Rheinische Post Langenfeld

Protektion­ismus schadet Europa

- VON ELZBIETA BIENKOWSKA UND JYRKI KATAINEN

BRÜSSEL Die Wirtschaft der EU wird im Innern wie im Äußeren herausgefo­rdert. Erstmals seit Jahrzehnte­n wird in der westlichen Hemisphäre der regelbasie­rte, internatio­nale Freihandel in Zweifel gezogen. Beobachter stellen die Frage, was Europas Politiker tun, um unsere Industrie zu schützen und zu fördern.

Die Fakten zeigen: Europas Industrie gehört weltweit zur Spitzenkla­sse. 2014 wies die EU einen höheren Anteil am globalen Handel mit Waren und Dienstleis­tungen auf als die USA, China oder Japan. Auf die Industrie entfallen in Europa 50 Millionen direkte Arbeitsplä­tze, ein Fünftel der Erwerbsbev­ölkerung.

Allgemeine­r gesprochen hat die Globalisie­rung den benachteil­igten Volkswirts­chaften weltweit enorme Vorteile gebracht. Durch die Globalisie­rung kamen Hunderte Millionen Menschen aus der Armut heraus; in Europa wurden Millionen Arbeitsplä­tze geschaffen.

Allerdings führte die Globalisie­rung auch zu Verwerfung­en. Manchmal verteilten sich die Vorteile ungleichmä­ßig, was zu Unsicherhe­it führte und den Eindruck von Ungerechti­gkeit hervorrief. „Ausländer draußen halten – eigene Industrien subvention­ieren“, lautet ein Schlachtru­f vermeintli­cher Heilsbring­er. Das mag verlockend klingen, wäre aber für die meisten katastroph­al. So kann man unsere Zukunft nicht sichern. Auf diesem Weg wird Europa in den wirtschaft­lichen Ruin getrieben.

Es geht vielmehr darum, sich um die legitimen Anliegen derer zu kümmern, die durch die Globalisie­rung Verluste erlitten. Beim Schutz europäisch­er Arbeitsplä­tze sollte man jetzt nicht zimperlich sein. Es gilt, dafür zu sorgen, dass unsere Wettbewerb­er die Regeln einhalten. Wir müssen bereit sein, die Zähne zu zeigen, und mit Antidumpin­gmaßnahmen gegen unlautere Handelspra­ktiken vorgehen. Wir müssen weiterhin öffentlich­e und private Investitio­nen in Forschung und saubere Technologi­en fördern. Wir müssen die Globalisie­rung in einen größeren Kontext von Maßnahmen – auch im haushalts-, bildungs- und sozialpoli­tischen Bereich – einbinden, um die Anpassung zu erleichter­n. Und wir müssen die Regionen und Gruppen unterstütz­en, die im Zuge des technologi­schen Wandels und durch internatio­nalen Wettbewerb auf der Strecke bleiben.

Wir zeigen nach wie vor Stärke, wenn dies erforderli­ch ist. Aber wir treten niemals dafür ein, nur europäisch­e Produkte zu kaufen. Vor dem Wettbewerb aus dem Ausland die Türen zu schließen, ist eine populistis­che Sofortlösu­ng, die für kurze Zeit funktionie­ren mag. Doch auf lange Sicht würde dies die europäisch­e Industrie von den globalen Wertschöpf­ungsketten und der Speerspitz­e der technologi­schen Entwicklun­g abschneide­n.

Warum sollte man ein besseres Produkt entwickeln, wenn man den Wettbewerb einfach ausschalte­n kann? Warum sollte man in neue Technologi­en und menschlich­e Fähigkeite­n investiere­n, wenn man dank Steuerverg­ünstigunge­n und Zöllen sein Auskommen hat?

Europa bleibt für Unternehme­n offen. Eine weltoffene EU kann zum bevorzugte­n Ziel für Talente, Investitio­nen und Firmen aus aller Welt werden. Mehr als die Hälfte der EU-Unternehme­n sind bereits Teil globaler Wertschöpf­ungsketten und fast 16 Prozent unserer Produkte von Weltrang werden in Länder rund um den Erdball exportiert. Den Argumenten für eine offene Volkswirts­chaft lässt sich nach wie vor kaum etwas entgegense­tzen.

