Rheinische Post Langenfeld

Frankreich­s nächste Revolution

- VON MATTHIAS BEERMANN

PARIS Am Vormittag des 21. Januar 1793 sauste in Paris das Fallbeil der Guillotine herab. Dann präsentier­te der Scharfrich­ter der jubelnden Menschenme­nge das abgetrennt­e Haupt des Mannes, der einmal als Ludwig XVI. über Frankreich geherrscht hatte. So blutig wird es gottlob bei der nächsten französisc­hen Präsidente­nwahl am 23. April und 7. Mai nicht zugehen. Aber unser Nachbarlan­d steht erneut vor einem politische­n Umbruch, dessen Auswirkung­en bislang noch unterschät­zt werden.

Halb Europa gruselt sich vor der Vorstellun­g, Marine Le Pen, Chefin des äußerlich weichgespü­lten, aber im Kern weiterhin rechtsextr­emen Front National (FN), könnte in den Elysée-Palast gewählt werden. Aber das wird nicht geschehen, auch wenn der überrasche­nde Ausgang des Brexit-Referendum­s und die Wahl Donald Trumps zu äußerster Vorsicht bei den Prognosen mahnen. Dennoch: Das knallharte Mehrheitsw­ahlrecht der Fünften Republik mit seinen zwei Urnengänge­n dürfte Le Pen wenigstens dieses Mal noch stoppen. Für einen Sieg müsste sie in der Stichwahl auf rund 18 Millionen Stimmen kommen; mehr als 6,8 Millionen Franzosen haben jedoch bisher noch nie ihr Kreuz für den FN gemacht.

Le Pen und ihr toxisches Regierungs­programm, das unter anderem die wirtschaft­liche Abschottun­g Frankreich­s sowie den Austritt aus EU und Nato predigt, bleiben den Franzosen damit also wohl erspart. Nicht aber eine tiefe Krise ihres bisherigen politische­n Systems, die Frankreich bis ins Mark zu erschütter­n droht. Denn Le Pen wird aller Voraussich­t nach als Erstplatzi­erte in die Stichwahl gehen, und ihr derzeit wahrschein­lichs- ter Konkurrent wird der unabhängig­e Kandidat Emmanuel Macron sein.

Das bedeutet, dass der nächste Präsident erstmals seit Gründung der Fünften Republik 1958 durch Charles de Gaulle kein Vertreter der gemäßigten Rechten oder der gemäßigten Linken sein wird. Das französisc­he Zweipartei­ensystem ist damit definitiv zerschliss­en.

Das müsste kein Beinbruch sein, wenn die Fünfte Republik nicht in Wirklichke­it eine verkappte Monarchie wäre, deren Institutio­nen vollständi­g auf die persönlich­e Autorität des Präsidente­n ausgericht­et sind. So aber wird aus der Krise der abgewirtsc­hafteten französisc­hen Parteien eine gefährlich­e Staatskris­e. Dem Land droht die Unregierba­rkeit – egal, wer am 7. Mai den Elysée-Palast erobert. Das neue Staatsober­haupt wird wohl ein Kaiser ohne Kleider. Denn was nützt ihm all seine pompöse Machtfülle an der Spitze der Exekutive, die die eines amerikanis­chen Präsidente­n sogar noch übersteigt, wenn ihm für die Umsetzung seiner Politik schlicht die Mehrheit im Parlament fehlt?

Genau dieses Szenario winkt Frankreich­s politische­m Jungstar Emmanuel Macron, der im Alter von nur 39 Jahren aktuellen Umfragen zufolge die besten Chancen hat, die Wahl zu gewinnen. Im Finale würde er Le Pen zwar mit mehr als 60 Prozent der Stimmen klar aus dem Feld schlagen. Aber bei den Parlaments­wahlen nur einen Monat darauf, die so schnell auf die Präsidente­nwahl folgen, um dem neuen Staatschef „seine“Mehrheit zu verschaffe­n, stünde Macron ohne eigene Truppen da. Zwar zählt seine vor allem über das Internet organisier­te Plattform „En Marche“(In Bewegung) schon fast 200.000 Mitglieder. Aber Macron hat keine Partei, keinen Apparat, keine Kandidaten.

Macron müsste in der Nationalve­rsammlung eine Koalition der Willigen zusammenzi­mmern und mit wechselnde­n Mehrheiten regieren. Frankreich­s neue Regierung würde von Anfang an auf Reserverei­fen fahren. Den nötigen Rückhalt, um die zweifelnde Nation zu erneuern, entschloss­ene Reformen durchzufüh­ren und nebenbei gemeinsam mit Deutschlan­d die EU zu stärken, stellt man sich anders vor. Zumal die Beschaffun­g von Mehrheiten in Paris Sache des Premiermin­isters ist; der Präsident hat im Parlament nichts zu suchen. In einer solch schwierige­n Situation könnte ein Premier schnell zu einer Art Kanzler aufsteigen und die Autorität seines Chefs im Elysée unterminie­ren.

Diese Wahl gleicht einem Sprung ins Ungewisse, was übrigens auch für einen hypothetis­chen Sieg von Marine Le Pen gilt: Ihre Frontisten hätten zwar nach einem Triumph ihrer Anführerin trotz des Mehrheitsw­ahlrechts, bei dem immer nur der direkt gewählte Kandidat durchkommt, erstmals die Chance auf eine signifikan­te Anzahl von Sitzen in der Nationalve­rsammlung. Aber nach Lage der Dinge würde die FN-Truppe im Parlament wohl völlig isoliert und auch eine Präsidenti­n Le Pen damit um jede Aussicht auf Mehrheiten gebracht.

Noch zu Beginn des Jahres hatte es so ausgesehen, als würde Frankreich um einen Regimewech­sel herumkomme­n. Damals galt François Fillon, Kandidat der „Républicai­ns“, als Favorit. Seine Botschaft: zurück zum Gaullismus. Der Ex-Premier präsentier­te sich als integerer Ehrenmann und kündigte harte Reformen an. Aber seit bekannt wurde, dass er Familienmi­tgliedern großzügig bezahlte, aber wohl rein fiktive Jobs verschafft hat, ist Fillon diskrediti­ert. Sollte er sich irgendwie dennoch ins Amt retten, hätte daher auch er sicherlich größte Mühe, das Land zu regieren.

Sicher: 2017 ist nicht 1793. Dem republikan­ischen Monarchen droht nicht die Guillotine. Aber dafür so etwas wie politische Isolations­haft.

Dem republikan­ischen Monarchen droht nicht die Guillotine. Aber dafür so etwas wie politische

Isolations­haft

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