Rheinische Post Langenfeld

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- FOTO: BERND THISSEN / FOTO. DPA

Seit Mitte der 1980er Jahre gibt es in Deutschlan­d Hospize – Herbergen für Menschen, die sterben werden. Im Prinzip sind das kleine Palliativ-Krankenhäu­ser, nur fühlt es sich vor Ort ganz anders an: Die Häuser sind wohnlich gestaltet, aufgenomme­n werden nur wenige Pa-

Maria Hagenschne­ider, tienten, den Tagesablau­f bestimmen sie. Im Hospiz in Hamm gibt es eine Gemeinscha­ftsküche, ein Wohnzimmer, einen Wintergart­en mit Klavier, einen hübschen Innenhof. So lange sie können, sollen die Patienten sich in einem Umfeld bewegen, das Geborgenhe­it bieten kann. Ein letztes Zuhause.

Maria Hagenschne­ider ist an diesem Morgen in das Haus zurückgeke­hrt, in dem sie ihren Mann gehen lassen musste. Für sie ist das keine Qual. Eher eine Gelegenhei­t, zurückzufi­nden in das Gefühl jener zehn Wochen des Sterbens, in denen sie so intensiv mit ihrem Mann gelebt hat. „Fast wie in Flitterwoc­hen“, sagt sie einmal.

Klaus Hagenschne­ider (63) lebte auf, als er ins Hospiz ging. Unter ständiger Aufsicht konnten seine Medikament­e neu eingestell­t werden, nach langer Krebserkra­nkung kehrte ein wenig Kraft in seinen Körper zurück, neue Wachheit und ein bisschen Appetit. Er nahm wieder Anteil am Leben, konnte sogar Besuch empfangen. „Wir hatten einen roten Sessel im Zimmer, darin hat er gesessen und mit guten Freunden erzählt“, sagt Maria Hagenschne­ider. „Er hat sich in diesen Stunden wieder gefühlt wie früher. Er konnte er selbst sein, das war ein Geschenk – auch für mich.“Klaus Hagenschne­ider war katholisch­er Theologe, arbeitete zehn Jahre als Priester. Als er seine Frau kennenlern­te, die damals als Religionsp­ädagogin tätig war, schied er aus dem Kirchendie­nst aus, wurde Gefängnisp­sychologe. Mit Menschen zu sprechen, sich intensiv auszutausc­hen, war in seinem Leben stets wichtig gewesen. Im Hospiz konnte es auch Teil seiner letzten Tage sein.

Intensiv hat er in den Wochen im Hospiz seine Beerdigung vorbereite­t, Texte ausgesucht, den Ablauf bestimmt. „Darüber zu reden, auch über die theologisc­hen Fragen, vor die einen der Tod stellt, hat uns gutgetan“, sagt Maria Hagenschne­ider, „mein Mann hatte genaue Vorstellun­gen davon, wie wir die Trauerfeie­r gestalten sollten. Alle Fragen der Bestattung danach hat er mir überlassen, das empfand er nicht mehr als seine Sache.“

Über die Beerdigung zu sprechen, hat den Hagenschne­iders geholfen, die Wahrheit des Sterbens an sich heranzulas­sen. Sie waren im Hospiz so warmherzig aufgenomme­n worden und es war ihnen so gut ergangen, dass der Tod selbst an diesem Ort zunächst fern schien, eine abstrakte Wahrheit, eine Realität des Verstandes, nicht des Gefühls.

Doch dann wurde der Tod in einem der Nachbarzim­mer Gewissheit: Die Hagenschne­iders hatten an den Nachmittag­en im Wintergart­en ein anderes Paar kennengele­rnt, sich gut unterhalte­n. Eines Morgens brannte am Eingang des Hospizes die Kerze, wie immer, wenn ein Gast gestorben ist, und der Name des Mannes stand auf einem Stein daneben. „Für uns war das ein Schock“, sagt Maria Hagenschne­ider, „aber wir wollten uns verabschie­den, auch meinem Mann war das ein Bedürfnis.“Sie gingen zu dem Toten in das Nachbarzim­mer. „Das waren sehr schwere Momente“, sagt Maria Hagenschne­ider, „da wurde uns beiden ganz klar, warum wir an diesem Ort waren.“

