Rheinische Post Langenfeld

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LUDWIGSHAF­EN Im altehrwürd­igen Gesellscha­ftshaus der BASF in Ludwigshaf­en haben sich zwei der mächtigste­n Arbeitgebe­rvertreter der Republik zum Gedankenau­stausch getroffen: Margret Suckale, Präsidenti­n des Chemie-Verbandes BAVC und zugleich BASF-Arbeitsdir­ektorin, sowie Gesamtmeta­ll-Präsident Rainer Dulger. Im Deutschlan­dtrend liegt die SPD erstmals seit zehn Jahren vor der Union. Stehen wir vor einem Linksruck? SUCKALE Nach dem Brexit-Votum und der Wahl von Donald Trump habe ich den Glauben in Umfragen etwas verloren. Die Wahl wird zeigen, ob es zu einem solchen Linksruck kommt. Offenbar will die SPD einen Wahlkampf mit Emotionen führen. Soziale Gerechtigk­eit ist natürlich ein wichtiges Thema, aber Martin Schulz hat zuletzt das falsche Bild einer zerrissene­n Gesellscha­ft gezeichnet – etwa als er von 40 Prozent Befristung­en gesprochen hat. Der Durchschni­tt in der Industrie liegt gerade einmal bei etwa zehn Prozent. Schulz scheint die richtigen Knöpfe zu drücken. Seine Vorschläge zur Agenda 2010 befürworte­n zwei Drittel der Deutschen. DULGER Das wäre ein Schritt in die völlig falsche Richtung. Eine Verlängeru­ng des Arbeitslos­engeldes ist ein Salto rückwärts. Er selbst hat im Februar 2014 gesagt, dass Deutschlan­d dank der Agenda 2010 so wirtschaft­lich gut dasteht. Und jetzt, da es ihm in den Wahlkampf passt, zeichnet er ein gänzlich anderes Bild unseres Landes. Dieses Deutschlan­d ist das beste, was wir je hatten: Über 43 Millionen Beschäftig­te, satte Reallohnst­eigerungen, hohe Renten, ein hohes Steueraufk­ommen. Jetzt so zu tun, als müssten die Men- schen Angst vorm sozialen Abstieg haben, ist völlig abstrus. Ich hoffe, dass sich der Wahlkampf noch versachlic­ht. SUCKALE Da bin ich pessimisti­sch. Denn Angst lässt sich sehr gut transporti­eren. Obwohl es objektiv keinen Grund für sie gibt. In der Chemie haben wir sehr gute Gehälter, die in den vergangene­n zehn Jahren um 27 Prozent gestiegen sind. Wir haben Arbeitspla­tzsicherhe­it und hohe Investitio­nen in Deutschlan­d. Für Angst gibt es keinen begründete­n Anlass. Angst herrscht auch wegen der Digitalisi­erung. Was, wenn ich meinen Arbeitspla­tz an eine Maschine verliere? DULGER So wird es doch nicht kommen. Im Angesicht der Digitalisi­erung in Angststarr­e zu verfallen und sich im Keller zu verstecken, ist doch falsch. Wir müssen uns an die Spitze der Bewegung setzen und diejenigen sein, die Prozesse vorantreib­en. Natürlich werden sich Geschäftsm­odelle ändern und Tätigkeite­n wegfallen. Aber das bedeutet eben nicht, dass Jobs verschwind­en. Sie werden sich nur verändern. SUCKALE Die Digitalisi­erung wird das Arbeiten in vielen Bereichen sehr erleichter­n. In der Chemie wird zum Beispiel die vorausscha­uende Instandhal­tung die Zahl der ungeplante­n Anlagenaus­fälle erheblich reduzieren. Auch für die Forschung gibt es viele neue Optionen. Diesen Wandel werden wir gemeinsam mit unseren Mitarbeite­rn und unserem Sozialpart­ner gestalten. Das setzt voraus, dass die Mitarbeite­r auch entspreche­nd geschult werden. DULGER Das machen wir doch längst. Die deutsche Wirtschaft gibt jährlich 60 Milliarden Euro für die Aus- und Weiterbild­ung ihrer Mitar- beiter aus. Das wird auch so bleiben, sich womöglich noch erhöhen. Da ist aber auch der Staat gefordert. Solange wir noch Regionen ohne schnelles Internet haben, kann die Digitalisi­erung nicht gelingen. Wo keine Datenautob­ahn ist, gibt es keinen Wohlstand. Der Ausbau kommt viel zu langsam voran. Im Zuge der Digitalisi­erung rückt das Thema Arbeitszei­t wieder mehr in den Fokus. Welche Fallstrick­e sehen Sie dabei? SUCKALE Die größte Klippe sind starre gesetzlich­e Regelungen, etwa bei den Ruhezeiten. Elf Stunden müssen eingehalte­n werden. Aber ist die E-Mail, die abends um elf Uhr noch schnell geschriebe­n wird, eine Unterbrech­ung der Ruhezeit? Deshalb benötigen wir eine gesetzlich­e Klarstellu­ng. Umgekehrt lesen wir doch auch mal während der Arbeitszei­t eine private E-Mail oder telefonier­en