Polens Konfrontation mit der EU
WARSCHAU Glaubt man den Brüsseler Auguren, dann muss sich Donald Tusk keine größeren Sorgen um seine Wiederwahl als EU-Ratspräsident machen. Der Pole hat sich nach den üblichen Startschwierigkeiten in der EU-Hauptstadt das erarbeitet, was man neudeutsch ein „Standing“nennt. Er genießt im Kreis der meisten Staats- und Regierungschefs mittlerweile das Vertrauen, dass er seinen Job beherrscht. So gesehen wäre es in andauernden Krisenzeiten schlicht und ergreifend dumm, Tusk keine zweite Amtszeit von zweieinhalb Jahren zu gewähren. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt weiterhin Donald Tusk. Dessen liberal-Konservative Bürgerplattform gehört wie Angela Merkels CDU zur Europäischen Volkspartei (EVP).
Dennoch will ausgerechnet die Regierung seines Heimatlandes den langjährigen polnischen Premier gegen einen eigenen Kandidaten austauschen, den konservativen EU-Abgeordneten Jacek SaryuszWolski.
Das ist legitim, weil Tusk nun einmal ein politischer Erzrivale der rechtsnationalen PiS-Partei ist, die seit 2015 in Warschau das Sagen hat, und ein persönlicher Widersacher von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski noch dazu. Es ist also etwa so, als ob Gerhard Schröder einst den abtrünnigen Oskar Lafontaine hätte unterstützen sollen.
Hinzu kommt, dass Tusk als Ratspräsident das Rechtsstaatsverfahren mitgetragen hat, das die EU wegen der demokratisch zweifelhaften PiS-Politik gegen Polen eingeleitet hatte. Es geht um Polens Verfassungsgericht. Wegen der Beschneidung von dessen Unabhängigkeit sieht sich die EU-Kommission erstmals gezwungen, bei einem Mitgliedsstaat einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien zu überprüfen. Die Regierung in Warschau wurde wurde bislang erfolglos ermahnt, auch verschiedene Gesprächsrunden brachten nichts. So könnte Brüssel das Verfahren demnächst verschärfen. Am Ende könnte für Polen der Stimmentzug im EU-Rat Wirklichkeit werden.
Vor diesem Hintergrund scheint der Begriff „Affront“, der nun in Brüssel die Runde macht, doch übertrieben zu sein. In Wirklichkeit ist es eher eine Protokollnotiz: Saryusz-Wolski ist nicht mehr als ein Zählkandidat. Er sitzt seit 2004 im Europaparlament und war auch bis 2007 einer der Vizepräsidenten.
Auch an der Person des Herausforderers lässt sich ablesen, dass die PiS vor allem innenpolitische Motive für ihre Entscheidung hat. Saryusz-Wolski gehörte bislang Tusks Bürgerplattform (PO) an, die den 68-Jährigen nach Bekanntwerden seiner Kandidatur sofort aus der Partei ausschloss. Die PO steht nun (einmal mehr) als zerstritten dar, als Partei in Auflösung. Es handelt sich also nicht zuletzt um ein PiS-Manöver zur Schwächung der Opposition in Warschau.
Bitter an alldem ist, dass wieder einmal eine Regierung die EU als Schlachtfeld beziehungsweise Sandkasten für ihre innenpolitischen Kriegsspiele nutzt. Es ist genau diese Instrumentalisierung der EU zu nationalen Zwecken, die der Gemeinschaft ihre Dauerkrise beschert hat. Wie sollen die Bürger jemals Vertrauen in eine Institution entwickeln, die von den eigenen Politikern ständig missachtet oder missbraucht wird? Nein, so funktioniert es nicht.