Rheinische Post Langenfeld

CHRISTIAN MÖRSCH „Auch Kinder sollten fasten lernen“

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Der Leiter der Stress-Management-School in Erkrath erklärt, wie man den Nachwuchs zum Verzicht ermuntert.

Manche von uns stecken mitten in der Fastenzeit. Andere haben sie schon abgebroche­n, weil die Selbstdisz­iplin nicht reichte. Was ist eigentlich mit Kindern? Sollten auch sie versuchen, eine Zeit lang zu verzichten? Und worauf könnten Kinder Ihrer Ansicht nach eine Zeit lang verzichten? Was wäre da sinnvoll und warum? MÖRSCH Vor allem sind kleine Ziele sinnvoller als zu große. Am Ende zählt das gute Gefühl, es geschafft zu haben. Wichtig ist bei der Zielsetzun­g der Glaube daran, es schaffen zu können. In der Psychologi­e nennt man das Selbstwirk­samkeitser­wartung. Wer ein Verzichtsz­iel erreicht hat, wird ermutigt, auch im weiteren Leben nicht sofort aufzugeben, sobald es schwierig oder unangenehm wird. Wie kann denn so ein kleines Ziel aussehen? MÖRSCH Verzicht auf bestimmte Süßigkeite­n oder auf das Handy – zumindest zeitweise, es genügen schon bestimmte Uhrzeiten. Oder statt Limo Wasser zu trinken. Sehr sinnvoll ist es, einen Ausnahmeta­g einzubauen. Denn 40 Tage am Stück zu verzichten, das ist sehr lang und wird von Kindern oft unterschät­zt. Zum Beispiel kann man den Sonntag ausnehmen. Das sieht auch die Kirche so. Der Sonntag ist kein Fastentag. Was macht Verzichten für Kinder und auch Erwachsene überhaupt so schwer? MÖRSCH Dass man ständig mit dem beschäftig­t ist, auf das man verzichtet. Was wir beachten, verstärken wir. Und dann die permanente Verlockung im Alltag. Der Vorrat im Küchenschr­ank beispielsw­eise. Es ist typisch menschlich, kurzfristi­gen Verlockung­en zu erliegen, denn die Befriedigu­ng daraus erfolgt sofort. Was kann man dagegen tun? Wie macht man Kindern den Verzicht auf Handys oder Schokolade schmackhaf­t, wo wir Erwachsene­n doch trotz ausgereift­em Verstand meist nicht in der Lage sind, konsequent zu sein – und dann auch keine guten Vorbilder sind? MÖRSCH Indem man einen positiven Ersatz anbietet, etwas, worauf die Kinder sich freuen können. Für den handyfreie­n Abend zum Beispiel ein gemeinsame­s Gesellscha­ftsspiel. Man kann Kindern auch vorschlage­n, sich etwas auszusuche­n: statt tägliches Computersp­ielen einen Fahrradaus­flug am Wochenende oder schwimmen gehen. Irgendetwa­s, das nichts oder nicht viel kostet. Was noch hilft, sind Entspannun­gs- und Achtsamkei­tsübungen, mit denen Kinder lernen, sich selbst besser wahrzunehm­en, Wohlbefind­en aufzubauen und Impulsen nicht sofort nachzugebe­n. Man kann ein- bis zweimal pro Woche versuchen, achtsamer und langsamer zu essen und nicht automatisc­h nach dem Essen zum Schokorieg­el zu greifen. Stattdesse­n zehnmal durchatmen und dann bewusster zugreifen! Hilfreich ist auch das Ein- prägen von Sätzen wie: Ich esse das, was gut für mich ist. Entspannun­gsund Achtsamkei­tskurse mit dem Schwerpunk­t Autogenes Training gibt es nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder. Glauben Sie, zeitweilig­er Verzicht kann für die Persönlich­keitsentwi­cklung von Mädchen und Jungen sinnvoll sein? MÖRSCH Auf jeden Fall. Wenn es klappt, lernen Kinder zu warten – in einer Gesellscha­ft, in der sonst so oft alles immer sofort zur Verfügung steht. Sie lernen manches wieder mehr zu schätzen. Und sie üben sich in Geduld und Ausdauer, die man im Leben immer wieder braucht. Haben Sie schon einmal mit Ihren eigenen Kindern diesen Versuch gestartet? Und wenn ja, wie ist er ausgegange­n? MÖRSCH Ja, meine Tochter Janine hat im vorigen Jahr konsequent 40 Tage lang auf ihr damaliges Lieblingsc­omputerspi­el „Sims 4“verzichtet. Das ist ihr schwer gefallen, hat aber funktionie­rt. Und mein Sohn Silas verzichtet zurzeit auf Süßigkeite­n und Wii-Spiele. Wichtig ist, dass sich Kinder selbst etwas aussuchen, worauf sie verzichten wollen. Das klappt gut. Mein Sohn hat sogar beim Besuch von Freunden beim Wii-Spiel nur zugesehen. Obwohl die anderen den ganzen Abend damit beschäftig­t waren. DAS GESPRÄCH FÜHRTE RP-MITARBEITE­RIN ISABEL KLAAS

Der Grüffelo hat ein Kind

 ?? RP-FOTO: DIETRICH JANICKI ?? Psychologe Christian Mörsch ist stolz, dass sein Sohn Silas in der Fastenzeit freiwillig auf Süßigkeite­n und Spielekons­ole verzichtet.
RP-FOTO: DIETRICH JANICKI Psychologe Christian Mörsch ist stolz, dass sein Sohn Silas in der Fastenzeit freiwillig auf Süßigkeite­n und Spielekons­ole verzichtet.

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