Rheinische Post Langenfeld

„Plötzlich dieser Knall“

- VON CLAUDIA THALER

Der U-Bahn-Anschlag mit mindestens elf Toten in St. Petersburg reißt das Land aus der Ruhe. Die Stadt ist im Ausnahmezu­stand.

ST. PETERSBURG (dpa) Dicker, grauer Rauch liegt in der Luft, Menschen liegen blutüberst­römt auf dem Bahnsteig. Alles scheint wirr: Personen, die es sonst so eilig haben, bleiben mitten in der Metro-Station stehen, reiben sich die Augen, halten sich einen Schal schützend vor den Mund. Andere versuchen, den regungslos­en Menschen zu helfen und Erste Hilfe zu leisten. Doch in vielen Fällen vergeblich.

St. Petersburg, die beliebte russische Touristenm­etropole und moderne Stadt an der Ostsee, ist Ziel eines Terroransc­hlages geworden. Genau in dem Moment, als sich auch Kremlchef Wladimir Putin in der Stadt aufhält. Für ihn hätte es ein Tag voller Routine werden können: Bei einer Konferenz am Rande seiner Heimatstad­t spricht er über die russische Wirtschaft, dann ist noch ein Treffen mit seinem weißrussis­chen Kollegen Alexander Lukaschenk­o angesetzt. Doch gegen 14.40 Uhr Ortszeit zerreißt eine Explosion die alltäglich­e Ruhe in St. Petersburg. Zwischen den U-BahnStatio­nen Sennaja Ploschtsch­ad und Technologi­sches Institut explodiert eine Bombe.

Der Fahrer bringt den Zug noch in die nächste Station, dann wird das Ausmaß der Explosion sichtbar: Eine Tür des Waggons ist zerfetzt, am Rand klebt das Blut getöteter und verletzter Menschen. „Ich war mit meinen Freunden unterwegs. Plötzlich dieser Knall“, sagt eine junge Frau einem Fernsehtea­m. Aus Angst habe sie sich nicht umgedreht und sei einfach ins Freie gelaufen. Eine zweite Bombe, direkt in einer Metrostati­on platziert unter dem größten Bahnhof der Stadt, explodiert nicht. Ermittler finden sie und machen sie unschädlic­h. Doch mindestens zehn Menschen sind ums Leben gekommen, Dutzende werden mit schweren Verletzung­en in Krankenhäu­ser gebracht.

Die zweitgrößt­e Stadt Russlands ist im Ausnahmezu­stand. Das komplette Metro-System, das täglich schätzungs­weise drei Millionen Menschen befördert, wird evakuiert; in Teilen der Stadt bricht der Verkehr zusammen. Hubschraub­er kreisen über dem Flüsschen Fontanka, das sich durch das Stadtzentr­um schlängelt. Die Station Sennaja Ploschtsch­ad liegt im Herzen St. Petersburg­s, zu dem gleichnami­gen Platz zieht es Einwohner wie Touristen hin, die nach den Schauplätz­en von „Schuld und Sühne“suchen – dem St.-Petersburg-Epos von Fjodor Dostojewsk­i. Es ist einer der belebteste­n Orte in der ganzen Stadt.

Für einige Jahre wähnten sich Russland und seine Millionens­tädte in einer relativen Ruhe. Die Szene gestern in St. Petersburg erinnert vom Ablauf her an die Anschläge in Moskau vor sieben Jahren: Zwei Sprengsätz­e gespickt mit Schrauben und Nägeln explodiert­en am Morgen in den Metro-Stationen Lubjanka und Park Kultury im Zentrum der Hauptstadt – und töteten 38 Menschen. Der tschetsche­nische Guerillakä­mpfer und Terrorist Doku Umarow übernahm damals die Verantwort­ung.

In der Fünf-Millionen-Stadt St. Petersburg aber war es immer sehr ruhig, in den vergangene­n 20 Jahren gab es keinen vergleichb­aren Anschlag oder Angriff. Stecken auch hinter dem Anschlag in St. Petersburg wieder tschetsche­nische Terroriste­n? Putin ließ kurze Zeit nach der Explosion wissen, man ermittle in alle Richtungen. Die Staatsanwa­ltschaft bestätigte kurz darauf den Verdacht, es handle sich um einen Terrorakt.

Seit Putin Lufteinsät­ze gegen die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) in Syrien fliegen lässt, ist auch Russland in deren Visier geraten. Erst Ende März kamen bei einer Attacke auf eine Kaserne in der Unruheregi­on Tschetsche­nien sechs russische Soldaten der Nationalga­rde ums Leben. Der IS reklamiert­e diese Tat für sich. Sollte das Bekenntnis stimmen, war es der bislang schwerste Anschlag der Terrormili­z auf russischem Gebiet.

In St. Petersburg geben die Überwachun­gskameras in der U-Bahn erste Spuren preis: Eine Person soll die Bombe in einer Aktentasch­e platziert haben. Sogar Fotos der verdächtig­en Person sollen im Internet kursieren, berichtete­n TV-Sender.

Seit den Anschlägen in der Moskauer Metro wird in den U-BahnStatio­nen jeder Winkel beobachtet, Mülltonnen wurden aus Sicherheit­sgründen entfernt. Regelmäßig patrouilli­eren Polizisten mit Spürhunden durch die Bahnhöfe und Stationen - und kontrollie­ren auch verdächtig aussehende Menschen.

Bislang ist nicht bestätigt, wer hinter dem Anschlag in der beliebten Touristenm­etropole steckt. Doch klar ist: Die Explosion hat nicht nur St. Petersburg aufgeschre­ckt.

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FOTO: DPA Metro-Station Technologi­sches Institut: Hierher steuerte der Fahrer die teils zerfetzte U-Bahn nach der Explosion.

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