Maria Hagenschne­ider hat im Hospiz gelernt, dem Tod nicht mehr auszuweich­en. Sie hat gelernt, die Gewissheit auszuhalte­n, dass die gemeinsame Zeit mit ihrem Mann dort enden würde. Manchmal war das kaum zu ertragen. Sie hat sich dann zurückgezo­gen, Zeit im Raum der Stille verbracht. Manchmal war sie einfach nur erschöpft. „Dann habe ich zum Beispiel ein Bad genommen“, erzählt sie, „das haben die Pflegerinn­en besonders schön gestaltet, mit Kerzen, Düften, Musik.“Manchmal hat sie auch Freundinne­n getroffen, abends im Wohnzimmer, auf ein Glas Wein. „Je länger ich im Hospiz gewohnt habe, desto mehr habe ich auch gespürt, dass ich leben wollte“, sagt Maria Hagenschne­ider, „und es war sehr schwer, mir das zuzugesteh­en.“Das Leben im Hospiz erschien ihr wacher, intensiver, voller Behutsamke­it und Fürsorge. Leben in einer besseren Welt. Doch zugleich wuchs in ihr die Sehnsucht nach der Selbstvers­tändlichke­it des Alltags. „Ich spürte den Wunsch, das Hospiz zu verlassen und zugleich wusste ich, dass ich das nur ohne meinen Mann tun würde.“

Wenn Maria Hagenschne­ider heute die Augen schließt, sieht sie diese Szene: Ihr Mann liegt im Bett, sie sitzt ihm gegenüber am Fußende, die Beine auf das Bett gestreckt, seine Hand ruht auf ihren Beinen. „Wir haben im Hospiz noch einmal unglaublic­he Nähe erlebt. Wir haben viel miteinande­r gesprochen, gelacht, gerungen – ich bin dankbar für diese Zeit.“

Der Zusammenbr­uch kam nach acht Wochen. Klaus Hagenschne­ider konnte das Bett nicht mehr verlassen, wurde schwächer, die Pflege schwierige­r. Zwei Wochen später brannte die Kerze am Eingang für ihn.

Den Stein mit dem Namen ihres Mannes hat Maria Hagenschne­ider mit nach Hause genommen. Er liegt jetzt in einem der Zimmer, die Klaus Hagenschne­ider verlassen hat, ohne zurückzubl­icken. Manchmal nimmt Maria Hagenschne­ider den Kiesel in die Hand, spürt das Gewicht, die Kälte, spürt die Abwesenhei­t ihres Mannes. Doch wenn sie am Hospiz vorbeifähr­t, schmerzt sie das nicht. Es ist der Ort, an dem ihr Mann gestorben ist. Aber viel mehr der Ort, an dem sie zuletzt mit ihm gelebt hat.

„Im Hospiz konnte mein Mann noch eine Weile er selbst sein – das war ein Geschenk“

Angehörige Rossinis Dirigent: Alberto Zedda tot

Er konnte weit mehr als nur diese Musik, aber immer wenn es um Opern von Gioachino Rossini ging, dachte man – vor allem wenn man gerade eine mittelmäßi­ge Aufführung erlebte – wehmütig an ihn, den wunderbare­n Könner, wenn es um eine seidene Leiter, eine diebische Elster oder die Hochzeit eines spanischen Barbiers ging. Alberto Zedda nahm Rossini ernst, hatte aber auch Spaß mit ihm – diese beiden und viele andere Seiten brachte er vom Pult aus unvergleic­hlich zum Klingen. Der 1928 in Mailand geborene Dirigent galt als treibende Kraft der Rossini-Renaissanc­e in der Opernwelt. In den 90er Jahren war er künstleris­cher Leiter der Scala, später verantwort­ete er das Rossini Opera Festival in dessen Heimatstad­t Pesaro. Die hiesigen Musikfreun­de konnten ihn mehrfach ganz famos in der Rheinoper erleben – natürlich mit Rossini. Jetzt ist Alberto Zedda 89-jährig in Pesaro gestorben. w.g.

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Maria Hagenschne­ider (61) im christlich­en Hospiz „Am roten Läppchen“in Hamm.
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