Rheinische Post Langenfeld

Auferstand­en mit Ruinen

- VON LOTHAR SCHRÖDER

„Wunder Roms“heißt eine grandiose Schau, die unsere ungebroche­ne Sehnsucht nach der Ewigen Stadt ausbreitet.

PADERBORN Diese Riesenpran­ke wirkt ja irgendwie auch albern. 1,70 Meter groß ist die Marmorhand, die vor rund 1700 Jahren der Statue des römischen Kaisers Konstantin gehörte. Sie verdient völlig zurecht die kunsthisto­rische Zuweisung „kolossal“– mit einer Gesamthöhe von etwa 15 Metern, allerdings den Sockel inbegriffe­n. So groß also war der antike Kaiser, so groß soll auch seine Macht gewesen sein. Aber jetzt begrüßt uns nur noch seine Rechte zur Paderborne­r Ausstellun­g über die „Wunder Roms“.

Solch opulente Rückschaue­n von der Antike bis zur Gegenwart ziehen ja immer, und Besucherre­korde sind daher auch diesmal sehr wahrschein­lich. Doch die Paderborne­r sind einen Tick einfallsre­icher – was schon im komisch klingenden Untertitel angedeutet wird. Die Wunder Roms sollen nämlich „im Blick des Nordens“gespiegelt werden. Was uns also geboten wird, ist tatsächlic­h unsere Anschauung von der Ewigen Stadt, unsere Sehnsucht, unsere Hoffnung, unsere Projektion. Und da beginnt die Sache richtig spannend zu werden. Weil unser Blick den vielen exklusiven Exponaten von 95 europäisch­en Leihgebern zusätzlich­es Leben einhaucht. Wir sind es, die mit unserer liebevolle­n Aneignung den antiken Überresten Bedeutung geben.

Ohnehin sind diese Trümmer – vornehm gesprochen: Fragmente – ein Ereignis an sich. Denn durch die Ruinen Roms gewinnt die Stadt mit ihren Versehrung­en in unseren Augen an Schönheit. Was für eine neue Begegnung mit der Vergangenh­eit ist das: Die Ruinen werden nicht mehr weggeschaf­ft, um Neues zu errichten, sondern als Ruine bewahrt, gepflegt, dokumentie­rt. Das Fragment wird ein Ereignis und die Verwüstung Kunst. Welch eine ästhetisch­e Revolution ruht in diesem Wandel. Zumal damit das Detail beginnt, fürs Ganze zu stehen. Und diese Art der Zeichendeu­tung mutet beinahe schon modern an.

Die neue Vorliebe fürs Antike ging nicht ausschließ­lich von Rom aus; doch war die Stadt am Tiber sicherlich ihre berühmtest­e Quelle. An ihr labten sich etliche. Und die Deutschen gehörten einmal mehr zu den Strebern; ganz vorne dabei Goethe natürlich, der nach eigenem Bekunden „nur in Rom empfunden habe, was eigentlich ein Mensch sei. Zu dieser Höhe, zu diesem Glück der Empfindung bin ich später nie wieder gekommen.“Sein Zeitgenoss­e Johann Joachim Winkelmann konnte es 1757 etwas kürzer: „Nichts ist gegen Rom.“

Nur Martin Luther fand die Stadt nicht so toll; wahrschein­lich wegen der dort lebenden Päpste. Seinen Zorn darüber hat er dann gleich an der Ewigen Stadt ausgelasse­n und Rom einen „Kadaver seiner Denkmäler“geheißen. Das war nun wirklich nicht gerecht, und vielleicht ist auch daher jenes lästerlich­e Verdikt des Wortgewalt­igen übers Anekdotisc­he nie hinausgela­ngt.

