Rheinische Post Langenfeld

Der Deich hat gehalten

- VON PHILIPP JACOBS

DENHAAG 2016 war ein Krisenjahr für Europa: Islamische­r Staat, Flüchtling­sstrom, Brexit, Donald Trump. Es sind für gewöhnlich jene Zeiten, in denen Schreihäls­e besondere Beachtung finden, weil sie die „Dinge benennen“, wie es dann heißt. Geert Wilders ist einer der größten Schreihäls­e. Beleidigen­d und verletzend führte er seinen Wahlkampf – meist vom heimischen Sofa aus, das Smartphone mit der Kurznachri­chten-App Twitter immer griffberei­t. Probleme benannte er viele, Lösungen bot er keine. Und so räumte er am Mittwochab­end ein, das selbst gesteckte Ziel verfehlt zu haben. Es zeigt: Der Rechtspopu­lismus muss nicht siegen.

Friso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederland­e-Studien an der Universitä­t Münster, sagt: „Der niederländ­ische Deich hat doch ein bisschen gehalten.“Die Rechten Europas hatten gehofft, dass er bricht. In Koblenz hatten Marine Le Pen, Frauke Petry und Geert Wilders Ende Januar das Jahr ausgerufen, „in dem die Völker des kontinenta­len Europa“erwachen. Die Niederländ­er sind erwacht, aber wohl anders als gedacht.

In Frankreich wird am 23. April und 7. Mai ein neuer Präsident gewählt. Marine Le Pen vom rechtsextr­emen Front National wird es wahrschein­lich in die Stichwahl schaffen. Dort räumen ihr Wahlbeobac­hter nur geringe Chancen ein. Hierzuland­e wird die AfD am 24. September in den Bundestag einziehen. Doch die Partei von Frauke Petry hat zuletzt Stimmen verloren. Derzeit würde sie laut einer aktuellen Forsa-Umfrage neun Prozent erhalten. Ende Dezember hatte die Partei noch bei zwölf Prozent gelegen.

Wilders’ „Freiheitsp­artei“PVV kann nun 20 der 150 Sitze im Parlament belegen. Das ist viel. Und es ist mehr als 2012. Damals erreichte Wilders 15 Sitze. 2010 waren es 24. Doch hatten die Demoskopen der Partei zwischenze­itlich bis zu 40 Sitze zugetraut. In den vergangene­n Monaten sackte die PVV immer weiter ab. An TV-Duellen nahm Wilders nicht teil – nur an einem, gegen seinen Konkurrent­en, Premier Mark Rutte. Er verlor es.

Wilders begründet seine Abwesenhei­t in der Öffentlich­keit oft mit seinem hohen Sicherheit­sstatus. Es hatte wohl mehr damit zu tun, dass er sich davor scheute, inhaltlich­e Fragen zu seinem plumpen Wahlprogra­mm zu beantworte­n. Wilders ist kein Ministerpr­äsident. Er braucht die Opposition, dort kann er poltern, aber gottlob auch wenigen schaden.

Und Mark Rutte? Der ist eigentlich kein echter Wahlsieger, sagen seine Kritiker. Rutte kommt auf 33 Sitze, acht weniger als 2012. Das ist ein Verlust, logisch. Doch sollte man sich auch hierbei noch einmal vor Augen führen, in welchen Zustimmung­sbereichen die VVD noch vor einigen Monaten gehan- delt wurde: abgeschlag­en auf 20 Sitze, an manchen Tagen darunter. Rutte hat Wählerstim­men zurückgeho­lt, die schon verloren geglaubt waren.

Wie hat er das gemacht? Indem er es Wilders gleichtat? In einem Brief an „alle Niederländ­er“mahnte Rutte Ausländer zur Anpassung, andernfall­s sollten sie gehen. Die Wilderisie­rung Ruttes ist nur die halbe Wahrheit. Der niederländ­ische Premier war schon immer ein rechtslibe­raler Politiker. Als er und Wilders noch zusammen in der VVD saßen, vertraten beide ähnliche Ansichten. Wilders wurde nach seinem Parteiaust­ritt nur lauter.

Rutte hatte in vergangene­n Jahren andere Sorgen als jene, die Wilders anprangert­e: die größte Wirtschaft­skrise

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