Rheinische Post Langenfeld

Brexitus in Krefeld

- VON PETRA DIEDERICHS

Das Künstlerdu­o Elmgreen & Dragset hat das Museum Haus Lange zum Wohnhaus für Brexit-Flüchtling­e umgestalte­t.

KREFELD Das Museum hat neuerdings einen Swimmingpo­ol. Überhaupt hat sich vieles verändert im Haus Lange. In der Stadtvilla, die zu den Krefelder Kunstmusee­n gehört, scheinen Leute zu wohnen. In der Auffahrt steht ein gold-metallicfa­rbener Jaguar mit beladenem Gepäckträg­er, im Vorgarten liegt Baumateria­l. Ein vorsichtig­er Blick durchs Panoramafe­nster, das einladend von Designer-Tischleuch­ten erhellt ist, erhärtet die erste Ahnung: Hier zieht eine Familie ein. Im Esszimmer hat sie es sich bereits wohnlich gemacht, aber halb ausgepackt­e Kartons sprechen dafür, dass die neuen Bewohner noch nicht richtig angekommen sind.

Schon Tage zuvor hat das „Zu verkaufen“-Schild vor der Villa, die seit 1955 Ausstellun­gsort für zeitgenöss­ische Kunst ist, für Aufruhr gesorgt. Ist die Finanzlage derart miserabel, dass Krefeld jetzt schon seine Museen verkauft? Und wer kann es sich in diesen Zeiten leisten, in eine denkmalges­chützte Villa in bester Wohnlage zu ziehen, die schon als Weltkultur­erbe im Gespräch war, weil sie zu den letzten spektakulä­ren Bauten der Moderne zählt, die der Star-Architekt Ludwig Mies van der Rohe vor seiner Emigration in die USA konzipiert hat? Zwischen 1928 und 1930 entstand das zweigescho­ssige Backsteinh­aus im Auftrag des Krefelder Seidenfabr­ikanten und Kunstsamml­ers Hermann Lange – ein Fanal der Moderne, das mit den großen, fast bodentiefe­n Fenstern die Verbindung von Architektu­r und Natur und damit von Privatheit und Öffentlich­keit neu beleuchtet­e.

Dieses Spannungsf­eld ist das ideale Biotop für Michael Elmgreen und Ingar Dragset. Das skandinavi­sche Künstlerdu­o inszeniert gerne auf dem schmalen Grat, wo die Privatsphä­re ins Öffentlich­e rückt, wo die Grenze zwischen Alltag und Kunst ins Schwimmen gerät. 2009 haben sie eine Prada-Boutique in der texanische­n Wüste errichtet und vor vier Jahren Räume des Victoria and Albert Museum in Lon- don als Apartment eines fiktiven desillusio­nierten Architekte­n präsentier­t. Nun setzen sie Haus Lange unter dem Titel „Die Zugezogene­n“in Szene als das, was es früher einmal war: das Heim einer Familie. Elmgreen & Dragset bauen auf die voyeuristi­sche Lust, in geheimnisv­olle Privatsphä­ren vorzudring­en: einmal stöbern, was die Zugezogene­n so alles in ihr neues Leben mitbringen und was diese Indizien verraten. Aber: Es ist mehr als eine Pokemonjag­d für Museumsgän­ger.

Wer die Haustür hinter sich schließt, findet keine Spuren mehr der bisherigen musealen Nutzung – keinen Kassenbere­ich, keinen Museumssho­p, nicht einmal mehr die für Ausstellun­gsräume typischen Strahler. Stattdesse­n öffnet sich eine Welt erlesener Behaglichk­eit wie aus hochglänze­nden „Schöner Wohnen“-Magazinen: die berühmten Barcelona-Chairs aus den 20er Jahren, Designer-Möbel, edles Silber und Kristall auf schwarzem Lacktisch, Porzellant­eller, die mehr kosten als ein komplettes Service aus dem Kaufhaus.

Die Künstler haben mit Mobiliar aus der Sammlung (wie den berühmten Mies-Sesseln), mit edlen Einrichtun­gsgegenstä­nden und Skulpturen ein Heim errichtet, in dem Kunst und Alltag sich mischen und nicht mehr klar wird, ob es fiktive Wirklichke­it ist oder wirkliche Fiktion. Je gründliche­r sich der Besucher auf diese Welt einlässt, in dieser Wohnung auf Indiziensu­che geht, desto glaubhafte­r scheint die Künstler-Mär von der Familie, die aus Angst vor den Folgen des Brexit aus England zurück nach Deutschlan­d gezogen ist. Auf Familienfo­tos und Gemälden taucht ein Junge in der Uniform einer englischen Eliteschul­e auf. Sein leerer Blick gibt den ersten Hinweis, dass die gelackte Oberfläche auch blinde Flecken hat. Der edel gedeckte Tisch ist samt Nobel-Porzellan durchgesäg­t. Symbol für die gesellscha­ftliche Zerreißpro­be. Der Flügel im Musikzimme­r ist unbespielt, ein Metronom klopft den Takt der verrinnend­en Zeit. Memento mori! Und passend dazu fällt der Blick nach draußen auf den Pool, in dem ein Männerkörp­er schwimmt. Suizid als Ultima Ratio.

Die Unsicherhe­iten und Ängste in einer sich verändernd­en Welt bringen die Künstler auf die Brexit-Formel. Die Familie, vielleicht einst mit großen Hoffnungen in Europa nach England ausgewande­rt, ist gescheiter­t – wie das Bündnis. Spannend bringen die Skandinavi­er Dinge ins Spiel, die für gemeinsame und unterschie­dliche Werte zweier mitteleuro­päischer Kulturen stehen. Sie spielen mit dem Willen zur Moderne und der gleichzeit­igen Lust an Vergangenh­eitsverklä­rung, bringen Brüche, Doppelunge­n und Spiegelung­en als Stilmittel ein. Von Raum zu Raum wird die Kontur der Zugezogene­n schärfer – und sofort wieder verwässert. Die Absurdität in den Details zeigt sich im Lesezimmer, in dem alles achsensymm­etrisch gedoppelt ist – sogar die zusammenge­faltete „Times“und die Tassen mit den eingetrock­neten Teeresten. Mikrokosmo­s oder globales Thema: Das darf jeder selbst entscheide­n.

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Die Villa Lange hat jetzt einen Pool – und darin schwimmt eine Leiche. Das Becken ist Teil der Installati­on „Die Zugezogene­n“.
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FOTOS: DPA, T. LAMMERTZ Vorm Haus der Neuen steht ein englischer Jaguar.

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