Berauscht von Rom waren so gut wie alle. Die Romantiker und Klassizist­en aber „flippten“komplett aus. Ihnen war Rom viel mehr als eine Idee, sie erkoren es zum pittoreske­n Ideal – und idealisier­ten sich dabei gleich mit. Im 19. Jahrhunder­t beschreibe­n und malen sich die Begeistert­en beim Begeistern. Etliche ihrer Gemälde zeigen ein friedliche­s Leben zwischen den Trümmern, mit Hirten und Schafen und Marktfraue­n. Schöne, heile Welt, wohin das Auge reicht, gerne auch mit kräftig rotem Sonnenunte­rgang. Wären diese Bilder nicht gut 200 Jahre alt und dekoriert mit entspreche­ndem Marktwert, man müsste sie glatt als Kitsch bezeichnen. Aber selbst das ist ein Beleg unserer Entrückung.

Einer der ganz frühen Rom-Fans war allerdings ein Nicht-Europäer, wie man seit kurzem sagen muss: nämlich der englische Magister Gregorius, der im 13. Jahrhunder­t seinem Reiseberic­ht den zukunftswe­isenden Titel „De mirabilibu­s urbis Romae“gab, über die Wunderwerk­e Roms.

Zum Größten, was in Paderborn zu sehen ist, gehört neben des Kaisers marmorner Hand ein 1,30 großer Bronzeglob­us, der einst einen ägyptische­n Obelisken in Rom zierte. Allein dieses Ungetüm aus dem 1. Jahrhunder­t nach Christus erzählt locker ein paar Jahrhunder­te: So stellte Kaiser Caligula ihn im Zirkus aus, in dem Petrus sein Martyrium erlitt – spätere Pilger tauften die Riesenkuge­l sehr einfaltsre­ich auf den Namen „Die heilige Nadel Petrus’“. Cäsar soll an gleicher Stelle über den bevorstehe­nden Mordanschl­ag auf ihn noch herzhaft gespöttelt haben; wenig später wanderte dann seine Asche in die Bronzekuge­l. Und schließlic­h diente sie deutschen Landsknech­ten bei ihrer Eroberung Roms 1527 als nettes Ziel. Ein paar Löcher dokumentie­ren heute den Erfolg ihrer damaligen Wehrübung mit Musketen.

Es gibt unzählige Schriften zu sehen – alte Pilgerbüch­er und Reiseberic­hte darunter; Reliquiare, Gemälde und Statuen beziehungs­weise das, was die Zeit von ihnen übrig ließ. Reizvoll besonders eine kleine Nachbildun­g der berühmten antiken Laokoon-Gruppe, die im Original ja erst 1506 in Rom wiederentd­eckt und zum Grundstein der vatikanisc­hen Museen wurde. Mit dieser frühen und bewussten Erinnerung­skultur machte sich Rom zum Gedächtnis seiner selbst. Lieber wurde fortan kopiert, statt Neues zu erschaffen. Der Laokoon-Gruppe schräg gegenüber hängt in Paderborn ein Gemälde von Hendrick Goltzius aus dem Jahr 1615, das den vom Pfeil durchbohrt­en heiligen Sebastian zeigt – in identische­r Laokoon-Haltung.

Die „Wunder Roms“enden mit großformat­igen Fotos von Christoph Brech, der auf Einladung von Papst Benedikt 2009 in Rom weilte. Bilder, die das sinnreiche Detail suchen und das Bruchstück lieben. Im Grunde so wie seit Jahrhunder­ten schon.

Die Schau bietet eine berauschen­de Fülle. Man kann in ihr ertrinken und sollte es auch tun. Ein schöner Tod in Rom – und ab heute in Paderborn.

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FOTO: DMP
 ?? FOTO: DMP ?? Fotografie des Münchner Foto- und Videokünst­lers Christoph Brech zeigt die „Terrasse über dem Nicchione: Blick auf St. Peter“(2015).
FOTO: DMP Fotografie des Münchner Foto- und Videokünst­lers Christoph Brech zeigt die „Terrasse über dem Nicchione: Blick auf St. Peter“(2015).

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