rasch mit der Familie. Kaum ein Arbeitgebe­r hat heute ernsthaft etwas dagegen. Denn Privates und Berufliche­s lässt sich eben nicht immer strikt voneinande­r trennen. DULGER Wir benötigen dringend flexiblere Arbeitszei­ten. Das heißt nicht Mehrarbeit. An der 35-Stunden-Woche wollen wir gar nicht rütteln. Aber wir müssen bei der Wochenarbe­itszeit flexibler werden. Das Thema wird Sie in der Tarifrunde beschäftig­en – hat die IG Metall zumindest schon angekündig­t. DULGER Dieses komplexe Thema verträgt keinen Druck von der Straße. Gleichwohl ist das Thema wichtig. Die SPD profiliert sich derzeit auch mit einem Gesetzesvo­rschlag zur Begrenzung von Managergeh­ältern. SUCKALE Wir sollten nicht den Fehler begehen und Einzelfäll­e zum Anlass für eine Regulierun­g nehmen. Die Vergütung von Mitarbeite­rn und Vorständen ist Aufgabe der Vertragspa­rtner. Der Staat sollte sich weder in die Tarifpolit­ik noch in die Vergütung von Managern einmischen. Schauen wir in die USA: Donald Trump forciert eine protektion­istische Politik. So richtig ruhig schlafen dürften Sie nicht mehr. DULGER Donald Trump ist demokratis­ch und rechtmäßig gewählt. Deswegen bringe ich ihm Respekt entgegen. Er hat eine breite Basis – vor allem bei den mittelstän­dischen Unternehme­rn der USA. Wir sollten ihm Zeit geben und dann beobachten, was er tatsächlic­h tut. Ich rate zur größtmögli­chen Zurückhalt­ung. SUCKALE Die deutschen Chemie-Unternehme­n exportiere­n für rund 20 Milliarden Euro in die USA und produziere­n dort vor Ort noch einmal im Wert von 60 Milliarden Euro. Natürlich sehen wir es mit Sorge, wenn sich ein Land abschottet. Mehr denn je benötigen wir weitere Freihandel­sabkommen. Es ist bedauerlic­h, dass TTIP bisher nicht zustande gekommen ist, das lag aber sicher nicht allein an Donald Trump. Aber unter ihm dürfte es keinen neuen Anlauf geben. SUCKALE Natürlich hat sich die Ausgangsla­ge für einen Neuanlauf nicht verbessert. Aber mit Emotionen kommen wir kein Stück weiter. Wir müssen vielmehr ruhige und sachliche Gespräche mit den USA führen. Als eine Art Hoffnungss­chimmer wird das öffentlich­e Investitio­nsprogramm des US-Präsidente­n angeführt. Können deutsche Firmen ein Stück des Kuchens abbekommen? DULGER Ja, wenn sie in den USA ihre Wertschöpf­ung betreiben. Denn auch wenn der Präsident bei uns etwas eckig rüberkommt: Deutsche Firmen profitiere­n von Trump. Das Land hat infrastruk­turell großen Nachholbed­arf. Wenn er dieses Wahlkampfv­ersprechen wahr macht, wird sich das lohnen. Wie stabil ist das europäisch­e Gefüge? Schließlic­h haben die Briten mit ihrem Austritt viele schockiert. DULGER Wirtschaft­lich betrachtet halten sich die Schäden bisher in Grenzen. Die Umsätze sind zu groß, um sie zu vernachläs­sigen, sie sind aber zu klein, um in Panik zu verfallen. Für die Metall- und Elektroind­ustrie sprechen wir da von fünf Prozent. Europa sollte bedächtig die Brexit-Verhandlun­gen führen. Eine harte Haltung gegenüber den Briten halte ich für deplatzier­t. SUCKALE Der Brexit wird auch für die Wertschöpf­ungsketten der chemischen Industrie Folgen haben. Dennoch sollten wir ohne jegliche Häme klarmachen, was ein Austritt bedeutet. Natürlich gilt es weiterhin unser gutes Verhältnis zu den Briten aufrechtzu­erhalten, in dem wir entspreche­nde bilaterale Verträge abschließe­n. Großbritan­nien ist wirtschaft­lich und politisch ein zu wichtiger Partner. DULGER Ich glaube, wir haben hier eine Chance. Wir können die EU dank des Brexits endlich reformiere­n. Bei den Grundgedan­ken – freier Austausch von Waren, Finanzströ­men, Personen und Dienstleis­tungen – müssen wir doch klar sagen: Mission erfüllt. Also lasst uns die Dingen angehen, an denen es noch krankt: Wir brauchen eine einheitlic­he Sicherheit­s- und Außenpolit­ik sowie eine weitere Stärkung des Binnenmark­tes.

M. PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTOS: UWE ANSPACH | MONTAGE: RP Der Gesamtmeta­ll-Präsident und die Präsidenti­n des Chemie-Arbeitgebe­rverbandes BAVC im Gespräch in Ludwigshaf­en.

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