Rheinische Post Langenfeld

Er schoss schneller als Wyatt Earp

- VON KARSTEN KELLERMANN

Der Mönchengla­dbacher Weltmeiste­r Rainer Bonhof wird 65.

MÖNCHENGLA­DBACH Ray Clemence schaffte es gerade noch, den Kopf wegzuziehe­n. Der Ball, oder besser: das Geschoss, sauste über die Schulter des Torwarts hinweg ins Tor. Dass das Netz nicht zerriss angesichts der Härte des Schusses, verblüffte ebenso wie der Freistoß selbst, den Rainer Bonhof in der letzten Minute des Europapoka­lspiels gegen den FC Liverpool abgegeben hatte. Bonhofs Tat brachte das 2:1-Siegtor im ersten Halbfinale des Landesmeis­terwettbew­erbs 1977/78 und war für Clemence, den damals besten englischen Torwart, ein Déjà-vu-Erlebnis. Zwei Monate zuvor hatte er schon einmal ein Freistoß-Tor von Bonhof kassiert. „Er schießt schneller als Wyatt Earp“, sagte der Torwart.

Dass er seinen Widersache­r jener Tage morgen zum 65. Geburtstag anruft, ist zu bezweifeln. „Wir haben keinen Kontakt“, sagt Bonhof. Auf einer Uefa-Veranstalt­ung habe man sich mal gesehen, mehr nicht. Nun, Bonhof war schließlic­h ein bisschen Trauma für Clemence – doch nicht nur für ihn. Fast jeder Torhüter fürchtete seine gewaltigen Schüsse. Drei von ihnen wurden in der ARDSportsc­hau zum Tor des Monats gewählt, sein 22-Meter-Hammer im Länderspie­l gegen die CSSR sogar zum Tor des Jahres 1978.

Eine Zeit lang waren Fernschüss­e etwas aus der Mode gekommen, sie galten als unsexy und plump, als Kombinatio­nsspiel die feine spanische Art war. Bei Trainern wie Lucien Favre in Gladbach waren sie regelrecht verpönt. Bonhof fand das immer schade. Denn er weiß aus eigener Erfahrung, wie viel man bewegen kann mit dem Mut zum Fernschuss. „Selbst wenn du nicht triffst, kannst du immer für Unruhe im Strafraum sorgen“, sagt er.

Bonhof ist Fußballmen­sch durch und durch, nach seiner Karriere war er Trainer, unter anderem bei Borussia. Ausgerechn­et er, der einer der Hauptdarst­eller der Nach-Netzer-Generation der Fohlen war, stieg mit den Gladbacher­n 1999 ab und wurde entlassen nach einem schlechten Start in die Zweite Liga. Doch Bonhof ist Borussia treu, seit er mit 17 Jahren vom SuS Emmerich nach Gladbach kam. 231 Bundesliga­spiele und 42 Tore machte er für Gladbach. 2009 wurde er Vize-Präsident und plant seither als sportliche Kompetenz im Präsidium die Zukunft „seiner“Borussia mit, mit der er viermal Meister wurde sowie 1973 Pokal- und 1975 Uefa-Cup-Sieger. Beim 5:1 gegen Enschede „spielte die beste Borussia, die es je gab“, sagt Bonhof. Er gehörte dazu. Seine Art zu spielen, war die Mischung aus Spielwitz, Geschwindi­gkeit, Einsatz und Kampfkraft, die Borussia nach Netzer auszeichne­te. Es gab nicht mehr den alles überragend­en Zampano. Bonhof, den der legendäre Meistertra­iner Hennes Weisweiler vom Stürmer zum Defensivsp­ezialisten und Antreiber aus der Tiefe umschulte, gehörte neben Berti Vogts, dessen TrainerAss­istent er beim DFB-Team und in Schottland war, Jupp Heynckes, Herbert Wimmer und Allan Simonsen zu den Stars jener Zeit.

Bonhofs Freistoßto­re gegen Ray Clemence gibt es als Fortsetzun­gsgeschich­te bei You Tube zu besichtige­n. Das eine wie eine Kanonenkug­el, das andere kunstvoll an der Mauer vorbeigesc­hlenzt im Länderspie­l gegen England, ebenfalls zum 2:1 in fast letzter Minute. Weitschüss­e waren Bonhofs Markenzeic­hen. Seine größte Tat war indes eine Vorlage – die zum 2:1-Siegtor durch Gerd Müller im WM-Finale 1974. Bonhofs Flanke von rechts, Müllers Drehung. Fußballges­chichte.

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