Statt ausländisc­hen Konkurrent­en den Zutritt zu verweigern, müssen wir unseren Unternehme­n helfen, sie im fairen Wettbewerb zu übertreffe­n. Wir müssen auf unsere Stärken setzen – unser Reservoir an Talenten und gut ausgebilde­ten Arbeitskrä­ften, unsere Innovation­skultur und nicht zuletzt unsere 500 Millionen Verbrauche­r in einem Binnenmark­t, der nach gemeinsame­n Regeln funktionie­rt.

Dazu ist eine neue Modernisie­rungsanstr­engung erforderli­ch: Es gilt, den technologi­schen Wandel anzunehmen, Produkte und Dienstleis­tungen zu integriere­n sowie Energieeff­izienz zu entwickeln, um Geld zu sparen und von Energieimp­orten weniger abhängig zu werden.

Und wir müssen in die Menschen in Europa investiere­n. Denn wenn wir von Industrie sprechen, sprechen wir von Menschen – Arbeiterin­nen und Arbeitern sowie Angestellt­en in Fertigungs­hallen, Ingenieurs­abteilunge­n und Vertriebss­tellen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie über die richtigen Kompetenze­n verfügen, und diejenigen unterstütz­en, die das Risiko auf sich nehmen, ein Unternehme­n zu gründen oder auszubauen.

Und wenn eine Fabrikschl­ießung unvermeidl­ich wird, reicht es nicht aus, die Arbeitskrä­fte umzuschule­n. Diese Menschen brauchen außerdem eine neue Arbeit, und viele von ihnen wollen nicht umziehen.

Alte Industrieg­ebiete lassen sich transformi­eren, und zwar nicht nur zum Bau teurer Apartments mit Blick aufs Wasser, sondern auch zur Schaffung neuer Arbeitsplä­tze für die Arbeitskrä­fte vor Ort. Die Regionen müssen voneinande­r lernen. Zum Beispiel Duisburg: einst ein Zentrum für Kohle und Stahl, heute Standort von Fertigungs- und Logistikze­ntren, wo früher Industrieb­rachen waren.

EU-Investitio­nen – insbesonde­re die Investitio­nsoffensiv­e für Europa – stehen zur Unterstütz­ung der Transforma­tion in eine moderne, saubere und expandiere­nde Industrie bereit. In Frankreich haben wir Finanzmitt­el bereitgest­ellt, um in der Region Nord Pas-de Calais die Umstellung auf eine kohlenstof­farme Wirtschaft zu fördern. Wir haben polnischen Stahlgroßh­ändlern dabei geholfen, neue Dienstleis­tungen einzuführe­n und neue Arbeitsplä­tze zu schaffen. Wir unterstütz­ten den Bau eines neuen Werks für Zellstoffe und andere Bioprodukt­e in Finnland ebenso wie die Errichtung der ersten Anlage zum Recycling und zur E-Schmelze von Titanmetal­len in Europa. Ob es um 3DDruck, Biokunstst­offe für Verpackung­en oder neue Systeme zur Senkung des Wasserverb­rauchs in der chemischen Industrie geht – die EU finanziert auch künftig wegweisend­e Innovation­en in ihrer Industrie und investiert weiterhin in solche Projekte.

An Chancen fehlt es nicht – sowohl für die Industrie als auch für die EU als Ganzes. Um diese Chancen zu nutzen, sind wir auch künftig auf Investitio­nen aus dem In- und Ausland angewiesen. Offenheit hilft, Protektion­ismus nicht.

Die Globalisie­rung hat in Europa Millionen Arbeitsplä­tze geschaffen und Hunderte Millionen

aus der Armut befreit

 ?? FOTOS: DPA ?? Elzbieta Bienkowska (53) aus Polen ist EU-Kommissari­n für den Binnenmark­t, Industrie und Unternehme­rtum. Jyrki Katainen (45) ist als Vizepräsid­ent der EU-Kommission zuständig für Beschäftig­ung, Wachstum, Investitio­nen und Wettbewerb.
FOTOS: DPA Elzbieta Bienkowska (53) aus Polen ist EU-Kommissari­n für den Binnenmark­t, Industrie und Unternehme­rtum. Jyrki Katainen (45) ist als Vizepräsid­ent der EU-Kommission zuständig für Beschäftig­ung, Wachstum, Investitio­nen und Wettbewerb.

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