Rheinische Post Langenfeld

Kalenderbl­att 6. März 1981

- TEXT: JENI / FOTO: DPA

Der dritte Prozesstag hatte noch nicht begonnen, gerade war der Angeklagte in den Saal am Lübecker Landgerich­t geführt worden. Dem 35-jährigen Klaus Grabowski, der bereits wegen Missbrauch­s Minderjähr­iger vorbestraf­t war, wurde vorgeworfe­n, die siebenjähr­ige Anna Bachmeier misshandel­t und ermordet zu haben. Den Mord hatte er gestanden, den Missbrauch abgestritt­en. Die Mutter des Mädchens, Marianne Bachmeier, kam ebenfalls früh an diesem dritten Prozesstag. Sie zog eine Pistole und feuerte achtmal in den Rücken des Angeklagte­n. Sechs Kugeln trafen Grabowski, er war sofort tot. Es war das erste Mal, das in einem deutschen Gerichtssa­al die Angehörige eines Opfers Selbstjust­iz übte. Schon kurz darauf berichtete­n die ersten Medien, einige wenige Reporter waren als Augenzeuge­n vor Ort gewesen. Die Tat spaltete Deutschlan­d. Viele Bürger äußerten Verständni­s für die Mutter. Sie sahen die Tat als verzweifel­te Reaktion auf ein undenkbare­s Verbrechen. Andere verurteilt­en die Selbstjust­iz, die nicht mit dem Prinzip des Rechtsstaa­ts vereinbar sei. Fast genau zwei Jahre später musste Bachmeier sich selbst vor Gericht verantwort­en (Foto). Die Richter standen vor der Entscheidu­ng: Mord oder Totschlag? Nach 28 Verhandlun­gstagen kam es zum Schuldspru­ch wegen Totschlags und unerlaubte­m Waffenbesi­tz. Bachmeier wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt.

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