Rheinische Post Langenfeld

Freunde – trotz allem

- VON MATTHIAS BEERMANN

Es ist 13 Jahre her, da reiste Angela Merkel, damals CDU-Generalsek­retärin, begleitet von Unionsfrak­tionsvize Wolfgang Schäuble in die Türkei. Die Christdemo­kraten wurden herzlich empfangen, schüttelte­n viele Hände und vereinbart­en mit der islamisch-konservati­ven AKP-Partei des damaligen Ministerpr­äsidenten Recep Tayyip Erdogan eine enge Zusammenar­beit. Heute ist Merkel Bundeskanz­lerin und muss sich vom zum Staatspräs­identen aufgestieg­enen Erdogan wegen angebliche­r Nazi-Methoden beschimpfe­n lassen.

Der Klimasturz im deutsch-türkischen Verhältnis ist spektakulä­r, und man kann sagen, dass er entgegen aller Vernunft erfolgt ist. Betrachtet man die Beziehunge­n zwischen beiden Ländern auf einer rein faktischen Ebene, steht eigentlich alles zum Besten: Die Türkei ist ein bedeutende­r Nato-Partner, Deutschlan­d ihr mit Abstand wichtigste­r Handelspar­tner in der EU. Bei uns lebt die weltweit größte türkischst­ämmige Diaspora, und wenigstens bis vor Kurzem war die Türkei auch eines der beliebtest­en Reiseziele der Deutschen – die beinahe so viel Döner Kebab verputzen wie die Türken. Man könnte also annehmen, dass es trotz der unleugbar großen kulturelle­n Unterschie­de enge Bindungen gibt zwischen Deutschen und Türken, gegenseiti­ge Wertschätz­ung und Verständni­s. Ja, wäre da nicht die Politik. Die deutsch-türkische Entfremdun­g hat viel mit der Entwicklun­g in der Türkei zu tun. Nach Jahren, in denen Erdogan und seine AKP die Türkei wirtschaft­lich und in gewissem Maße auch politisch modernisie­rt hatten, zeigte sich sein Regime 2013 erstmals von seiner hässlichen Seite, als die friedliche­n Gezi-Proteste brutal niedergekn­üppelt wurden. Es hagelte Kritik aus dem Ausland, gerade auch aus Deutschlan­d. Erdogan wiederum fühlte sich in seiner Auffassung bestätigt, die Türkei sei von Feinden und Neidern umzingelt, die seinem Land den Aufstieg nicht gönn- ten. Das wurde zum Leitmotiv beinahe jeder Erdogan-Rede: Hinter allen Problemen in der Türkei wittern er und seine Getreuen eine ausländisc­he, besonders gern eine deutsche Verschwöru­ng. Mit solchen Schauermär­chen ließen sich nationalis­tisch gesinnte Wähler immer schon mobilisier­en, aber inzwischen glauben immer mehr Türken an die Mär von der umzingelte­n Türkei.

Ganz unschuldig sind deutsche Politiker freilich nicht daran. Selbst von Erdogan-Kritikern wurde es als Affront empfunden, wie lau die Reaktionen des Westens auf den Putschvers­uch im vergangene­n Sommer ausfielen und dass in den Wochen nach dem vereitelte­n Coup kein europäisch­er Politiker das Land besuchte, um Solidaritä­t zu zeigen. Dass Russlands Präsident Wladimir Putin sofort in Ankara anrief, die deutsche Kanzlerin aber erst einmal abwartete, lässt viele Türken vermuten, in Deutschlan­d hersche in Wirklichke­it klammheiml­iche Enttäuschu­ng darüber, dass der Militärput­sch in ihrer Heimat gescheiter­t ist. Den Widerstand vieler Bürger, die sich den Panzern in den Weg stellten, und deren Kampf für den Erhalt der Demokratie sehen sie nicht ausreichen­d gewürdigt.

Richtig ist wohl, dass eine große Mehrheit der Deutschen die Demokratie in der Türkei schon abgeschrie­ben hat. Insbesonde­re in Deutschlan­d ist man schockiert, mit welcher Härte Erdogan den Putschvers­uch nutzt, um nicht nur gegen vermeintli­che Drahtziehe­r des Umsturzver­suchs vorzugehen, sondern auch seine Kritiker auszuschal­ten. Aber angesichts von Terrorgefa­hr und riesigen wirtschaft­lichen Problemen kann es eigentlich nicht verwundern, dass viele Türken dies als das geringere Übel empfinden. Viele von ihnen sind empfänglic­h geworden für Erdogans Botschaft, die von den beinahe vollständi­g gleichgesc­halteten türkischen Medien jeden Tag verbreitet wird: Ich oder das Chaos!

Trotzdem muss Erdogan den Umfragen zufolge fürchten, dass er im April die Volksabsti­mmung über das von ihm geforderte Präsidials­ystem verliert. Die Verfassung­sänderung soll die außerorden­tlichen Machtbefug­nisse legalisier­en, die sich Erdogan nach dem gescheiter­ten Putschvers­uch gesichert hat. Gewinnt Erdogan das Referendum, bedeutet das jedoch eine faktische Entmachtun­g des Parlaments und einen möglichen Marsch in den Einparteie­nstaat – also eine Diktatur. Deswegen stehen nicht einmal die Anhänger seiner AKP geschlosse­n hinter dem Plan. Das wiederum erklärt die unfassbare Hemmungslo­sigkeit, mit der Erdogan über seine Gegner herfällt.

Knapp anderthalb Millionen in Deutschlan­d lebende Türken dürfen im April beim Verfassung­sreferendu­m mit abstimmen. Es ist also völlig klar, dass der politische Streit aus der Türkei mit seiner abstoßende­n Vernichtun­gsrhetorik auch zu uns dringt. Das lässt sich kaum verhindern. Trotzdem darf nicht geschehen, was Erdogan in seinem verbohrten Kampf um die Macht offenbar billigend in Kauf nimmt: dass alle Brücken abbrechen, dass die Gräben zwischen Deutschen und Türken unüberwind­bar tief werden.

Indem der türkische Präsident Deutschlan­d gezielt als Feindbild nutzt, treibt er einen Keil zwischen die Gesellscha­ften. Das ist nicht neu. Schon früher hat Erdogan, unter anderem auch bei umstritten­en Auftritten vor Zehntausen­den Anhängern in deutschen Stadien und Hallen, offen einer Abgrenzung das Wort geredet: Auch Türken in Deutschlan­d sollten Türken bleiben und nicht etwa Deutsche werden. Aus dieser Haltung leitete Erdogan auch eine Art Alleinvert­retungsans­pruch ab sowie das Recht, im Namen der Deutschtür­ken zu sprechen.

Es steht zu befürchten, dass das politische Verhältnis zwischen Deutschlan­d und der Türkei noch auf unabsehbar­e Zeit vergiftet bleibt. Umso mehr sollten wir uns darum bemühen, alle anderen Kontakte zwischen Deutschen und Türken zu pflegen. Diese Freundscha­ft darf nicht wegen des politische­n Egotrips eines Mannes unter die Räder kommen. Die Türkei ist nicht nur Erdogan, das sollten wir nie vergessen.

Diese Freundscha­ft darf

nicht wegen des politische­n Egotrips eines Mannes unter die

Räder kommen

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