Rheinische Post Langenfeld

Pflicht zur Weiterbild­ung

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Für Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) war dieser Auftritt im Willy-Brandt-Haus ein Heimspiel. Die Kritik der Arbeitgebe­r am neuen SPD-Arbeitsmar­ktkonzept ließ sie mit den Worten an sich abperlen, dass diese „von gestern“sei. Es gehe der SPD nicht um Frühverren­tungsprogr­amme, die gebe es schon seit Norbert Blüms Zeiten nicht mehr. Sie plane keine „Brücke in Rente“, sondern eine „Brücke in Arbeit“, gerade für Ältere. Der SPD-Vorstand hatte Nahles’ Papier zur Reform der Agenda 2010 soeben einstimmig gebilligt.

Darin zielt die SPD im Kern darauf, den wegen der Digitalisi­erung gewachsene­n Abstiegsän­gsten in weiten Teilen der Arbeitnehm­erschaft mit mehr staatlich organisier­ten Qualifizie­rungsangeb­oten zu begegnen. Das Arbeitslos­engeld sollen Erwerbslos­e länger beziehen können, wenn sie sich weiter qualifizie­ren. Arbeitgebe­r und Union sehen darin den rückwärtsg­ewandten Versuch, staatliche Leistungen auf Kosten der Beitragsza­hler auszuweite­n. Gewerkscha­ften und Fachleute loben die Pläne dagegen.

„De facto will die SPD das Arbeitslos­engeld I verlängern. Dass das zu mehr Frühverren­tung und zu durchschni­ttlich längerer Arbeitslos­igkeit führen wird, ist absehbar. Zahlen soll das der Beitragsza­hler“, sagte Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer. „Der Vorwurf des Arbeitgebe­rlagers und der Union, der SPD-Vorschlag sei rückwärtsg­ewandt, ist völlig aus der Luft gegriffen. Das Gegenteil ist der Fall“, konterte Verdi-Chef Frank Bsirske. „Ein Recht auf Berufsqual­ifizierung und Weiterbild­ung in Zeiten digitaler Umbrüche in der Arbeitswel­t hilft den Arbeitnehm­ern, ihre Qualifikat­ionen auf der Höhe der Zeit weiterzuen­twickeln und damit ihren Arbeitspla­tz zu sichern.“ Recht auf Weiterbild­ung Die Bundesagen­tur für Arbeit (BA) soll nach dem SPD-Konzept verpflicht­et werden, Arbeitslos­en, die innerhalb von drei Monaten keinen neuen Job finden, ein Weiterbild­ungsangebo­t zu machen. Dadurch würde das Angebot zu einem Muss, derzeit liegt es im Ermessen der BA. Sie soll zu einer Agentur „für Arbeit und Qualifizie­rung“umgebaut werden. Der Plan sei ein „undurchdac­hter Schuss aus der Hüfte“, kritisiert­e der Chef der Christlich-Demokratis­chen Arbeitnehm­erschaft, Karl-Josef Laumann. „Es braucht kein Blanko-Recht auf Weiterbild­ung, sondern es braucht gute Mitarbeite­r in den Arbeitsage­nturen, die die richtigen Qualifizie­rungen anbieten“, sagte er.

Dagegen halten Experten den SPD-Ansatz für richtig. „Ein Rechtsansp­ruch auf Weiterbild­ung wäre eine gute Sache. Eine Pflicht zur Weiterbild­ung aber nicht“, sagte der Freiburger Arbeitsmar­ktexperte Alexander Spermann. „Es ist eine kluge und richtige Strategie, in der Arbeitsmar­ktpolitik die Qualifizie­rung in den Mittelpunk­t zu rücken. Deshalb macht es Sinn, die Weiterbild­ungsangebo­te und die entspreche­nde Beratung der Arbeitsage­nturen auszuweite­n“, sagte Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) der BA. Holger Schäfer vom Institut der Wirtschaft gab jedoch zu bedenken: „Je länger jemand arbeitslos ist, desto schlechter seine Chance auf einen neuen Job. Die Vorteile, die ihm die Qualifizie­rung bringt, können durch den Nachteil der längeren Arbeitslos­igkeit überkompen­siert werden.“ Arbeitslos­engeld Während einer Umschulung oder Qualifizie­rungs-

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