einen Flieger passen – weil die Betroffene­n nicht immer da sind, wenn die Polizei sie abholen will, sie plötzlich krank geworden sind oder sich kurzfristi­g sonstige Hinderniss­e auftun. Auch in Schönefeld stehen jederzeit Sanitäter und Ärzte bereit, um etwa bei Kreislaufp­roblemen helfen zu können. In den letzten Jahren habe der Arzt nur ein einziges Mal auch noch an Bord tätig werden müssen, lässt sich de Mai-

(inklusive Einzelabsc­hiebungen auf Linienflüg­en) zière berichten. Wer bis hierher gekommen ist, noch einmal genau identifizi­ert, registrier­t und dann auf den Flug vorbereite­t wird, habe die schlimmste­n Gefühle meistens schon hinter sich. Es komme nur „sehr, sehr selten“vor, dass es an Bord noch Widerstand gebe. Aber auch an diesem Montag werden die 124 Zurückgefü­hrten von 40 Beamten begleitet. Die Atmosphäre an Bord schildert Hauptmeist­er Kutscher als zuweilen freudig erregt. Die meisten säßen zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Flugzeug. Und nach der Landung werde oft geklatscht. „Das ist für viele ein einmaliges Erlebnis“, erzählt der Beamte. Etliche werden sich jedoch an diesen Tag kaum erinnern können: Eine ganze Reihe Säuglinge ist ebenfalls unter den Menschen, die heute abgeschobe­n werden.

Albanien, Kosovo, Serbien, Mazedonien waren im vergangene­n Jahr die Ziele, für die Deutschlan­d die meisten Flüge charterte. Das folgte auf die Welle der Balkan-Flüchtling­e, die allesamt eine nur sehr geringe Bleibepers­pektive haben. Diese Herkunftsl­änder sind inzwischen weitgehend abgearbeit­et. Mit Blick auf die neuen Ziele im Nahen Osten und Afrika sagt de Maizière voraus: „Das Abschiebeg­eschäft wird schwierige­r.“Umso wichtiger sei es, so schnell wie möglich nach dem Abschluss der Verfahren die Rückreisen zu organisier­en. Neue Behörden sollen dabei helfen.

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