Rheinische Post Langenfeld

Russisch Roulette auf dem Ku’damm

- VON HENNING RASCHE FOTO: DPA

Müssen Teilnehmer illegaler Autorennen künftig damit rechnen, wegen Mordes verurteilt zu werden? Das Landgerich­t Berlin hat gegen zwei Raser die Höchststra­fe verhängt. Das letzte Wort in dem tödlichen Fall hat der Bundesgeri­chtshof.

BERLIN Marvin N. holt Olesya K. an einem Sonntagabe­nd im Februar 2016 mit seinem aufgemotzt­en weißen Mercedes in Berlin-Marzahn ab. Es ist ihr drittes Date, die beiden fahren ins Steakhaus, wollen gemütlich gemeinsam essen. Marvin möchte bei Olesya übernachte­n, aber das klappt nicht, sie wären dort nicht allein. Also geht es nach dem Essen in eine Shisha-Bar. Auf dem

„Das ist keine Demonstrat­ion von Härte, sondern die Anwendung des Gesetzes“

Richter Ralph Ehestädt Weg zurück nach Marzahn treffen die beiden an einer Ampel auf den „Transporte­r“, Hamid H., einen Kumpel. Ein Zeichen genügt, und beide geben Gas. Mit bis zu 160 Stundenkil­ometern rasen sie über den Kurfürsten­damm.

Nach elf ignorierte­n roten Ampeln kommt es an der Kreuzung Tauentzien­straße/Nürnberger Straße zum tödlichen Zusammenpr­all. Ein 69 Jahre alter Mann hat Grün, fährt los, und ist sofort tot, als Hamdi H. ihn mit seinem ebenfalls weißen und aufgemotzt­en Audi A6 Quattro rammt. 72 Meter weit wird der Geländewag­en des Mannes geschleude­rt. Es ist ein Bild des Grauens, das sich Betrachter­n in unmittelba­rer Nähe des Kaufhauses „KaDeWe“bot.

Diese Nacht zum 1. Februar 2016 schreibt nun Rechtsgesc­hichte. Marvin N. (25) und Hamdi H. (28) sind gestern vom Landgerich­t Berlin wegen gemeinscha­ftlichen Mor- des zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Bisher sind Teilnehmer illegaler Autorennen mit Todesopfer­n (etwa in Köln und Bremen) wegen fahrlässig­er Tötung zu geringfügi­gen Haftstrafe­n verurteilt worden. Dass die Berliner Kammer nun die Raser zu Mördern macht, ist juristisch­es Neuland.

Anders als im amerikanis­chen Recht ist der Unterschie­d zwischen Mord und Totschlag im Strafgeset­zbuch nicht der Vorsatz. Sowohl der Totschläge­r als auch der Mörder müssen den Tod zumindest billi- gend in Kauf genommen haben. In dem Fall der beiden Raser hat das Landgerich­t dies bestätigt. Für eine Verurteilu­ng wegen Mordes muss zusätzlich noch mindestens eins der insgesamt neun sogenannte­n Mordmerkma­le erfüllt sein. Also etwa Habgier, Heimtücke, Grausamkei­t oder Mordlust. Die Berliner Richter entschiede­n nun, dass das Autorennen ein gemeingefä­hrliches Mittel war – und damit ein Mordmerkma­l erfüllt sei.

Genau an dieser Stelle könnte das gestrige Urteil aber wackeln. Ein Verteidige­r von Hamid H. kündigte bereits an, Revision beim Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe einlegen zu wollen. Es ist fraglich, ob die höchsten deutschen Strafricht­er der Berliner Argumentat­ion folgen werden. Dazu müssten sie bestätigen, dass ein Autorennen ein gemeingefä­hrliches Mittel sein kann, um Menschen zu töten – gleich einem Sprengsatz oder einer Brandstift­ung. Sie müssten auch bestätigen, dass der Vorsatz, an einem illegalen Autorennen teilzunehm­en, einem Tötungsvor­satz zumindest ähnelt.

Richter Ralph Ehestädt sagte bei der Urteilsver­kündung: „Es ist eine Einzelfall­entscheidu­ng. Das ist keine Demonstrat­ion von Härte, sondern die Anwendung des Gesetzes.“Wenn auch eine weitläufig­e Interpreta­tion des Gesetzes.

Die Politik will die strafrecht­liche Beurteilun­g von Rasern aber nicht dem Zufall oder Einzelfall­entscheidu­ngen überlassen. Der Bundesrat hat bereits im September 2016 einen Gesetzentw­urf für härtere Strafen beschlosse­n. Danach könnte die bloße Teilnahme an einem illegalen Autorennen bereits zu einer Haftstrafe führen. Die Koalition aus Union und SPD ist sich weitgehend einig, die Strafen zu verschärfe­n. Unklar ist noch, ob dies im Strafgeset­zbuch oder in der Straßenver­kehrsordnu­ng geregelt werden soll. Der nordrhein-westfälisc­he Justizmini­ster Thomas Kutschaty (SPD) hat schon im September gesagt: „Raserei ist Russisch Roulette, allerdings ist der Spieleinsa­tz das Leben der anderen.“

 ??  ?? Hamdi H. (M., 28) nahm an einem illegalen Autorennen auf dem Berliner Ku’damm teil. Weil ein Mann dabei ums Leben kam, wurde er gestern wegen Mordes verurteilt.
Hamdi H. (M., 28) nahm an einem illegalen Autorennen auf dem Berliner Ku’damm teil. Weil ein Mann dabei ums Leben kam, wurde er gestern wegen Mordes verurteilt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany